Erschienen in:
01.02.2020 | Leitthema
Heinrich Pette (1887–1964) und die schwierige Bewertung seiner Rolle von der Weimarer Republik bis in die BRD
verfasst von:
Michael Martin, Axel Karenberg, Prof. Dr. Heiner Fangerau
Erschienen in:
Der Nervenarzt
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Sonderheft 1/2020
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Zusammenfassung
Fachinterne Nachrufe und Würdigungen von neurologischen Schülern und Kollegen fokussierten lange auf Pettes unverkennbare wissenschaftliche Verdienste um die deutsche Neurologie bzw. Neurovirologie. Oft ignorierten oder marginalisierten sie seine Rolle als Zweiter Vorsitzender der Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater (GDNP) während der NS-Zeit. Arbeiten und Gutachten aus jüngerer Zeit stellen einseitige Bewertungen zunehmend infrage und zeichnen ein widersprüchliches Bild. Pette trat 1933 der NSDAP und dem NS-Ärztebund bei und unterzeichnete im gleichen Jahr das „Bekenntnis der Professoren zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat“. Seit 1934 als Nachfolger Nonnes Ordinarius in Hamburg, leitete Pette ab 1935 die „Neurologische Abteilung“ der gleichgeschalteten GDNP und war damit zentraler Akteur auf verbandspolitischer Ebene mit Kontakten zur Führungsebene in Partei und Regierung. Er lehnte das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ nicht grundsätzlich ab und verfasste auch einzelne Gutachten für das Hamburger Erbgesundheitsobergericht, trat gleichzeitig aber für eine differenzierte Diagnostik und gegen vorschnelle Sterilisationen ein. Über die „Euthanasie“-Maßnahmen und die zugehörige Begleitforschung war er vermutlich früh informiert, doch nicht darin involviert. Während und nach einem langwierigen Entnazifizierungsverfahren stilisierte er sich zum unpolitischen Wissenschaftler und zum Vertreter einer „oppositionellen Haltung“. 1950 wirkte er an der Gründung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) mit, war bis 1952 Erster Vorsitzender und danach Ehrenvorsitzender, seit 1969 vergibt die DGN den Heinrich-Pette-Preis. Die kurz nach dem Krieg von ihm begründete Stiftung zur Erforschung der spinalen Kinderlähmung wurde nach Pettes Tod nach ihm benannt und trägt seit 2011 den Namen „Heinrich-Pette-Institut, Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie“. Für die Zukunft erscheint ein umsichtiger Umgang mit diesem ambivalenten Erbe geboten.