Vericiguat ergänzt den Schutz der Basistherapie

Die Therapie der Herzinsuffizienz (HF) wandelt sich derzeit angetrieben durch Erkenntnisse aus Klinik und Praxis sowie die Einführung neuer Therapieoptionen wie das 2021 zugelassene Vericiguat. Doch in welcher klinischen Situation kommt wer für eine Verschreibung des Stimulators der löslichen Guanylatzyklase (sGC) infrage? Und: Was ist im Umgang mit der neuen Therapieoption noch zu beachten? Diese und weitere Fragen diskutierten in der Klinik und Niederlassung tätige Kardiologinnen und Kardiologen bei einem virtuellen Expertenworkshop. Auf Basis der Beratungsergebnisse wurde danach ein Praxisleitfaden zum Einsatz von Vericiguat bei chronischer HF nach Dekompensation erstellt. Springer Medizin Verlag GmbH × Die HF ist ein komplexes klinisches Syndrom, das mit einer hohen Krankheitslast für die Betroffenen sowie hoher Morbidität und Mortalität einhergeht und sich damit auch gesundheitsökonomisch auswirkt. „Bei Menschen über 65 Jahren ist die HF der häufigste Grund für eine Aufnahme ins Krankenhaus und die weltweite Gesamtkostenbelastung durch die HF beläuft sich pro Jahr auf etwa 108 Milliarden Dollar“, erläuterte Prof. Dr. Dr. Stephan von Haehling, Göttingen [1, 2]. Auch unter einer optimierten Standardtherapie ist das Risiko von Dekompensationen nach wie vor hoch. Da mit häufig auftretenden Dekompensationen die Gesamtmortalität steigt, besteht ein Bedarf für eine intensivierte Therapie [3]. Eine Verschlechterung der HF ist prognostisch immer ungünstig. Betroffene mit erhöhtem Risiko benötigen mehr als nur die Basistherapie.“ Prof. Dr. Dr. Stephan von Haehling von Haehling × Wirkprinzipien kombinieren Die 2021 aktualisierten europäischen Leitlinien zur Behandlung der HFrEF, also einer HF mit reduzierter Ejektionsfraktion (≤40 %), geben keine Therapiesequenz mehr vor, sondern empfehlen, die Basistherapie gleichzeitig mit einer Kombination aus vier Medikamenten zu beginnen, bestehend aus ACE-Inhibitor oder ARNI, Betablocker, MRA und SGLT2-Inhibitor. Neu aufgenommen wurde zudem die Empfehlung (IIB), den sGC-Stimulator Vericiguata (Verquvo®) einzusetzen, wenn sich eine HF trotz einer Behandlung mit ACE-Inhibitoren (oder ARN-I), Betablockern und MRA verschlechtert [4]. „Für Vericiguat spricht, dass es einen zusätzlichen, bei der HF neuen Wirkmechanismus für die Therapie bietet: Der sGC-Stimulator ist in der Lage, den bei der HF beeinträchtigten NO-sGC-cGMP-Signalweg wiederherzustellen“, erläuterte von Haehling (Abb. 1) [5–12]. Abb. 1: Die aktuell verfügbaren Herzinsuffizienz-Therapien setzen an verschiedenen Signalwegen an (modifiziert nach: [5–12]) Springer Medizin Verlag GmbH × Verlauf progredient Die chronische HF verläuft progredient und viele Betroffene erleiden immer wieder akute Dekompensationen, obwohl sie eine leitliniengerechte medikamentöse Basistherapie erhalten (Abb. 2) [13, 14]. Eine HF-Dekompensation ist gekennzeichnet durch fortschreitende Anzeichen und Symptome wie Wassereinlagerungen, Kurzatmigkeit und Husten, die trotz Basistherapie eine Intensivierung der Behandlung erfordern. Dazu gehört entweder eine Hospitalisierung aufgrund der HF mit intravenöser (i. v.) Diuretika-Gabe oder eine ambulante Behandlung mit i. v. Diuretika [14–17]. Abb. 2: Klinischer Verlauf der Herzinsuffizienz (modifiziert nach [13]) Springer Medizin Verlag GmbH × Jedes Dekompensationsereignis bedeutet für das Herz einen unwiederbringlichen Funktionsverlust, der in eine Abwärtsspirale münden kann. Dabei steigt das Risiko für erneute Hospitalisierung und Mortalität: „Während das mediane Überleben bereits nach der ersten Hospitalisierung nur bei 2,4 Jahren liegt, beträgt es nach der vierten Hospitalisierung lediglich noch etwa sieben Monate“, berichtete von Haehling [18]. Dekompensation prognostisch sehr ungünstig Auch eine vor Kurzem publizierte retrospektive Analyse von Daten aus amerikanischen Patientenakten konnte zeigen, dass eine sich verschlechternde chronische HF prognostisch äußerst ungünstig ist: Im Vergleich zu neu an HF Erkrankten waren bei Patientinnen und Patienten mit sich verschlechternder HF die Krankenhaussterblichkeit (2,9 % versus 4,0 %; p=0,001) sowie die 30-Tage-Ereignisraten für Sterblichkeit (4,3 % versus 8,2 %; p=0,001) und die Wiederaufnahme in die Klinik aufgrund von HF (4,2 % versus 9,8 %; p<0,001) oder aufgrund jeglicher Ursache (7,5 % versus 15,1 %; p<0,001) jeweils signifikant höher [19]. „Diese Ergebnisse zeigen klar, dass Patientinnen und Patienten mit erhöhtem Risiko infolge einer sich verschlechternden HF mehr als nur die Basistherapie benötigen“, postulierte von Haehling. Therapie und Nachsorge bei HFrEF Frühzeitig, gleichzeitig und individualisiert Frühzeitig, gleichzeitig und individualisiert: So sollte die medikamentöse Behandlung der Patientinnen und Patienten mit chronischer HF weitergeführt werden, die nach einem kürzlich aufgetretenen Dekompensationsereignis, das eine i. v. Therapie erforderte, stabilisiert wurden. Die Therapie der chronischen HF sollte darauf abzielen, erneute Dekompensationen zu verhindern, betonte Prof. Dr. Johannes Ruef, Frankfurt a. M. „Allerdings sinkt das kardiovaskuläre Risiko auch dann nicht auf null, wenn bei stabiler HFrEF – wie z. B. in der Studie DAPA-HFb – eine leitliniengerechte Therapie mit einem ARN-I, einem Betablocker, einem MRA und dem SGLT2-Hemmer Dapagliflozin erfolgt“, so der Kardiologe [20]. Die HF-Therapie muss individualisiert, unter Berücksichtigung von Nebenwirkungen und Komorbiditäten erfolgen.“ Prof. Dr. Johannes Ruef Fotostudio T. W. Klein × Dass Vericiguat bei symptomatischer chronischer HFrEF nach kürzlich aufgetretener Dekompensation einen zusätzlichen Schutz bieten kann, hat die speziell für diese Gruppe konzipierte Phase-III-Studie VICTORIAc gezeigt [11]. Test in einer Risikopopulation Ein Dekompensationsereignis war definiert als HF-bedingte Hospitalisierung (HFH) innerhalb von sechs Monaten oder erforderliche ambulante i. v. Gabe eines Diuretikums aufgrund von HF innerhalb der letzten drei Monate. Zu den Einschlusskriterien gehörten: linksventrikuläre Ejektionsfraktion (LVEF) <45 %, NYHA (New York Heart Association)-Klasse II–IV, erhöhte NT-proBNP-Werte. Auch Patientinnen und Patienten mit einer eGFR (geschätzten glomerulären Filtrationsrate) von ≥15ml/min/1,73 m2 nahmen an der Studie teil. Bei Studieneinschluss waren rund zwei Drittel der Teilnehmenden (67 %) vor weniger als drei Monaten aufgrund von HF hospitalisiert worden und 16 % benötigten vor weniger als drei Monaten eine i. v. Diuretikagabe ohne hospitalisiert werden zu müssen [11]. Erneute Ereignisse verhindern Mit Vericiguat zusätzlich zur Basistherapie wurde gegenüber der alleinigen Basistherapie eine klinisch relevante absolute Risikoreduktion von 4,2 Ereignissen pro 100 Patientenjahren im primären kombinierten Endpunkt aus kardiovaskulärem Tod oder erster HFH erzielt, was einer NNT (number needed to treat) von 24 entspricht [11]. Die Therapie mit dem sGC-Stimulator erwies sich als gut verträglich, unerwartete oder außergewöhnliche Sicherheitssignale wurden nicht beobachtet [11]. Auch bei der