Aktuelle Leitlinienempfehlungen zur Therapie: Umsetzung in der Praxis

Im Januar 2018 wurde die Leitlinie zur Immunthrombozytopenie (ITP) der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) aktualisiert [1]. Wichtige Neuerungen sind die erweiterte Definition der Therapieindikation sowie die Empfehlung, Thrombopoetin-Rezeptor-Agonisten (TRA) bereits in der Zweitlinie und damit früher als bisher in Betracht zu ziehen. Wie die Ergebnisse einer Ärztebefragung ein Dreivierteljahr nach Erscheinen der aktuellen Leitlinie zeigen, wird die Therapieindikation häufig noch sehr restriktiv gestellt [2]. Dagegen wird der TRA Eltrombopag von vielen Befragten bereits empfehlungsgemäß in der Zweitlinie eingesetzt. Deutschlandweit wurden im 4. Quartal 2018 insgesamt 38 Hämatologen in Klinik und Praxis befragt [2]. Ziel war es, die Bedeutung der ITP im Alltag der Befragten und die Auswirkungen der neuen Leitlinie auf ihr klinisches Handeln zu evaluieren. Fast zwei Drittel (63%) der befragten Hämatologen gaben an, dass die Bedeutung der Erkrankung in ihrem klinischen Alltag hoch sei. Gründe dafür waren die Häufigkeit der ITP bei den eigenen Patienten und die Charakteristika der Erkrankung, insbesondere als Ursache potenziell lebensbedrohlicher Notfälle. Bedeutsam sei die ITP für die Befragten auch, weil die Aufklärung und Führung des ITP-Patienten viel Zeit erfordere (Abb. 1). Wenn die Diagnose gestellt wird, stünden zunächst Erklärungen zum Krankheitsbild im Vordergrund. Hinzu komme die Erläuterung der Therapieoptionen und der Gründe für die Entscheidung für eine Therapie oder ein aktives Zuwarten (watch and wait). Dazu braucht es nach Angabe der Ärzte viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl, um Patienten die Angst zu nehmen und sie so aufzuklären, dass sie Situationen einschätzen können und erkennen, wann sie den Arzt aufsuchen müssen. Abb. 1 Wichtige Aspekte der Patientenaufklärung und -führung*; modifiziert nach [2] Springer Medizin Verlag GmbH × Therapieindikation: multifaktoriell und individuell Therapieziele bei ITP waren für die befragten Ärzte vor allem das Vermeiden von Blutungen und die Erhöhung bzw. Stabilisierung der Thrombozytenzahl (Abb. 2). Zwei von drei Ärzten gaben auch konkrete Schwellenwerte an, die für sie eine Therapieeinleitung nötig machen. Am häufigsten wurde eine Thrombozytenzahl von <30.000/µl, 20.000/µl–30.000/µl oder <20.000/µl genannt [2]. Abb. 2 Therapieziele bei Immunthrombozytopenie*; modifiziert nach [2] Springer Medizin Verlag GmbH × Dagegen ist nach der DGHO-Leitlinie die Therapieindikation bei ITP nicht allein von der Blutungsneigung und der Thrombozytenzahl abhängig zu machen, sondern in der Gesamtheit mit Krankheitsstadium, Krankheitsverlauf und vielen weiteren individuellen Faktoren zu stellen (Kasten) [1]. Dazu zählen auch Aspekte der Lebensqualität, die für die befragten Ärzte dagegen von keiner großen Relevanz für die Therapieindikation waren. Das Vermeiden von Nebenwirkungen bzw. eine gute Verträglichkeit als wichtige Aspekte bei der Therapieentscheidung nannten acht der Befragten (21%). In der zweiten Therapielinie treten die Lebensqualität und das Vermeiden von Nebenwirkungen als Therapieziel noch stärker in den Vordergrund, betont die Leitlinie [1]. Grund ist, dass die Lebensqualität von Patienten mit chronischer ITP mit derjenigen von Krebspatienten vergleichbar ist, teilweise sogar schlechter [3]. Es wird der Situation von ITP-Patienten deshalb nicht gerecht, wenn der Therapieerfolg allein an der Blutungsneigung und Thrombozytenzahl festgemacht wird [1]. Therapieempfehlungen der Leitlinie werden begrüßt Etwa die Hälfte der befragten Ärzte sieht sich durch die neue Leitlinie in ihrem