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Erschienen in: Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 9/2020

Open Access 25.08.2020 | EBM | Originalien und Übersichten

Gelingt das Screening von Schwangeren auf HIV, Syphilis und Hepatitis B in Deutschland? Eine Analyse auf Basis von Routinedaten

verfasst von: Dr. Sandra Beermann, Josephine Jacob, Sandra Dudareva, Klaus Jansen, Ulrich Marcus, Ruth Zimmermann, Viviane Bremer

Erschienen in: Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz | Ausgabe 9/2020

Zusammenfassung

Hintergrund

Infektionen in der Schwangerschaft sind weltweit eine der führenden Ursachen für erhöhte Morbidität und Mortalität bei Müttern und ihren Neugeborenen. In Deutschland gibt es seit mehr als 50 Jahren eine standardisierte Gesundheitsvorsorge in der Schwangerschaft. Die Mutterschafts-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses bilden hierzu den gesetzlichen Rahmen und umfassen unter anderem das Screening von Schwangeren auf HIV, Syphilis und Hepatitis B.

Ziel der Arbeit

Im Rahmen dieser Arbeit soll eruiert werden, wie hoch die Abdeckung des Screenings in der deutschen Bevölkerung ist.

Material und Methoden

Mithilfe von anonymisierten Routinedaten von gesetzlich Versicherten, die dem Institut für angewandte Gesundheitsforschung Berlin GmbH (InGef) aus den Jahren 2011 bis 2015 vorliegen, wurde mithilfe von verschiedenen Internationale statistische Klassifikationsziffern der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme(ICD-10)- und Einheitlicher Bewertungsmaßstab(EBM)-Ziffern eine Definition für Schwangerschaft entwickelt und eine erste Auswertung zur Inanspruchnahme von Testungen auf Infektionserreger in der Schwangerschaft vorgenommen.

Ergebnisse

Der hohe Anteil von Frauen, die im Rahmen der Schwangerschaft auf Syphilis (95,3 %) und Hepatitis B (91,6 %) getestet werden, spricht für eine sehr gute Erreichbarkeit und Inanspruchnahme von vorgeburtlichen Screeningangeboten. Bei HIV ist der Anteil an getesteten Frauen deutlich niedriger (84,9 %).

Diskussion

Ob Schwangere einen HIV-Test ablehnen, der Test anderweitig durchgeführt oder nicht durch das ärztliche Personal empfohlen wurde, lässt sich anhand der vorliegenden Datenlage nicht klären. Angesichts der hochwirksamen medizinischen Interventionsmöglichkeiten für Syphilis, HIV und Hepatitis B ist eine möglichst vollständige Testung von Schwangeren in Deutschland anzustreben. Die Gründe für fehlende Screeninguntersuchungen müssen weiter eruiert und Ansatzpunkte für eine Steigerung der Inanspruchnahme identifiziert werden.

