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10.01.2022 | Herzinsuffizienz | Nachrichten

Was es 2021 in der Kardiologie Neues gab: Herzinsuffizienz

verfasst von: Peter Overbeck

Neue „universelle“ Definition, neue europäische Leitlinien, neue klinische Studien – beim Thema Herzinsuffizienz hat sich auch im Jahr 2021 wieder viel getan, über das Sie informiert sein sollten.

Herzinsuffizienz in ihren unterschiedlichen Formen war auch 2021 wieder ein großes Thema in der Kardiologie. Dabei handelt es sich bekanntlich um keine spezifische Erkrankung, sondern um ein klinisches Syndrom mit ganz unterschiedlichen Ätiologien und zugrunde liegenden Pathologien. Dementsprechend variabel sind die in der wissenschaftlichen Literatur, in Leitlinien sowie in der Praxis kursierenden Definitionen von Herzinsuffizienz.

Erstes Konsensus-Papier zur „universellen“ Definition von Herzinsuffizienz

Um einer dadurch hervorgerufenen Verwirrung vorzubeugen, wollten drei internationale Fachgesellschaften 2021 mit der Erstellung und Publikation eines Konsensuspapiers mit dem Titel „Universal Definition and Classification of Heart Failure“ endlich für eine verbindliche definitorische Standardisierung sorgen. Ihre vorgeschlagene Definition einer Herzinsuffizienz lautet:

  • „Herzinsuffizienz ist ein klinisches Syndrom mit aktuell bestehenden oder zuvor aufgetretenen Symptomen und/oder Zeichen, die durch strukturelle und/oder funktionelle kardiale Störungen (wie Auswurffraktion <50%, pathologische Ventrikelerweiterung, E/E’ >15, moderate/schwere ventrikuläre Hypertrophie oder moderate/schwere Herzklappenstenose oder -insuffizienz) verursacht werden“.

Die Definition beinhaltet darüber hinaus mindestens eines der folgenden zwei Charakteristika, nämlich erhöhte Spiegel für natriuretische Peptide und/oder Evidenz für eine kardiogene pulmonale oder systemische Stauung, objektiviert mittels Bildgebung oder hämodynamischer Messung.

Eine Änderung wird im Konsensuspapier bei der Kategorisierung der Herzinsuffizienz anhand der linksventrikulären Ejektionsfraktion (LVEF) vorgeschlagen. Vier LVEF-basierte Herzinsuffizienz-Klassen werden aufgelistet:

  • HF with reduced EF (HFrEF): Herzinsuffizienz mit reduzierter LVEF ≤40%.
  • HF with mildly reduced EF (HFmrEF): Herzinsuffizienz mit leichtgradig erniedrigter LVEF 4149%.
  • HF with preserved EF (HFpEF): Herzinsuffizienz mit erhaltener LVEF ≥50%.
  • HF with improved EF (HFimpEF): Herzinsuffizienz mit einer LVEF ≤40% zu Beginn, die sich um ≥10 Prozentpunkte verbessert und bei einer zweiten LVEF-Messung >40% beträgt.

Die Einführung einer eigenen „HFimpEF-Kategorie wird damit begründet, dass auch nach Verbesserung einer bei Patienten mit HFrEF zuvor erniedrigten LVEF (≤40%) auf dann Werte zwischen 41% bis 49% respektive ≥50% besser nicht von HFmrEF respektive HFpEF gesprochen werden sollte. Denn in der TRED-HF-Studie habe sich gezeigt, dass ein gutes Ansprechen auf die Herzinsuffizienz-Therapie nur einer „Remission“ gleichkomme, nicht aber einer dauerhaften „Heilung“. Eine leitliniengerechte HFrEF-Therapie sollte deshalb auch nach entsprechenden LVEF-Verbesserungen unverändert beibehalten werden, da ein Absetzen die Prognose verschlechtern könnte.