bisherigen Vorgehen bestätigt, die andere Hälfte begrüßt die Änderungen, da die Empfehlungen besser in der Praxis umsetzbar sind, mehr Sicherheit geben und die Regressgefahr senken [2]. Zur Erstlinientherapie von Erwachsenen kommen der DGHO-Leitlinie zufolge Kortikosteroide zum Einsatz [1]. Entsprechend gaben alle befragten Ärzte an, die Therapie mit Steroiden zu beginnen [2]. Eine Zweitlinientherapie ist gemäß Leitlinie indiziert, wenn der Patient auf die Erstlinientherapie mit Steroiden nur teilweise oder gar nicht anspricht, oder wenn die Thrombozytenzahl nach einem initialen Ansprechen erneut abfällt [1]. Wie bei der Erstlinientherapie gilt auch hier, dass es keinen Thrombozytenschwellenwert für die Behandlungsindikation gibt. Ob eine Therapie eingeleitet wird, ist immer eine individuelle Entscheidung, betonen die Autoren der Leitlinie. Es sollen die gleichen Faktoren berücksichtigt werden wie bei der Indikation zur Erstlinientherapie (Kasten). Faktoren, die gemäß DGHO-Leitlinie bei der Entscheidung für eine Therapie berücksichtigt werden sollten [1] klinische Blutungsneigung Thrombozytenzahl Krankheitsstadium (neu diagnostiziert, persistierend oder chronisch) bisheriger Krankheitsverlauf und Blutungsanamnese Therapienebenwirkungen Konsequenzen für Ausbildung und Beruf (Berufsunfähigkeit vermeiden) Patientenalter, Nebenerkrankungen, Begleitmedikation (insbesondere Antikoagulanzien) Zugang zu ambulanter und stationärer fachärztlicher Versorgung Erfahrung des betreuenden Arztes/der Klinik in der Therapie der ITP Patientenpräferenz, Gesundheitskompetenz, psychosoziale Situation bei Kindern und Jugendlichen stärkerer Bewegungsdrang, deshalb besondere Berücksichtigung des Verletzungsrisikos in Kindergarten oder Schule und bei Freizeitaktivitäten TRA vor Splenektomie Für die Zweitlinientherapie werden in der Leitlinie TRA genannt [1]. Eine Splenektomie ist nur bei Patienten mit persistierender oder chronischer Thrombozytopenie und schweren Blutungen indiziert oder in Notfällen [1]. Andere Formen der Immunsuppression sind erst in der dritten Therapielinie indiziert. Einige der befragten Ärzte gaben an, nach einem Rezidiv nochmals Steroide einzusetzen, aber dann schnell zu TRA überzugehen [2]. Immunglobuline wurden seltener genannt. Die Splenektomie wurde kritisch gesehen, vor allem hinsichtlich des langfristigen Nutzens [2]. Viele begrüßten daher sehr, dass die Splenektomie nach der neuen Leitlinie später indiziert ist und die TRA nun in der Zweitlinie eingesetzt werden können [1]. Die Autoren der Leitlinie weisen auch darauf hin, dass die Definition der chronischen ITP auf Verläufe von länger als zwölf Monaten erst nach der arzneimittelrechtlichen Zulassung der TRAs erfolgte [1]. In den TRA-Zulassungsstudien waren viele Patienten mit deutlich kürzeren Krankheitsverläufen eingeschlossen. Deshalb kann die Anwendung von TRAs bei Patienten, die auf eine Erstlinientherapie nicht ansprechen, auch dann indiziert sein, wenn die Gesamterkrankungsdauer noch kein ganzes Jahr beträgt und das formale Kriterium der chronischen ITP nach heutiger Definition nicht erfüllt ist. In der Drittlinientherapie setzen die befragten Ärzte Rituximab (off-label) ein und erwägen eine Splenektomie [2]. Auch die Leitlinie sieht eine Splenektomie-aufschiebende Therapie mit Rituximab als eine Option, die mit dem Patienten vor einem solchen Eingriff besprochen werden kann [1]. Eltrombopag: häufig in der Zweitlinie eingesetzt Die meisten der befragten Ärzte setzen Eltrombopag (Revolade®) in der Zweitlinientherapie ein, aufgrund der oralen Gabe (eine Tablette/ Tag) und einfachen Handhabung, der überzeugenden Wirksamkeit und guten Verträglichkeit, der guten Steuerbarkeit und guten