Künstliche Intelligenz – eine Chance für seltene Erkrankungen?

Fünf Jahre warten Patienten mit einer seltenen Erkrankung auf ihre Diagnose. Dass Künstliche Intelligenz die Versorgungsmisere zügig verbessern kann, glauben Mediziner aber nicht. Trotzdem warben sie beim Hauptstadtkongress für die KI - aus mehreren Gründen. Fünf Prozent der Bundesbürger sind von einer seltenen Erkrankung betroffen. So selten seien sie also gar nicht, sagte Dr. Hartmuth Nowak vom Universitätsklinikum Knappschaftskrankenhaus in Bochum beim Hauptstadtkongress. Dennoch dauere es noch immer im Schnitt fünf Jahre, bis die Patienten ihre Diagnose erhielten. Kann künstliche Intelligenz (KI) hier der Gamechanger sein? Professor Michael Forsting dämpfte direkt die Hoffnung. KI sei nur ein „zusätzlicher Player“ in der Versorgung, so der Leiter des Instituts für diagnostische und interventionelle Radiologie und Neuroradiologie der Unimedizin Essen. „KI hat mit Intelligenz nichts zu tun“, schob er hinterher. Es handele sich lediglich um datengetriebene Algorithmen. Drei Milliarden Datenpunkte in einem Institut Diese könnten aber helfen, schneller bestimmte Krankheitsmuster zu erkennen und auch individuellere Behandlungsmöglichkeiten zu finden, zeigte sich in der Diskussion am Mittwochnachmittag. Allein im Institut, das Forsting leitet, liegen drei Milliarden Datenpunkte aus 520 Subsystemen, zusammengeführt in einem Datensilo. Er nannte ein Beispiel, wie diese Daten KI anfüttern. So schaffe man es mit KI-gestützten CT-Untersuchungen, 80 Prozent der Kontrastmittel einzusparen. Am Zentrum für klinische Neurowissenschaften des Universitätsklinikums Dresden geht man bereits einen Schritt weiter. Dort können sich Patienten mit Multipler Sklerose (MS) einen digitalen Zwilling anlegen lassen, den sie auch selbst mit Daten befüttern. „Wir sammeln dabei nicht nur Daten, sondern auch Prozeduren“, erläuterte Institutsdirektor Professor Tjalf Ziemssen. Für die Patienten würde dabei ein Pfad erstellt, damit sie jederzeit wüssten, welche Daten wann erhoben werden. Die Bedienung findet – auch für Ärzte – über ein Dashboard statt. „Das ist wesentlich beliebter bei den Patienten als die elektronische Patientenakte“, meinte Ziemssen. Klassische Arztbriefe gebe es ebenfalls nicht, die Daten würden strukturiert erfasst. Die ePA könne das nicht bieten. „Da ist der Papierordner, den der Patient mitbringt manchmal besser als die ePA, dort lassen sich die Daten besser sortieren“, provozierte er. „Jeder kocht sein eigenes Süppchen“ Ziemssen nahm kein Blatt vor den Mund: Er habe keine Hoffnung mehr in irgendeine Medizininformatikinitiative oder den Gesundheitsminister. Ärzte und Patienten müssten die Sache zusammen selbst in die Hand nehmen. Eine Sicht, die Professor Thorsten Schlomm, Direktor der Klinik für Urologie an der Berliner Charité teilt. In Deutschland erkrankten 550.000 Menschen pro Jahr an Krebs. Wenn von all diesen Menschen die Daten erfasst würden – am besten über zehn Jahre hinweg –, „dann hätten wir keine Seltenen mehr“, überspitzte er. Das Problem bei den Seltenen sei, dass die Mediziner die Erfahrungen, die andere Patienten und auch Ärzte gemacht hätten, nicht kennen würden. „Weil jeder sein eigenes Süppchen kocht“, kritisierte er. „Die Daten sind ja da, wir schreiben sie nur nicht auf.“ Der Datenschutz ist laut Schlomm dabei nicht das Problem. „Der ist besser, als wir meinen, er wird nur schlecht geredet.“ Letztlich könnten die Patienten sehr wohl selbst entscheiden, wem sie ihre Daten wie zur Verfügung stellen. Die Blackbox KI ist gar keine Medizin und Industrie müssten aber auch gut über die Datennutzung aufklären. Zurück zum Beispiel aus Dresden: Der digitale Zwilling der MS-Patienten wird verglichen mit Tausenden anderen Zwillingen. „Dadurch sehen wir, was anderen Patienten in ähnlichen Krankheitsstadien geholfen hat“, berichtete Ziemssen. Wenn man den Patienten diese Funktionsweise erläutere, werde die Blackbox KI entzaubert. Ein Teil der Wahrheit lautet aber auch: Die großen KI-Initiativen in der Medizin beschäftigen sich derzeit eher auch mit großen Fragestellungen, so Forsting, und weniger mit seltenen Erkrankungen. Für die Seltenen fehle einfach die notwendige IT-Struktur in Deutschland. Empfehlung der Redaktion Hauptstadtkongress HSK 23 – Kongressdossier Auf dem Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit 2023 stehen der Wandel und die aktuellen Herausforderungen des Gesundheitssystems im Mittelpunkt. Dabei diskutieren Fachleute aus Medizin, Politik und Wirtschaft über Krisen, Chancen, und Lösungen. Im Kongressdossier finden Sie alle aktuellen Berichte. Quelle: Ärzte Zeitung

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