Überlebte Stromunfälle kommen eher selten zur rechtsmedizinischen Begutachtung. Ein 14 Monate alter Junge ohne bekannte Vorerkrankungen begann während eines Restaurantbesuchs im Bereich eines Abtrittrostes an einer Eingangstürschwelle zu krampfen. Während klinisch die Ursache des reanimationspflichtigen Zustands zunächst nicht geklärt werden konnte, zeigte die rechtsmedizinische Untersuchung eine Strommarke am linken Unterarm und Hinweise auf Stromeinwirkung an den Akren. Die elektrotechnische Begutachtung offenbarte kratzerartige Spuren und Anhaftungen von Aluminium an den Kupferleitern unter einer beschädigten Kabelisolation an dem Abtrittrost. Durch gleichzeitiges Berühren der geerdeten Türschwelle war es zum Stromfluss durch den Körper und zu lebensgefährlichen Herzrhythmusstörungen gekommen. Residual verblieb nach etwa 4 Wochen noch eine leichte globale Hirnatrophie. Mangels expliziter elektrotechnischer Mindestnormen wurden strafrechtliche Ermittlungen eingestellt. Bei unklaren Verletzungsmustern von Kindern sollte rechtsmedizinische Expertise frühestmöglich hinzugezogen werden.
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Einleitung
Durch Präventionsmaßnahmen wie Fehlerstromschutzschalter konnte die Frequenz häuslicher Stromunfälle stark gesenkt werden [1]. Die Begutachtung von Stromunfällen, insbesondere im Niederstrombereich, ist insgesamt auch im rechtsmedizinischen Alltag eher selten; klinisch tätige Ärzt:innen sehen entsprechende Befunde nur als Rarität. Dies führt dazu, dass der Einzelfall schnell übersehen oder missinterpretiert werden kann, erst recht, wenn eine „lehrbuchhafte“ Morphologie wie Strommarken der Haut fehlt.
Differenzialdiagnostisches ärztliches Wissen ist jedoch essenziell, da das Risiko letaler Herzrhythmusstörungen erfordert, präventiv jegliche potenziell weiterbestehende Gefahrenquelle sofort zu eliminieren.
Kasuistik
Sachverhalt
Ein 14 Monate alter Junge ohne bekannte Vorerkrankungen, bekleidet mit einem kurzärmeligen Body, einer Jeanslatzhose sowie Lauflernschuhen mit dünner Ledersohle, wurde bei einem Restaurantbesuch mit seinen Eltern während des Krabbelns im Bereich der Türschwelle im Eingangsbereich nach unvermittelt einsetzenden krampfenden Bewegungen reanimationspflichtig (initialer GCS-Score 3). Bereits vor Ort wurden bei Wechsel des initialen Herzrhythmus von einer Asystolie zum Kammerflimmern Reanimationsmaßnahmen, inkl. 2‑maliger Defibrillation durch zufällig (privat) anwesendes medizinisches Fachpersonal, eingeleitet. Nach ca. 30 min wurde ein „return of spontaneous circulation“ (ROSC) erreicht. Nach stationärer Aufnahme wurde die Verdachtsdiagnose „Krampfanfall mit Erbrechen und Aspiration (DD: Bolusereignis)“ gestellt.
Am linken Unterarm zeigte sich ein Hautbefund, der von den behandelnden Ärzt:innen als Brandverletzung III° infolge der Defibrillation interpretiert wurde (Abb. 1); am restlichen Körper wurden keine weiteren, frischen Verletzungsbefunde dokumentiert. Etwaige Raumforderungen im Schädelinneren konnten mittels cMRT ausgeschlossen werden; initial waren Veränderungen im Sinne eines hypoxischen Hirnschadens nicht zu attestieren. Während des stationären Aufenthalts wurde aufgrund generalisierter Krampfanfälle eine medikamentöse, antikonvulsive Therapie implementiert. Klinische Hinweise für ein Aspirationsereignis bestanden nicht.
Abb. 1
Strommarke an der linken Unterarmstreck-/-außenseite
Der Junge habe vor dem Ereignis eine unauffällige Entwicklung aufgewiesen, sei altersentsprechend bereits wenige, breitbasige Schritte gegangen und im Übrigen gekrabbelt.