Hintergrund

Infektionen in der Schwangerschaft und unter der Geburt sind weltweit eine der wichtigsten Ursachen für erhöhte Morbidität und Mortalität bei Müttern und ihren Neugeborenen. Infektionen sind weltweit verantwortlich für 36,0 % der Sterblichkeit bei Neugeborenen und stehen an dritter Stelle der führenden Ursachen für Todesfälle bei Müttern [1]. Abhängig von der Entwicklungsphase des Embryos bzw. des Fötus können Infektionen zu Fehlbildungen, schwerwiegenden Entwicklungsstörungen und -erkrankungen führen.
In Deutschland gibt es seit mehr als 50 Jahren eine standardisierte Gesundheitsvorsorge in der Schwangerschaft. Den gesetzlichen Rahmen bilden hierzu die Mutterschafts-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses, die sowohl Aufklärung und Beratung als auch zahlreiche Maßnahmen zur Diagnostik und Therapie während einer Schwangerschaft umfassen [2]. Diese vorgeschriebenen Untersuchungen werden von den gesetzlichen Kranken- und Ersatzkassen getragen. Die Abrechnung der Leistungen erfolgt über vorgegebene Abrechnungsziffern.
Im Rahmen der Schwangerenvorsorge erfolgt zu einem möglichst frühen Zeitpunkt der Schwangerschaft eine serologische Untersuchung hinsichtlich einer Syphilisinfektion (Lues). Das Ziel dieses Screenings ist es, alle unbehandelten Syphilisfälle bei Schwangeren zu entdecken und sie einer Behandlung zuzuführen, bevor es zu einer Übertragung von der Mutter auf das ungeborene Kind kommt. In Deutschland wurden von Januar 2011 bis Dezember 2016 insgesamt 64 Fälle mit der ärztlichen Angabe einer von Mutter auf Kind übertragenen Syphilisinfektion an das Robert Koch-Institut (RKI) gemeldet [3]. Jedoch gibt es deutschlandweit bisher keine Daten, bei wie vielen Schwangeren ein Syphilisscreening durchgeführt wird. Überdies werden bei gemeldeten Syphilisfällen keine Information über die Umstände der Testung erfasst, sodass eine großflächige Zuordnung der Prävalenz in der Schwangerschaft durch diese Daten nicht erhoben werden kann.
Die Mutterschafts-Richtlinien sehen ebenfalls vor, dass jeder Schwangeren frühestmöglich ein Antikörpertest auf das humane Immundefizienzvirus (HIV) angeboten werden soll, um das Risiko einer HIV-Übertragung auf das Kind durch frühzeitige therapeutische Maßnahmen zu verringern. Jedoch existiert in Deutschland kein spezifisches Erfassungssystem für Schwangerschaften von HIV-positiven Frauen. Über das HIV-Meldesystem werden zwar HIV-Neudiagnosen gemeldet, jedoch werden auch hier nicht die Umstände der Testung, wie Schwangerschaftsscreening, erfasst. Zudem fehlen publizierte Daten, wie viele Frauen mit bereits bekannter HIV-Infektion schwanger werden und Kinder gebären. Zwischen 2011 und 2017 wurden insgesamt 28 HIV-Infektionen von Neugeborenen, die in dem jeweiligen Jahr wahrscheinlich oder gesichert durch perinatale Übertragung erworben wurden, an das RKI gemeldet. Das Deutsche HIV-Schwangerschaftsregister plant deutschlandweit Daten zu Schwangerschaften von HIV-positiven Frauen und ihren Kindern standardisiert zu erfassen. Da es sich aber um eine freiwillige Arztmeldung handelt, muss mit einer deutlichen Untererfassung gerechnet werden.
Die Mutterschafts-Richtlinien sehen weiterhin vor, dass alle Schwangeren nach der 32. Schwangerschaftswoche, auf Hepatitis-B-Antigen (HBsAg) untersucht werden [2]. Ein generelles HBsAg-Screening in der Schwangerschaft ist seit 1994 in Deutschland gesetzlich vorgeschrieben, da in Abhängigkeit von der Höhe der Viruslast die perinatale Übertragungsrate bei Hepatitis B bis zu 90,0 % betragen kann [3]. Obwohl die HBsAg Prävalenz in Deutschland mit 0,3 % bei Erwachsenen und 0,2 % bei Kindern und Jugendlichen [4, 5] als niedrig eingestuft werden kann, ist die Prävalenz in bestimmten Bevölkerungsgruppen deutlich höher. So liegt die Prävalenz bei verschiedenen Migrationspopulationen, je nach Herkunftsland, bei bis zu 3,6 % [69]. Auch bei den Meldungen von akuter Hepatitis B werden nach dem Infektionsschutzgesetz die Umstände der Testung nicht erfasst. In den Jahren von 2011 bis 2016 wurden an das RKI insgesamt 49 laborbestätigte Hepatitis-B-Fälle (mit oder ohne klinische Angaben) bei Kindern unter 2 Jahren übermittelt. Jedoch liegen nur in 30 Fällen (61,2 %) Informationen vor, dass es sich dabei um eine perinatale Übertragung handelt.
Anhand von anonymisierten Routinedaten von gesetzlich Versicherten, die dem Institut für angewandte Gesundheitsforschung Berlin GmbH (InGef) aus den Jahren 2011 bis 2015 vorliegen, wurde analysiert, welcher Anteil an Schwangeren auf Syphilis, Hepatitis B und HIV getestet wurde. Die Ergebnisse sollen dazu beitragen, die Versorgungssituation in Bezug auf die drei benannten Infektionskrankheiten in der Schwangerschaft deutschlandweit besser zu beschreiben und Empfehlungen zur Verbesserung der nationalen Daten- und Versorgungslage zu entwickeln.

