Inzidenz und Dauer des postoperativen Delirs

Welchen Einfluss hat eine postoperative Analgosedierung mit äquivalenten Dosierungen von Dexmedetomidin oder Morphin nach kardiochirurgischen Eingriffen auf die Inzidenz und Dauer eines postoperativen Delirs? Hintergrund Analgesie und Sedierung sind wichtige Komponenten in der postoperativen Phase kardiochirurgisch operierter Patienten. Bisher konnte weder ein einzelnes Medikament noch eine Kombination mehrerer Analgetika und Sedativa eine Überlegenheit bezüglich der Prävention eines postoperativen Delirs zeigen [1]. Das Risiko, ein Delir zu erleiden, ist bei unzureichender Schmerztherapie erhöht. Paradoxerweise können Opioide das Auftreten eines Delirs oder eines kognitiven Defizits erhöhen [2]. Die möglichen Folgen sind eine Erhöhung der Morbiditätsrate, eine verlängerte Gedächtnisstörung und eine erhöhte Mortalitätsrate [3]. Dexmedetomidin ist ein hochselektiver α2-Rezeptoragonist mit sedierender und leicht analgetischer Komponente bei minimal-atemdepressiver Wirkung. α2-Rezeptoragonisten (wie z. B. Clonidin) sind mit einer niedrigeren kardiovaskulären Komplikationsrate bei Hochrisikoeingriffen im nichtkardiochirurgischen Bereich assoziiert. Daher könnte die Anwendung von Dexmedetomidin zur postoperativen Analgosedierung zu einer niedrigeren Inzidenz des postoperativen Deliriums führen [4]. Methode Die prospektive Studie wurde doppelblind randomisiert in Sydney über einen Zeitraum von 3,5 Jahren durchgeführt. Insgesamt konnten von 797 erfassten Patienten 299 in die abschließende Auswertung einbezogen werden. Alle Patienten waren mindestens 60 Jahre alt und unterzogen sich einem kardiochirurgischen Eingriff (aortokoronarer Bypass, Klappenoperationen, Kombinationseingriffe) unter Verwendung einer Herz-Lungen-Maschine. Die Patienten erhielten entweder Dexmedetomidin oder Morphin in äquipotenten Dosierungen zum Erreichen einer adäquaten Sedierung und Analgesie. Zusätzlich war als additive Medikation Propofol bei Hypertension oder bei ungeplantem Erwachen zugelassen. Das perioperative Management war standardisiert. Die Respiratoreinstellung und die postoperative Beatmungsentwöhnung erfolgten nach einem standardisierten „Weaning“-Protokoll. Als Sedierungsskala wurde die Motor Activity Assessment Scale (MAAS) verwendet. Zielvorgaben waren MAAS-Werte von 2–4. Die Studie wurde am Patienten durchgeführt, bis die Thoraxdrainagen entfernt wurden, die Patienten die Intensivstation verließen oder mindestens 48 h beatmet waren. Die Diagnose des Delirs erfolgte mithilfe der Confusion Assessment Method for the Intensive Care Unit (CAM-ICU). Als primäres Outcome wurden prozentual die Patienten erfasst, die innerhalb von 5 Tagen ein Delirium nach der CAM-ICU entwickelten. Die Krankheitssymptomatik ging maximal über 12 Tage pro Patient in die Studienauswertung ein. Als sekundäres Outcome in Prozent galten Patienten, deren MAAS-Wert im Zielbereich von 2–4 war, die extubiert wurden, ohne innerhalb von 48 h reintubiert zu werden, sowie die Dauer des Intensivstationaufenthalts und des gesamten Krankenhausaufenthalts. Zudem wurde die Krankenhausmortalitätsrate erfasst. Ergebnisse Die Patientengruppen waren hinsichtlich Vorerkrankung und demografischer Daten vergleichbar. Die Deliriuminzidenz war für beide Gruppen nicht statistisch verschieden, jedoch war die Dauer des