Was sich 2021 in den neuen Leitlinien geändert hat

Dass die Kategorie HFmrEF künftig für „heart failure with mildly reduced ejection fraction“ (und nicht mehr – wie zuvor – für „heart failure with mid-range ejection fraction“) stehen soll, ist auch in die Mitte 2021 vorgestellten neuen ESC-Leitlinien zur Herzinsuffizienz als Änderung übernommen worden. Die semantische Modifizierung verdankt sich der zunehmenden Erkenntnis, dass HFrEF und HFmrEF mehr Gemeinsamkeiten als Trennendes aufweisen und viele Patienten mit Herzinsuffizienz des HFmrEF-Typs anscheinend in ähnlichem Maß von den bei HFrEF indizierten Therapien profitieren wie Patienten mit HFrEF.

Eine grundlegende Änderung hat es in den neuen ESC-Leitlinien beim Therapiealgorithmus für Patienten mit HFrEF gegeben. Bei diesen Patienten konnte eine Reduktion von Morbidität und Mortalität in den vergangenen Jahrzehnten zunächst für ACE-Hemmer/Angiotensin-Rezeptorblocker (ARB), dann für Betablocker, danach für Mineralkortikoid-Rezeptorantagonisten (MRA) sowie für den Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitor (ARNI) Sacubitril/Valsartan und in jüngster Zeit für SGLT2-Hemmer dokumentiert werden.

Diese historische Abfolge des Wirkungsnachweises bestimmte bislang das empfohlene und relativ zeitaufwändige Stufenschema, nach dem die Einstellung von Patienten mit HFrEF auf prognoseverbessernde Therapien erfolgen sollte. Auch wurde dazu geraten, die Dosis des jeweiligen Medikaments zunächst auf die empfohlene Zieldosis aufzutitrieren, bevor der nächste Schritt gemacht wird.

„Vier Säulen“ der medikamentösen Therapie bei HFrEF

An die Stelle des konventionellen und relativ zeitaufwändigen Stufenschemas ist in den neuen ESC-Leitlinien ein vereinfachter Algorithmus für eine beschleunigte Therapie getreten. Danach soll jeder Patient mit diagnostizierter HFrEF künftig rasch einen ACE-Hemmer oder Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitor, einen Betablocker, einen MRA plus einen SGLT2-Hemmer (Dapagliflozin oder Empagliflozin) erhalten. Für alle vier Substanzgruppen wird eine Klasse-IA-Empfehlung ausgesprochen. Die Behandlung mit den vier Standardmedikamenten sollte so schnell und so sicher wie möglich begonnen werden.

Aber was bedeutet das praktisch? Eine einheitliche Therapiesequenzierung wird in den neuen Leitlinien nicht mehr vorgegeben. Die Entscheidung, in welcher Abfolge und in welchem Zeitrahmen die Einstellung auf die „vier Säulen“ der medikamentösen Standardtherapie künftig erfolgen soll, bleibt somit den Ärzten überlassen.

An klinischen Studien, die den Weg zur optimalen Therapieeinleitung weisen könnten, mangelt es derzeit. Inzwischen sind von Expertenseite diverse Vorschläge unterbreitet worden, die aber nicht unbedingt auf ungeteilte Zustimmung gestoßen sind. Einig scheint man sich zumindest in einem Punkt zu sein: Die Umsetzung der Leitlinienempfehlungen zur evidenzbasierten Herzinsuffizienz-Therapie in der Praxis ließ schon bisher zu wünschen übrig. Wie konsequent die neuen und noch anspruchsvoller gewordenen Empfehlungen bezüglich der medikamentösen Vierer-Kombination künftig umgesetzt werden, bleibt abzuwarten.

Vericiguat als Neuling in den Leitlinien

Beibehalten wurde in den neuen Leitlinien im Übrigen die Empfehlung, eine ARNI-Therapie mit Sacubitril/Valsartan primär als Ersatz für den ACE-Hemmer bei unter dieser Therapie symptomatischen Patienten zu nutzen (Klasse-I-Empfehlung). Eine First-Line-Therapie mit einem ARNI als Alternative zum ACE-Hemmers könne aber erwogen werden (IIb-Empfehlung). 