Methoden

Datenbasis

Als Datenbasis diente die Forschungsdatenbank des InGef. Diese enthält anonymisierte Daten zur Inanspruchnahme und zu Ressourcenverbräuchen von etwa 6,7 Mio. Versicherten aus rund 70 Betriebs- und Innungskrankenkassen [10]. Durch die Anonymisierung der Daten wird sichergestellt, dass einzelne Patienten, Krankenkassen und Leistungserbringer nicht mehr identifizierbar sind. Für diese Studie wurden Daten zur Versichertendemografie (Alter, Geschlecht, Wohnregion), zu ambulant erbrachten Leistungen und Diagnosen sowie Krankenhausfallinformationen einschließlich Aufnahme- und Entlassungsdatum, Haupt- und Nebendiagnosen und durchgeführter diagnostischer und therapeutischer Leistungen aus den Jahren 2010 bis 2015 genutzt. Für das Jahr 2015 lagen zum Zeitpunkt der Auswertung noch nicht alle Daten vor.

Studienpopulation, Beobachtungszeiträume und Endpunkte

Die Studienpopulation bestand aus Frauen, die zwischen 2011 und 2015 mindestens einmal im Rahmen der Schwangerenvorsorge behandelt wurden und in einem der darauffolgenden 3 Quartale ein lebendgeborenes Kind entbunden haben. Frauen mit vorgeburtlicher Versorgung wurden über die Ziffern im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM-Ziffern) 01770 (Betreuung einer Schwangeren) und 32007 (Vorsorgeuntersuchungen gemäß den Mutterschafts-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses) identifiziert. Der Tag der ersten Abrechnung einer der EBM-Ziffern in den 3 Quartalen vor einer Geburt wurde als Indexdatum definiert. Geburtsereignisse wurden anhand der in Tab. 1 dargestellten Codes der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10-Codes) identifiziert. Schwangere mussten außerdem am Tag der ersten Vorsorge zwischen 15 und 49 Jahre alt sein und es mussten vollständige Datensätze zu den 4 Quartalen vor sowie in den 3 Quartalen nach der ersten Vorsorgeuntersuchung vorliegen, um in die Studienpopulation eingeschlossen zu werden (Abb. 1). Alle Auswertungen erfolgten auf Fallebene, d. h., Frauen mit mehreren Geburten zwischen 2011 und 2015 wurden als jeweils separate Fälle berücksichtigt.
Tab. 1
EBM-Ziffern und ICD-10-Diagnosen, die als Einschlusskriterien verwendet wurden. Dargestellt sind die Ziffern aus dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) bzw. die Diagnosenummern aus der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) für die Vorsorgeuntersuchungen bei Schwangeren sowie für die Testungen auf Syphilis, HIV und Hepatitis B
Merkmal
Katalog
EBM-Ziffern/ICD-10-Diagnose
Bezeichnung
Vorsorgeuntersuchung
EBM
01770
Betreuung einer Schwangeren
EBM
32007
Vorsorgeuntersuchungen gemäß den Mutterschafts-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses
Geburt
ICD-10
O80
Spontangeburt eines Einlings
ICD-10
O81
Geburt eines Einlings durch Zangen- oder Vakuumextraktion
ICD-10
O82
Geburt eines Einlings durch Schnittentbindung (Sectio caesarea)
ICD-10
Z37.0
Lebendgeborener Einling
ICD-10
Z37.2
Zwillinge, beide lebendgeboren
ICD-10
Z37.3
Zwillinge, ein Zwilling lebend-, der andere totgeboren
ICD-10
Z37.5
