Nicotinamid ist die Pyridin-3-Carbonsäureamid-Form von Niacin oder Vitamin B
3 [
1]. Niacin als Vorläufer der beiden Koenzyme Nicotinamid-Adenin-Dinukleotid (NAD) und NAD-Phosphat ist für zahlreiche oxidative Reaktionen unerlässlich [
2]. Obwohl Nicotinamid aus der Aminosäure L‑Tryptophan über den hepatischen Kynurenin-Signalweg synthetisiert wird, kann der tägliche Bedarf dadurch nicht ausreichend gedeckt werden. Infolgedessen wird Niacin zu den essenziellen Vitaminen gezählt [
3]. Die Metaboliten des Kynurenin-Signalwegs spielen in der immunologischen Abwehr und der Regulierung der Darmmotilität bis hin zur Funktion des zentralen Nervensystems (ZNS) eine wesentliche Rolle und können als eigenständige Neurotransmitter des ZNS angesehen werden, die Stimmung und das Angstverhalten beeinflussen [
4]. Ein Mangel an Vitamin B
3 verursacht die Systemerkrankung Pellagra [
5], die durch die 3 Ds – „dermatitis“, „dementia“ „diarrhoe“ – und möglicherweise durch ein viertes „death“ gekennzeichnet ist [
6]. Die klassischen Hautläsionen der Pellagra wurden erstmals 1771 von Frapolli beschrieben und werden aus dem Italienischen mit „raue Haut“ übersetzt [
7]. Diese präsentieren sich typischerweise mit einer lokalisierten, erythematösen Dermatitis insbesondere an sonnenexponierten Arealen wie Gesicht, Hals, oberer Brustkorb (Casal-Halsband), Hand- und Fußrücken, die von Pruritus und einem „Hautbrennen“ begleitet wird. Nach einigen Wochen folgen eine Sebostase und Hyperpigmentierung mit anschließender Exfoliation. Der Mechanismus der Photosensibilität ist bisher ungeklärt, jedoch wird eine phototoxische Genese vermutet [
8]. Extrakutane Manifestationen sind weniger spezifisch, aber in Assoziation mit Pellagra-typischen Hautveränderungen ausreichend, um eine Diagnose zu stellen. Die neurologische Symptomatik umfasst klassisch das Demenzsyndrom einer „Pellagra-Enzephalopathie“ kann sich jedoch ebenso in Form von Schlaflosigkeit, Delirium, Depression, Kleinhirn- oder extrapyramidalen Symptomen präsentieren [
2]. Gastrointestinale Symptome reichen von unspezifischen Beschwerden wie Glossitis, Dysphagie, Nausea, Emesis oder Bauchschmerzen bis hin zu hartnäckiger Diarrhö, die in fortgeschrittenen Krankheitsstadien rasch zum Tod führen kann. In der heutigen Zeit ist das klinische Vollbild selten geworden, und nur einzelne dieser Manifestationen können vorliegen [
6]. Ätiopathogenetisch werden bei Pellagra 3 verschiedene Mechanismen unterschieden:
1.
eine Änderung der Tryptophanaufnahme, -resorption und/oder -verstoffwechselung im Rahmen von persistierender Diarrhö, Anorexie, chronischem Alkoholabusus, Malabsorption, Leberzirrhose, Morbus Hartnup oder einer HIV(humanes Immundefizienzvirus)-Infektion;
2.
eine Änderung im Serotoninstoffwechsel durch hormonaktive Karzinoiderkrankungen;
3.
iatrogen/pharmakologisch durch die Einnahme von Medikamenten wie Isoniazid, Ethionamid, 6‑Marcaptopurin, Acetylpyridin, Thiosemicarbazon, Methopterin, 5‑Fluorouacil, Azathioprin, Pyrazinamid, Hydantoin, Phenobarbital oder Chloramphenicol [
8].
Die Behandlung der Pellagra basiert zunächst auf dem Verzicht prädisponierender Faktoren sowie einer Substitutionstherapie mittels Niacin mit zumindest 300 mg/Tag. Darüber hinaus sollte präventiv auf eine ausgewogene Ernährung mit Niacin-reichen Lebensmitteln wie Kleie, Eier, Fleisch, Geflügel, Fisch, Hülsenfrüchte und Samen geachtet werden, nur um einige der Quellen zu nennen [
8]. Ein Konsens bezüglich Dosierung, Form und Dauer der Behandlung ist nicht bekannt. Unter der Substitutionstherapie verschwinden Hautläsionen, gastrointestinale und neurologische Beschwerden im Allgemeinen innerhalb weniger Stunden bis Tage wie im Fall unserer Patientin. Die Diagnose einer Pellagra kann somit mit einem raschen Therapieansprechen retrospektiv suffizient bewiesen werden [
9].