Subgruppe mit niedrigem Blutdruck (<110mmHg) ist Vericiguat demnach sicher anwendbar [21]. Die Gesamtrate unerwünschter Ereignisse lag in der Studie auf Placeboniveau, symptomatische Hypotonie und Synkopen traten unter Vericiguat nicht signifikant häufiger auf als in der Placebogruppe (9,1 % versus 7,1 %) [10]. Mit Vericiguat wurden somit in einer Risikopopulation, die bereits optimal auf die Basistherapie eingestellt war, eine zusätzliche, klinisch relevante und deutliche Reduktion des kardiovaskulären Risikos und der HFH-Rate erreicht. Frühe Therapieoptimierung Zur Frage, in welcher Situation Vericiguat konkret gegeben werden sollte, nannte Ruef drei mögliche klinische Szenarien: in der Postakutphase nach kardialer Dekompensation vor oder bei der Entlassung von stabilisierten Betroffenen bei weiter fortbestehender Symptomatik nach Dekompensation wenn andere HF-Medikamente aufgrund von Komorbiditäten wie Niereninsuffizienz, Hypotonie, Hyperkaliämie kontraindiziert sind (Abb. 3, 4). Abb. 3: Typische Szenarien für den Einsatz von Vericiguat bei Patientinnen und Patienten mit HFrEF nach Dekompensation mit erforderlicher Klinikeinweisung oder i.v. Diuretikagabe (vorgestellt von Prof. Dr. J. Ruef) Springer Medizin Verlag GmbH × Die Therapie mit Vericiguat sollte bei dafür geeigneten Patientinnen und Patienten individualisiert abhängig von Nebenwirkungen und Komorbiditäten eingeleitet werden: „Denn die stabile HF ist ein Mythos. Um das Risiko neuerlicher Dekompensationen und die Morbidität und Mortalität zu verringern, sollte die Behandlung mit Vericiguata so früh wie nur möglich nach der Optimierung der Basistherapie begonnen werden“, betonte Ruef [22, 23]. Abb. 4: Personalisierte medikamentöse Therapie der HFrEF – Welches Medikament eignet sich bei welchem Patienten (vorgestellt von Prof. Dr. J. Ruef) Springer Medizin Verlag GmbH × Die Leitlinie empfiehlt, die evidenzbasierte orale Basismedikation bei Personen, die aufgrund der HF hospitalisiert wurden, schon vor der Entlassung aus der Klinik einzuleiten. Ein bis zwei Wochen danach wird eine Nachuntersuchung empfohlen [4]. Die Aufdosierung von Vericiguat ist einfach: Gestartet wird mit der Dosis 2,5 mg für zwei Wochen. Abhängig von Blutdruck und klinischer Symptomatik – auszuschließen sind symptomatische Hypotonie, systolischer Blutdruck <90mmHg, Stauungssymptome – wird die Dosis nach jeweils zwei Wochen zunächst auf 5 mg und dann auf die Zieldosis von 10 mg aufdosiert [23]. Dies kann ohne weiteres bei den weiterbetreuenden Ärztinnen und Ärzten der Kardiologie oder Allgemeinmedizin geschehen. Intersektorale Zusammenarbeit „Wer eine gute sektorenübergreifende Versorgung erfährt, hat die beste Prognose“, stellte Prof. Dr. Christian Zugck, Straubing, fest. Diese sei allerdings aus organisatorischen Gründen herausfordernd. Als mögliche Lösungsansätze zur Verbesserung nannte Zugck die Etablierung von HF-Netzwerken, in denen Kardiologinnen und Kardiologen in Klinik und Praxis sowie in der hausärztlichen Betreuung zusammenarbeiten und von einer strukturierten telemedizinischen Versorgung. „Sie ist sehr wichtig, weil sie die Möglichkeit bietet, Betroffene zu coachen“, unterstrich der Kardiologe. In seiner Praxis bewährt habe sich auch ein selbst entwickeltes Handout, auf dem die Patientinnen und Patienten Informationen zur Einnahme und zum Wirkmechanismus von Vericiguat nachlesen können. Wir brauchen die interdisziplinäre Zusammenarbeit zum Nutzen der Patienten.