Mit Vericiguat ist erstmals ein Stimulator der löslichen Guanylatzyklase in die Herzinsuffizienz-Leitlinien aufgenommen worden. Das Medikament könne in Betracht gezogen werden bei Patienten mit NYHA-Klasse II–IV, wenn sich ihr Zustand trotz Behandlung mit einem ACE-Hemmer (oder ARNI), Betablocker und MRA weiter verschlechtert, um das Risiko für kardiovaskuläre Mortalität und Klinikeinweisungen wegen Herzinsuffizienz zu reduzieren (IIb-Empfehlung).

Durchbruch mit SGLT2-Hemmer bei HFpEF

Dass Leitlinien nicht selten schon am Tag ihrer Publikation revisionsbedürftig sind, gilt auch für das neueste Update der ESC-Guidelines zur Herzinsuffizienz. Denn fast zur gleichen Zeit wie die Leitlinien sind Mitte 2021 beim ESC-Kongress auch die Ergebnisse der Studie EMPEROR-Preserved vorgestellt worden.

Der SGLT2-Hemmer Empagliflozin reduzierte in dieser Studie bei Patienten mit Herzinsuffizienz und LVEF > 40% innerhalb von etwas mehr als zwei Jahren das Risiko für kardiovaskuläre Todesfälle und Klinikaufenthalte wegen sich verschlechternder Herzinsuffizienz (kombinierter primärer Endpunkt) signifikant um 21% im Vergleich zu Placebo (13,8% vs. 17,1%; Hazard Ratio, HR: 0,79; p < 0,001). Ausschlaggebend für den Unterschied beim primären Endpunkt war eine signifikante relative Reduktion von Klinikeinweisungen wegen Herzinsuffizienz um 29% (8,6% vs. 11,8%; HR: 0,71). Bei der kardiovaskulären Mortalität zeigte sich nur ein Trend zur Abnahme unter Empagliflozin.

Auch bei „echter“ HFpEF von Nutzen

EMPEROR-Preserved ist als erste randomisierte Studie gefeiert worden, die den klinischen Nutzen einer medikamentösen Therapie bezüglich der Prävention schwerwiegender Herzinsuffizienz-Ereignisse bei Patienten mit Herzinsuffizienz des HFpEF-Typs unter Beweis gestellt hat. Empagliflozin habe das Potenzial, eine neue Standardtherapie für diese Patienten zu werden, für die es gegenwärtig wenig Therapiemöglichkeiten gebe, prognostizierte Studienleiter Prof. Stefan Anker von der Charité Berlin.

EMPEROR-Preserved ist aber keine exklusiv auf Patienten mit HFpEF zugeschnittene Studie. Unten den insgesamt knapp 6.000 Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern waren auch 1.983 Patienten, bei denen angesichts von LVEF-Werten zwischen 41% und 49% eine HFmrEF bestand. Eine jüngst publizierte Subanalyse bestätigt aber, dass Empagliflozin auch der großen Subgruppe der Studienteilnehmer mit Herzinsuffizienz und LVEF ≥50% – also jenen mit „echter“ HFpEF – von signifikantem klinischem Nutzen war, ebenso in der kleineren Subgruppe mit HFmrEF.

Empagliflozin ist damit das erste Therapeutikum, das sich bei Herzinsuffizienz über die gesamte Bandbreite der LVEF vor allem hinsichtlich der Reduktion von Hospitalisierungen wegen Herzinsuffizienz als klinisch wirksam erwiesen hat, also sowohl bei HFrEF als auch bei HFmrEF und HFpEF. Ein anderer SGLT2-Hemmer könnte bald folgen: Ergebnisse einer ähnlich wie EMPEROR-Preserved konzipierten Studie mit Dapagliflozin (DELIVER) bei rund 6.200 Herzinsuffizienz-Patienten mit LVEF >40% werden demnächst erwartet.