Rechtsmedizinische und elektrotechnische Untersuchung
Die Eltern des Kleinkindes hätten das Restaurant nach mehreren Tagen erneut aufgesucht. Dabei sei ihnen im Eingangsbereich unter einem Abtrittrost ein Verlängerungskabel aufgefallen, dessen Kunststoffisolation eine Beschädigung aufgewiesen habe. Die Eltern hätten daraufhin die behandelnden Ärzte auf diesen Umstand mit der Frage nach einer möglichen Stromeinwirkung als Ursache der Symptome hingewiesen. Daraufhin wurde ein rechtsmedizinisches Konsil beauftragt. Bei der rechtsmedizinischen Untersuchung fand sich an der linken Unterarmstreckseite ein ovaler, etwa 1,5 × 0,9 cm messender Hautdefekt mit weißlich erhabenen Wundrändern und sich anschließender, blassrötlich-rosafarbener Verfärbung der Haut sowie kraterartiger Vertiefung des gräulich-schwärzlich verfärbten Zentrums. Die Morphologie konnte bereits für eine Strommarke sprechen. In unmittelbarer Umgebung zu dieser Verletzung befanden sich 2 kleinere, maximal 0,5 × 0,2 cm messende, ähnlich konfigurierte, oberflächlichere Hautbefunde. Weiterhin konnten an mehreren Fingerkuppen beider Hände sowie beidseits jeweils an mehreren Zehenkuppen an der Oberhaut weiße Hautfähnchen festgestellt werden, die an das Bild geöffneter Hautblasen denken ließen und gleichfalls als Stromeinwirkung interpretiert wurden (Abb. 2a,b). Klinisch waren diese Befunde an den Akren ohne Dokumentation in den Krankenunterlagen geblieben. In der mündlichen Erörterung mit den behandelnden Kinderärzt:innen wurden sie jedoch als Manifestation einer parainfektiösen Urtikaria gedeutet. Defekte an der getragenen Kleidung des Kindes konnten nicht eruiert werden.
Abb. 2
Schuppige Hautdefekte an Finger- (a) und Zehenkuppen (b)
Das Ergebnis der Konsilbegutachtung wurde bei potenziell aktuell fortbestehender Gefährdung für weitere Restaurantbesucher durch die Rechtsmedizin umgehend an die Kriminalpolizei gemeldet. Eine elektrotechnische Begutachtung fand nach Zuständigkeitsklärungen bei der Polizei final allerdings erst 19 Tage nach dem auslösenden Ereignis statt. Das Verlängerungskabel war laut Restaurantbesitzer weiter in einer Doppelsteckdose eingesteckt gewesen. Die technische Überprüfung zeigte, dass ein künstlich erzeugter Fehlerstrom auch bei maximaler Stromerzeugung zu keiner Unterbrechung des Stromflusses führte, da kein Fehlerstromschutzschalter vorhanden war. An den Kupferleitern unter der beschädigten Leiterisolation wurden im Elektronenmikroskop kratzerartige Spuren und Anhaftungen von Aluminium detektiert. Der Boden des Abtrittrostes, unter welchem das Kabel verlegt war, war mit kantigen Profilschienen aus Aluminium verkleidet (Abb. 3 und 4).
Abb. 3
Verlauf des Verlängerungskabels unter dem Abtrittrost (a, b)
Damit war folgendes Szenario wahrscheinlich: Der 14 Monate alte Junge überquerte krabbelnd die unter Strom stehende Fußmatte, wobei er mit einem Teil des Körpers die geerdete Türschwelle und mit einem anderen die Fußmatte berührte, sodass es zum Stromfluss von 230 V durch den Körper, der lebensgefährliche Herzrhythmusstörungen auslöste, kam (Illustration in Abb. 5).
Das Kind musste im Verlauf das Krabbeln während der poststationären Rehabilitationsbehandlung erst wieder neu lernen. In einer etwa 4 Wochen später durchgeführten cMRT-Verlaufskontrolle zeigte sich als Residuum noch eine leichte globale Hirnatrophie.
Diskussion
Valide Zahlen bezüglich überlebter Stromunfälle bei Kindern in Deutschland existieren nicht. Gemäß Todesursachenstatistik verstarben im Jahr 2022 in Deutschland insgesamt 121 Menschen durch Einwirkung von elektrischem Strom, von den lediglich 3 unter 20 Jahre alt waren [2]. Auch international sind Fallberichte über (überlebte) Stromunfälle im klinischen Kontext rar [3‐5]. Stromunfälle durch Niederspannung (< 1000 V) ereignen sich dabei überwiegend im Haushalt bei kleineren Kindern, insbesondere im Zusammenhang mit unsachgemäßer Sicherung von Steckdosen oder durch Beißen in Stromkabel; Hochspannungsunfälle (> 1000 V) betreffen häufiger Heranwachsende bei risikobehafteten Tätigkeiten (z. B. Klettern auf Strommasten, S‑Bahn-Surfen) oder bei Erwachsenen infolge suizidaler Handlungen [6‐9].
Unserem Wissen nach ist bisher kein vergleichbarer pädiatrischer Stromunfall, welcher sich in einem öffentlichen Lokal ereignete, publiziert worden.
