MINOCA: Antithrombozytäre Intensivtherapie – ja oder nein?

Patienten ohne Obstruktion der Herzkranzgefäße haben nach einem Infarkt allgemein ein geringeres Risiko für weitere kardiovaskuläre Ereignisse als Infarktpatienten mit obstruktiver KHK. Eine intensivierte antithrombozytäre Therapie bringt ihnen keinen Vorteil, einer internationalen Studie zufolge schadet sie ihnen möglicherweise sogar. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Bei etwa jedem zehnten Herzinfarktpatienten lässt sich in der Koronarangiografie keine Obstruktion der Koronararterien erkennen (myocardial infarction without obstructive coronary artery disease, MINOCA). Ob diese Patienten ähnlichen Nutzen aus der üblichen dualen antithrombozytären Therapie (DAPT) ziehen wie diejenigen mit obstruktiver KHK, ist bislang weitgehend ungeklärt. Ob gar eine Clopidogrel-intensivierte duale Plättchentherapie vorteilhaft ist, haben jetzt Matthias Bossard vom Herzzentrum des Luzerner Kantonsspitals und Kollegen untersucht. Hierzu werteten sie in einer Post-hoc-Analyse die Daten der randomisierten multinationalen Studie „Clopidogrel and Aspirin Optimal Dose Usage to Reduce Recurrent Events-Seventh Organisation to Assess Strategies in Ischaemic Symptoms“ (CURRENT-OASIS7) aus. In die Analyse eingeschlossen wurden Patienten, bei denen eine Koronarangiografie mit der Absicht einer perkutanen Koronarintervention innerhalb von 72 Stunden nach Klinikaufnahme geplant war. Die Patienten mit akutem Koronarsyndrom erhielten Clopidogrel entweder in doppelter Dosis (600 mg an Tag 1; 150 mg an den Tagen 2–7 und danach 75 mg/Tag) oder in der Standarddosierung (300 mg an Tag 1, danach 75 mg/Tag). Die Studienautoren überprüften den Effekt der beiden Dosierungen bei Patienten mit MINOCA im Vergleich zu Infarktpatienten mit obstruktiver KHK. Unter den 23.783 Patienten mit Myokardinfarkt waren 1599 (6,7%) mit MINOCA. In der multivariablen Analyse ergaben sich einige Prädiktoren für MINOCA: jüngeres Alter, weibliches Geschlecht, Vorliegen eines Nicht-ST-Hebungsinfarkts (NSTEMI), Herzinsuffizienz, kein Diabetes, Nichtraucherstatus und die Abwesenheit vorbestehender kardiovaskulärer Erkrankungen; außerdem eine niedrige Leukozytenzahl, ein niedriger Blutdruck sowie die Medikation mit Antithrombotika vor der Randomisierung. Insgesamt verstarben bis zum Tag 30 in der MINOCA-Gruppe weniger Patienten als in der Gruppe mit Obstruktion (0,6% vs. 2,3%). Geringer war zudem die kardiovaskuläre Mortalität (0,6% vs. 2,2%) und es traten seltener erneute Infarkte (0,5% vs. 2,3%) oder größere Blutungen (0,6% vs. 2,4%) auf. MINOCA: höheres kardiovaskuläres Risiko bei Intensivierung 2,1% der MINOCA-Patienten mit doppelter Clopidogreldosis und 0,8% mit Standarddosierung erreichten den primären Studienendpunkt. Damit lag das Risiko für kardiovaskulären Tod, Myokardinfarkt oder Schlaganfall innerhalb von 30 Tagen in der MINOCA-Gruppe bei hoher Dosierung 3,6-mal höher als unter der Standarddosis. In der Gruppe der Infarktpatienten mit obstruktiver KHK war das Risiko bei doppelter Dosis dagegen um 9% niedriger (4,3% bzw. 4,7%). Während die Dosierung in der MINOCA-Gruppe hinsichtlich des Blutungsrisikos keine Rolle spielte, zeigte sich bei Infarktpatienten mit Obstruktion bei doppelter Clopidogreldosis ein um 26% und damit signifikant höheres Risiko für schwere Blutungen. Aufgrund ihrer Studienergebnisse kommen Bossard und Kollegen zu folgendem Schluss: Patienten mit MINOCA haben allgemein ein geringeres Risiko für ein wiederkehrendes kardiovaskuläres Ereignis als Infarktpatienten mit obstruktiver KHK. Im Vergleich zur Standard-DAPT hat die intensivierte Therapie für diese Patienten keine Vorteile und birgt möglicherweise sogar Gefahren. Die vermehrten kardiovaskulären Ereignisse unter der Doppeldosis Clopidogrel in der MINOCA-Gruppe, so die Kardiologen, ließen erkennen, wie dringend die optimale Dosierung der antithrombozytären Therapie bei diesen Patienten in weiteren Studien untersucht werden müsse. Standardmäßig sei die Intensivierung bei MINOCA-Patienten derzeit nicht zu empfehlen. Vielmehr raten Bossard und Kollegen zu einem individualisierten Vorgehen entsprechend der zugrundeliegenden Pathologie. So könnten beispielsweise Patienten mit Plaque-Erosionen oder Rupturen möglicherweise von einer aggressiveren antithrombotischen Therapie profitieren. Das Wichtigste in Kürze Frage: Welchen Effekt hat die Verdopplung der Clopidogreldosis bei Herzinfarktpatienten ohne Obstruktion der Koronararterien (MINOCA)? Antwort: Eine Clopidogrel-Intensivierung innerhalb der DAPT brachte für MINOCA-Patienten keinen Vorteil und könnte möglicherweise sogar mit Risiken verbunden sein. Bedeutung: Es besteht dringender Forschungsbedarf zur optimalen antithrombozytären Therapie für diese spezielle Patientengruppe. Derzeit sollte die Therapie mit Vorsicht erfolgen und an die zugrundeliegende Pathologie der Patienten angepasst werden. Einschränkung: Post-hoc-Analyse mit geringer Zahl an Ereignissen in der MINOCA-Gruppe.

Springer Medizin

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