“ Prof. Dr. Christian Zugck Zugck × ACE=Angiotensin Converting Enzyme; ARB=Angiotensin-Rezeptorblocker; MRA= Mineralokortikoid-Rezeptor-Antagonist; ARN-I=Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitor; NT-proBNP=aminoterminales pro-Brain natriuretisches Peptid; SGLT2-I= Natrium-Glucose-Cotransporter-2-Inhibitor a Verquvo® (Vericiguat) ist von der Europäischen Kommission zugelassen zur Behandlung der symptomatischen, chronischen Herzinsuffizienz bei Erwachsenen mit reduzierter Ejektionsfraktion, die nach einem kürzlich aufgetretenen Dekompensationsereignis, das eine i. v. Therapie erforderte, stabilisiert wurden.; b Dapagliflozin and Prevention of Adverse Outcomes in Heart Failure; c VICTORIA = VerICiguaT glObal study in patients with heart failure with Reduced ejectIon fraction Literatur Maggioni AP et al., Eur J Heart Fail 2016, 18:402–410 Cook C et al., Int J Cardiol 2014, 171:368–376 Crespo-Leiro MG et al., EHJF 2016, 18:613–625 McDonagh TA et al., Eur Heart J 2021, 42:3599–3726 Mann DL et al., Braunwald’s Heart Disease: A Textbook of Cardiovascular Medicine. 10th edn. Elsevier/Saunders, 2015 Yancy CW et al., J Am Coll Cardiol 2017, 70:776–803 Triposkiadis F et al., J Am Coll Cardiol 2009, 54:1747–1762 Ponikowski P et al., Eur J Heart Fail 2016; 18:891–975 Matsumura K, Sugiura T, Cardiovasc Ultrasound 2019, 17:26 Armstrong PW et al., JACC Heart Fail 2018, 6:96–104 Armstrong PW et al., N Engl J Med 2020, 382:1883–1893 Nightingale B, Cardiol Res 2021, 12:60–66 Greene SJ et al., Circ Heart Fail 2020, 13:e007132 Butler J al., J Am Coll Cardiol 2019, 73:935–944 Gheorghiade M et al., Am J Cardiol 2005, 96(6A):11G–17G Cowie MR et al., ESC Heart Fail 2014; 1:110–145 Greene SJ et al., JAMA Cardiol 2018, 3:252–259 Setoguchi S et al., Am Heart J 2007, 154:260–266 Greene SJ et al., J Am Coll Cardiol 2021, 77:1023–1025 McMurray JJV et al., N Engl J Med 2019, 381:1995–2008 Lam CSP, J Am Heart Assoc 2021, 10:e021094 Rosano GMC et al., Eur J Heart Fail 2021, 23:872–881 Fachinformation Verquvo®, Stand Juli 2021 Nationale VersorgungsLeitlinie (NVL) Chronische Herzinsuffizienz, 3. Aufl. 2019, Vers. 2, AWMF-Register-Nr.: nvl-006 NVL Chronische Herzinsuffizienz, 3. Auflage, 2019, Vers. 3 (2021) – Konsultationsfassung Fachinformation Entresto®, Stand Mai 2021 Fachinformation Spironolacton STADA®, Stand Januar 2022 Fachinformation Inspra®, Stand September 2020 Fachinformationen Forxiga®, Stand November 2021 Fachinformation Jardiance®, Stand März 2022 Impressum Springer Medizin ExpertenWorkshop „Therapie und Versorgung von HFrEF-Patienten“, online, 12. Mai 2022 Bericht: Dr. Silke Wedekind, Frankfurt a. M. Artikel gedruckt in Die Innere Medizin 8/2022; Cardio News 7-8/2022; Die Kardiologie 4/2022 Mit freundlicher Unterstützung der Bayer Vital GmbH, Leverkusen Corporate Publishing (verantwortl. i. S. v. § 55 Abs. 2 RStV): Ulrike Hafner, Tiergartenstraße 17, 69121 Heidelberg Redaktion: Sabine Jost Springer Medizin Verlag GmbH Heidelberger Platz 3 14197 Berlin Tel: 0800 7780 777 (kostenfrei) | +49 (0) 30 827 875 566 Fax: +49 (0) 30 827 875 570 E-Mail: kundenservice@springermedizin.de Die Springer Medizin Verlag GmbH ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Nature Geschäftsführung: Fabian Kaufmann, Dr. Cécile Mack, Dr. Hendrik Pugge Handelsregister Amtsgericht Berlin-Charlottenburg HRB 167094 B Umsatzsteueridentifikationsnummer: DE 230026696 © Springer Medizin Verlag GmbH Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. PDF-Download: Chronische Herzinsuffizienz nach Dekompensation - Vericiguat ergänzt den Schutz der Basistherapie

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