Dosierbarkeit, des geringeren Aufwands und weniger Praxisbesuchen sowie der verbesserten Lebensqualität [2]. Ein mögliches Absetzen von Eltrombopag fanden viele der Befragten interessant, unklar war aber, wie lange die Therapiedauer vor dem Absetzen sein sollte. Eine mögliche therapiefreie Remission (TFR) bei einem Teil der Patienten nannte die Mehrheit der Ärzte (68%) als große Chance der Patienten auf ein normales Leben. Zudem gaben sie an, dass die Aussicht auf eine mögliche TFR helfe, dem Patienten die Therapie besser zu vermitteln und ihn zu motivieren [2]. Belastung der Patienten oft stärker als gedacht Nach der Erfahrung der befragten Ärzte hat die ITP für die Patienten eine große Bedeutung [2]. Eine gefühlte Nähe zur Leukämie und die Blutungsneigung gehen ihrer Erfahrung nach insbesondere in der Anfangsphase mit Angst einher. Längerfristig beeinflusst die Erkrankung die gesamte Lebensführung. Das wird nach Erfahrung der befragten Ärzte von den Patienten oft erst mit der Zeit realisiert. Jüngere informieren sich dann auch selbst und werden aktiv, Ältere ergeben sich eher in die Krankheit [2]. Viele ältere Patienten überfordert Bis zu 40% aller ITP-Patienten sind über 60 Jahre alt [1]. Ältere ITP-Patienten unterscheiden sich von jüngeren Patienten durch häufigere Blutungen, häufigere Komorbiditäten wie Hypertonie, Diabetes, koronare Herzkrankheit, neuropsychiatrische Erkrankungen, Pneumonien, Anämie und Katarakte, mehr Komedikation, häufigere Medikamenten-induzierte Thrombozytopenien, ein schlechteres Therapieansprechen und mehr Nebenwirkungen [1]. Nach Auskunft der befragten Hämatologen stellt die Betreuung älterer Patienten eine besondere Herausforderung dar. Die Therapieentscheidung wird durch die häufige Multimorbidität verkompliziert. So wurde in der Umfrage berichtet, dass eine Gewichtszunahme unter Kortison bei vorbestehendem Diabetes mellitus ein Grund sein kann, auf eine andere Therapie zu wechseln [2]. Ein Dilemma stellt auch die Notwendigkeit einer Antikoagulation bei kardialen oder vaskulären Komorbiditäten dar [1]. Formal sind Antikoagulanzien bei Thrombozytopenie in der Regel kontraindiziert. Hinzu komme, dass ältere ITP-Patienten schnell überfordert seien, die Erkrankung häufig nicht verstehen und Probleme mit Dosierung und Compliance haben [2]. Die DGHO-Leitlinie widmet älteren ITP-Patienten ein eigenes Unterkapitel [1]. Literatur www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/immunthrombozytopenie-itp (letzter Zugriff: 18.01.2019) Ärztebefragung ITP, Novartis, data on file McMillan R et al., Am J Hematol 2008, 83:150–154 Impressum „Immunthrombozytopenie – Aktuelle Leitlinienempfehlungen zur Therapie: Umsetzung in der Praxis“, Literaturarbeit Bericht: Friederike Klein, München Artikel gedruckt in best practice onkologie 3/2019 Mit freundlicher Unterstützung der Novartis Pharma GmbH, Nürnberg Corporate Publishing (verantwortl. i. S. v. § 55 Abs. 2 RStV): Ulrike Hafner, Tiergartenstraße 17, 69121 Heidelberg Redaktion: Dr. Anne Kathrin Steeb Springer Medizin Verlag GmbH Heidelberger Platz 3 14197 Berlin Tel: 0800 7780 777 (kostenfrei) | +49 (0) 30 827 875 566 Fax: +49 (0) 30 827 875 570 E-Mail: kundenservice@springermedizin.de Die Springer Medizin Verlag GmbH ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Nature Geschäftsführer: Joachim Krieger, Fabian Kaufmann Handelsregister Amtsgericht Berlin-Charlottenburg HRB 167094 B Umsatzsteueridentifikationsnummer: DE 230026696 © Springer Medizin Verlag GmbH Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. PDF: Immunthrombozytopenie - Aktuelle Leitlinienempfehlungen zur Therapie: Umsetzung in der Praxis

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