Neues zur ARNI-Therapie

Nicht ganz so gut verlief das Jahr 2021 für die die ARNI-Therapie mit Sacubitril/Valsartan – zumindest was neue Studien betrifft. Einige klinische Studien, in denen das Potenzial dieser Herzinsuffizienz-Therapie weiter ausgelotet werden sollte, haben die Erwartungen nicht erfüllt.

So sollte die beim ACC-Kongress 2021 präsentierte PARADISE-MI-Studie den Nachweis erbringen, dass Patienten mit akutem Myokardinfarkt durch eine früh begonnene Postinfarkttherapie mit Sacubitril/Valsartan vor kardiovaskulär verursachtem Tod und Herzinsuffizienz-Ereignissen (primärer kombinierter Endpunkt) geschützt werden können. Trotz numerischer Trends zugunsten der ARNI-Therapie konnte deren klinische Überlegenheit im Direktvergleich mit dem ACE-Hemmer Ramipril jedoch nicht eindeutig belegt werden. Beteiligt an der Studie waren mehr als 5.600 Infarktpatienten mit Zeichen einer Lungenstauung und/oder LVEF ≤40%.

Auch in der LIFE-HF-Studie wurde der Nachweis einer Überlegenheit der ARNI-Therapie verfehlt. Geklärt werden sollte die Frage, ob Sacubitril/Valsartan auch bei Patienten mit schwerer fortgeschrittener Herzinsuffizienz des HFrEF-Typs (LVEF ≤35%, im Schnitt 20%) einer alleinigen Behandlung mit Valsartan ohne Neprilysin-Inhibitor überlegen sein könnte. Weder bezüglich der Reduktion der NT-proBNP-Spiegel (primärer Endpunkt) noch bei den klinischen Ereignissen ergaben sich Vorteile zugunsten von Sacubitril/Valsartan. Allerdings war die Studienablauf durch die Folgen der Corona-Pandemie beeinträchtigt, worunter auch die statistische „power“ der Studie gelitten hat.

Erste Zulassungserweiterung über HFrEF hinaus

Zur ARNI-Therapie gab es 2021 aber auch Erfreulicheres zu berichten. Denn die US-Gesundheitsbehörde FDA hat zu Beginn des Jahres Sacubitril/Valsartan eine erweiterte Zulassung erteilt, die erstmals auch eine Behandlung von Patienten mit HFmrEF und HFpEF als Indikation partiell abdeckt. Basis dafür waren vor allem Ergebnisse von Post-hoc-Analysen von Daten der im Hauptergebnis nicht überzeugenden PARAGON-HF-Studie, wonach zumindest HFpEF-Patienten mit einer LVEF im Bereich 45% bis 57% von der ARNI-Therapie profitiert hatten.

Sacubitril/Valsartan ist demnach in den USA nun indiziert, um bei erwachsenen Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz das Risiko für kardiovaskulären Tod und Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz zu reduzieren. Der Nutzen sei am klarsten bei Patienten mit einer linksventrikulären Ejektionsfraktion (LVEF) „unterhalb des Normalbereichs“ (below normal) evident, so die FDA. Wo die Grenze zwischen normaler und subnormaler LVEF zu ziehen ist, wird allerdings nicht präzisiert. Die Entscheidung darüber, bei welchen Herzinsuffizienz-Patienten, deren LVEF höher als die bisher für HFrEF geltende Obergrenze liegt eine ARNI-Therapie indiziert ist, müssen damit die behandelnden Ärztinnen und Ärzten treffen.

2021 könnte also aus kardiologischer Sicht als das Jahr in die Geschichte eingehen, in dem – zumindest aus therapeutischer Sicht – die Grenzen zwischen den LVEF-basierten Herzinsuffizienz-Klassen ins Schwimmen geraten sind. Ob jemand eine HFrEF, eine HFmrEF oder HFpEF aufweist, ist für die Entscheidung darüber, welche Herzinsuffizienz-Therapie zum Einsatz kommen soll, weniger wichtig geworden. Denn jetzt gibt es Therapien, die übergreifend wirksam sind (siehe EMPEROR Preserved) oder verordnet (siehe FDA-Indikationserweiterung) werden können.

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