Die Einwirkung von Strom geht in Abhängigkeit der einwirkenden Spannung und Stromstärke, der Kontaktdauer, der Richtung des Stromflusses, der getragenen Bekleidung und dem umgebenden Medium nicht immer mit umschriebenen, an der Haut lokalisierten Strommarken einher, wodurch die rechtzeitige Diagnose eines Stromunfalls erschwert sein kann. Eine typische Strommarke ist gekennzeichnet durch eine zentral braun bis schwärzlich verfärbte Eindellung oder eine Nekrosezone, welche von einem typischerweise porzellanfarbenen, blasig aufgeworfenen Randwall, der rosig bis rötlich begrenzt sein kann, umgeben ist [10]. Im vorliegenden Fall war trotz zeitlicher Latenz zwischen Vorfall und rechtsmedizinischer Untersuchung eine eindeutig als Strommarke zu bezeichnende Hautläsion evident, welche am wahrscheinlichsten durch Hautkontakt des Unterarms beim Krabbeln des Kindes mit dem unter Spannung stehenden Gitterrost der Fußmatte verursacht wurde. Ihre (recht-)zeitigere Diagnose hätte eine existente Gefahrenquelle in dem Restaurant auch für andere Besucher schneller aufheben können. Gleichwohl es für den erwachsenen Restaurantbesucher mit beschuhtem Fuß wohl keine vergleichbare Risikosituation gab, wäre ein weiteres krabbelndes Kind, eine an der Türschwelle stolpernde Person oder ein mitgebrachtes Haustier gleichfalls erheblich gefährdet gewesen.
Die Einwirkung von Wechselstrom erzeugt eine Muskeltetanie durch kontinuierliche Kontraktion und Entspannung bei jedem Zyklus und ist daher gefährlicher als einwirkender Gleichstrom. Der Wechselstrom im Haushalt kann somit den Herzzyklus erheblich stören und zu lebensgefährlichen Herzrhythmusstörungen (Kammerflimmern oder Asystolie) führen.
Die primäre klinische Einordnung der Strommarke am linken Unterarm als Defibrillationsfolge erscheint überraschend. Weder ist die lokale thermische Hautreaktion bei Defibrillationen von Kindern überhaupt typisch, noch wäre sie für den Fall ihres Auftretens an jener peripheren Körperlokalisation zu erwarten. Pädiatrische Reanimationen gehen üblicherweise nur mit kleineren, unspezifischen Hautbefunden (wie Schürfungen oder Unterblutungen) oberhalb des Sternums einher [11].
In der juristischen Würdigung des Vorfalls ist festzuhalten, dass in Deutschland keine expliziten technischen Arbeitsvorschriften für die Verlegung von Verlängerungsleitern existieren. Darüber hinaus gibt es in Deutschland auch keine generelle Nachrüstpflicht für Fehlerstrom(FI)-Schutzschalter („Bestandschutz“) [12]. Zwar wurde die im Restaurant vorgefundene Konstellation von der Ermittlungsbehörde definitiv als „äußerst ungünstig“ und gefährlich, aber strafrechtlich aus genannten Gründen nicht verfolgbar eingeschätzt.
Diese Kasuistik beschreibt erstmalig eine zum Herzstillstand führende Einwirkung von Niederspannung bei einem Kleinkind in einem öffentlichen Restaurant. Weitere ähnlich bizarre und auch tödlich endende Stromunfälle von Kindern in der Öffentlichkeit sind bereits kasuistisch beschrieben [13, 14]. Die Besonderheit am vorgestellten Fall ist eine Verkettung vermeidbarer Rekonstruktionsverzögerungen nach einem lebensgefährlichen Stromunfall, welche zwar für das betroffene Kind kein anderes neurologisches Outcome bedeutet hätte, aber bei rechtzeitiger(er) Identifizierung des Unfallmechanismus (z. B. durch frühere Konsultation eines Rechtsmediziners) angesichts der nichtausreichenden Stromunfallsicherung im Restaurant das Risiko für nachfolgende Unfälle erheblich hätte begrenzen können.
Bei unklaren Verletzungsmustern von Kindern sollte rechtsmedizinische Expertise frühestmöglich hinzugezogen werden.
Das betroffene Kleinkind entwickelt sich laut Eltern altersentsprechend ohne kognitive und motorische Defizite.
Fazit für die Praxis
(Überlebte) Unfälle durch Stromeinwirkung sind im Alltag von Rechtsmediziner:innen und Kliniker:innen selten.
In Deutschland gibt es keine generelle Nachrüstungspflicht für FI-Schutzschalter.
Bei der Interpretation einer eindeutigen Strommarke am Arm als Defibrillationsfolge handelt es sich um eine absurde Diagnose.
Frühzeitige rechtsmedizinische Konsile sollten bei jeder unklaren Verletzung angefordert werden, um nachfolgende Risikosituationen begrenzen zu können.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
K. Birkefeld, D. Seifert, A. Heinemann und B. Ondruschka geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die Untersuchungen erfolgten unter Einhaltung der Vorgaben der Zentralen Ethikkommission der Bundesärztekammer. Die gemeinsame Nutzung von Daten gilt nicht für diesen Artikel, da im Rahmen der aktuellen Studie keine Datensätze erstellt oder analysiert wurden.
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