Delirs in der Dexmedetomidingruppe im Vergleich zur Morphingruppe signifikant verkürzt. Nur in der Gruppe von Patienten mit intra- und postoperativer Anwendung der intraaortalen Ballongegenpulsation (IABP) konnten signifikante Unterschiede bezüglich der Häufigkeit eines Delirs zugunsten der Dexmedetomidingruppe beobachtet werden. Patienten in der Dexmetedomidingruppe konnten postoperativ früher extubiert werden, während die Aufenthaltsdauer auf Intensivstation und im Krankenhaus vergleichbar war. Eine Multivariantenanalyse zeigte, dass die Art des Eingriffs, in diesem Fall der Gebrauch einer IABP, ein Herzklappeneingriff oder kombinierte Klappen-/Bypasseingriffe, ausschlaggebend für einen späteren Extubationszeitpunkt war. In der Dexmedetomidingruppe war die Gesamtdosis von Propofol nach 6 h geringer, und weniger Patienten benötigten additiv Midazolam zur adäquaten Sedierung. Auch war der Bedarf an Noradrenalin zur Erreichung definierter Blutdruckwerte in der Dexmedetomidingruppe im Vergleich zur morphinbasierten Analgosedierung signifikant geringer. Bezüglich des Einsatzes additiver Pharmaka wie Haloperidol, Dobutamin oder Glyceroltrinitrat gab es keine signifikanten Unterschiede. Als unerwünschte Nebenwirkung traten in der Dexmetedomidingruppe gehäuft Bradykardien, in der Morphinguppe Hypotensionen auf. Schlussfolgerung Die vorliegende Studie kann den postulierten Vorteil von Dexmedetomidin in der postoperativen Analgosedierung bezüglich der Deliriuminzidenz bei über 60-jährigen Patienten nach kardiochirurgischen Eingriffen nicht überzeugend belegen. Dennoch konnten in dieser Studiengruppe eine verkürzte Dauer des Deliriums, ein früherer Extubationszeitpunkt und weniger Hypotonien unter ausreichender Sedierung und Analgesie sowie ein geringerer Vasopressorengebrauch beobachtet werden. Dagegen traten häufiger Bradykardien im Vergleich zur Morphinstudiengruppe auf. Fazit für die Praxis Die Inzidenz eines Deliriums bei älteren, kardiochirurgisch versorgten Patienten ist v. a. von der Art des Eingriffs abhängig. In Anbetracht der mit einem Delirium einhergehenden erhöhten Mortalitätsrate und dem erhöhten Risiko von beatmeten Patienten für die Entwicklung ventilatorassoziierter Pneumonien stellt Dexmedetomidin im Vergleich zu Morphin bei diesem hoch speziellen Patientenkollektiv eine gute therapeutische Möglichkeit zur Analgosedierung unter Inkaufnahme von Bradykardien dar. Für den Nutzen von Dexmedetomidin für die Anästhesie und Intensivmedizin sind weitere Studien mit einem breiteren Patientenspektrum wünschenswert. Literatur 1.Muellejans B, Matthey T, Scholpp J, Schill M (2006) Sedation in the intensive care unit with remifentanil/propofol versus midazolam/fentanyl: a randomised, open- label, pharmacoeconomic trial. Crit Care 10:R91 2.Rolfson DB, McElhaney JE, Rockwood K et al (1999) Incidence of delirium and other adverse outcomes in older adults after coronary artery bypass graft surgery. Can J Cardiol 15:771–776 3.Ely EW, Shintani A, Truman B et al (2004) Delirium as a predictor of mortality in mechanically ventilated patients in the intensive care unit. JAMA 291:1753–1762 4.Dasta JF, Jacobi J, Sesti AM et al (2006) Addition of dexmedetomidine to standard sedation regimens after cardiac surgery: an outcomes analysis. Pharmacotherapy 6:798–805

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