Herpesviren triggern Autoimmunenzephalitis

Eine Herpesenzephalitis überlebt und nach drei Wochen plötzlich ein Rückfall? Stehen Halluzinationen, Kognitionsprobleme und Bewegungsstörungen im Vordergrund, spricht viel für eine Autoimmunerkrankung. Dann sind Immunsuppressiva und keine Virustatika gefragt. Eigentlich war die 52-jährige Frau nach einigen Wochen wieder weitgehend genesen: Die Ärzte hatten sie aufgrund einer Herpesenzephalitis mit Aciclovir behandelt und schließlich in die Reha entlassen. Von da kam aber eines Tages ein Anruf – ihr Zustand hatte sich plötzlich wieder verschlechtert, sie halluzinierte, war verwirrt. Bei der erneuten Aufnahme in die Klinik stellten die Ärzte neben einem Delir auch seltsame Dyskinesien an den Händen fest. Die Liquoranalyse nach erneuter Lumbalpunktion ergab jedoch keine Hinweise auf ein Herpesrezidiv, selbst die PCR war negativ. „Was ist hier nur geschehen?“, fragte Professor Wolf-Rüdiger Schäbitz vom Evangelischen Krankenhaus in Bielefeld auf der Arbeitstagung Neurointensivmedizin (ANIM) in Wien. „Offenbar kam es hier nach drei bis vier Wochen zu einem Rückfall, der mit der Infektion direkt nichts zu tun hatte.“ Dieses Phänomen ist offenbar gar nicht so selten. Von Schäbitz dazu aufgefordert, meldeten sich zahlreiche Neurologen, die schon ähnliche Patienten hatten. Dyskinesien durch Angriff auf Dopaminrezeptoren Nicht selten steckt dahinter eine NMDA-Rezeptor-Enzephalitis, die offenbar durch die Herpesinfektion getriggert wurde, erläuterte der Neurologe. Vor rund vier Jahren sei eine solcher Fall erstmals in der Literatur beschrieben worden, die Autoren konnten damals während des Rückfalls einen starken Anstieg von Antikörpern gegen NMDA-Rezeptoren im Liquor nachweisen und die Enzephalitis mit Glukokortikoiden in den Griff bekommen. Inzwischen gebe es dazu mehrere Publikationen. Herpesviren scheinen danach besonders häufig Immunreaktionen gegen neurale Oberflächenproteine auszulösen, bevorzugt gegen die Glutamat-N1-Untereinheit des NMDA-Rezeptors, aber auch der Dopamin-D2-Rezeptor ist oft betroffen, was die Bewegungsstörungen der Patienten erklärt. Bei manchen werden zudem GABA-Rezeptoren sowie noch unbekannte Ziele angegriffen. Die dafür ursächlichen Antigene sind noch unbekannt, so Schäbitz, vermutet wird jedoch, dass sie während der virusbedingten neuronalen Lyse freigesetzt werden. Dafür spricht eine recht breite Immunantwort gegen viele noch unbekannte Autoantigene, wie sie häufig bei den Betroffenen festgestellt wird. Auch ist die virusgetriggerte Autoimmunenzephalitis nicht auf HSV-1-Infekte beschränkt, sie kann auch bei anderen Herpesviren auftreten. Beschrieben worden sind etwa Erkrankungen nach Varicella-Zoster-Enzephalitiden. Die Spitze des Eisbergs? Bei einem Rückfall nach einer zunächst erfolgreichen antiviralen Behandlung ist es für Schäbitz wichtig, eine virale Ursache von einer Autoimmunreaktion zu unterscheiden. Ist die Enzephalitis auf ein erneutes Aufflammen der Virusinfektion zurückzuführen, dann stehen fokale Symptome, Anfälle und kognitive Probleme im Vordergrund, aber keine Bewegungsstörungen. Typisch für eine Autoimmunenzephalitis sind nach Auffassung des Neurologen neben kognitiven Problemen auch Halluzinationen und Bewegungsstörungen – in solchen Fällen sollten Ärzte hellhörig werden, vor allem dann, wenn die Probleme vier bis sechs Wochen nach der Viruserkrankung auftreten. Lassen sich dann kein Viruserbgut und im MRT keine charakteristischen Läsionen nachweisen, spricht wenig für einen Erreger. Weist die Liquordiagnostik auf keinen Infekt, sollte möglichst der antineurale Antikörperstatus bestimmt und eine immunsuppressive Behandlung erwogen werden. Die virusassoziierte Autoimmunenzephalitis stellt nach Auffassung von Schäbitz ein eigenständiges Krankheitsbild dar. „Möglicherweise sehen wir hier aber erst die Spitze des Eisbergs.“ So seien bimodale Verläufe auch bei Masernenzephalitiden und einer Infektion mit Japan-Enzephalitis-Viren beobachtet worden. „Hier würde es sich lohnen, nach Autoantikörpern zu schauen.“ Auf der anderen Seite habe man bei Patienten mit einer Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis häufig auch Spuren von Erregern wie EBV, CMV und Mykoplasmen im Liquor gefunden. Möglicherweise werden also nicht wenige der Autoimmunenzephalitiden durch unspezifische, erregerinduzierte immunologische Prozesse getriggert.

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