Andere Mehrlinge, alle lebendgeboren
ICD-10
Z37.6
Andere Mehrlinge, einige lebendgeboren
ICD-10
Z37.9
Resultat der Entbindung, nicht näher bezeichnet
ICD-10
Z38a
Lebendgeborene nach dem Geburtsort
Syphilis-Test
EBM
01800
Treponema-pallidum-Hämagglutinationstest(TPHA)/Treponema Pallidum Partikel-Agglutinations-Antikörper(TPPA)-Test
EBM
32566
Treponemenantikörpernachweis, TPHA/TPPA-Test, Immunoassay
HIV-Test
EBM
01811
HIV-Immunoassay
EBM
32575
HIV-1- oder HIV-1/2-Antikörper – Immunoassay
EBM
32576
HIV-2-Antikörper – Immunoassay
EBM
32783
Nachweis von HIV
Hepatitis-B-Test
EBM
01810
HBs-Antigentest
EBM
32781
Nachweis von HBsAg
aDer ICD-10-Code Z38 soll generell zur Codierung der Geburt beim Neugeborenen verwendet werden. Da Neugeborene häufig am Lebensanfang noch keine eigene Versicherungsnummer haben, erfolgt die Abrechnung über die Versichertennummer der Mutter. Zur sicheren Identifizierung aller Geburten wurde daher auch dieser ICD-10-Code in die Falldefinition eingeschlossen
Der Vorbeobachtungszeitraum von 4 Quartalen vor dem Indexdatum wurde genutzt, um zu prüfen, ob Frauen bereits an Syphilis, HIV oder Hepatitis B erkrankt waren bzw. ob sie HIV-spezifische Leistungen in Anspruch genommen haben. Wenn eine Syphilis‑, HIV- oder Hepatitis-B-Diagnose vor der Schwangerschaft bestand, wurde diese Person von der Analyse ausgeschlossen. Eine vollständige Auflistung der Ausschlusskriterien ist dem Online-Zusatzmaterial zu diesem Beitrag zu entnehmen. Der Zeitraum zwischen Indexdatum und Geburt wurde auf die Abrechnungen von HIV-, Hepatitis-B- und Syphilistestungen analysiert (Tab. 1).
Berichtet werden jeweils die Anteile der Frauen mit Syphilis‑, HIV- oder Hepatitis-B-Test bezogen auf alle schwangeren Frauen der untersuchten Kohorte. Um die Ergebnisse dieser Analyse mit Veröffentlichungen des statistischen Bundesamtes (Destatis) vergleichen zu können, wurden die Ergebnisse altersstandardisiert. Es wurden Gewichte berechnet, mittels derer die Versichertenpopulation der InGef-Datenbank an die Alters- und Geschlechtsverteilung der Gesamtbevölkerung in Deutschland aus 2011 bis 2015 angepasst wurde.

Ergebnisse

Schwangerschaftskohorte

In den Abrechnungsdaten wurden für die Jahre 2011 bis 2015 insgesamt 239.787 Frauen im Alter zwischen 15 und 49 Jahren identifiziert, die mindestens eine Leistung im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge erhalten und in einem der darauffolgenden 3 Quartale ein lebendgeborenes Kind entbunden hatten. Die auf Basis der Schwangerschaftskohorte auf die Gesamtbevölkerung hochgerechneten Entbindungen umfassten je nach Abrechnungsjahr zwischen 88,3 % und 93,1 % der in der Geburtenstatistik von Destatis erfassten Entbindungen (Abb. 2; [11]). Der Vergleich des durchschnittlichen Alters zeigt, dass die Mütter in der untersuchten Schwangerschaftskohorte durchschnittlich 6 Monate jünger waren als die Mütter in der Gesamtbevölkerung [12].

Durchführung von serologischen Testungen in der Schwangerschaft

Unsere Analysen zeigen, dass über den betrachteten Zeitraum hinweg durchschnittlich 95,3 % aller Schwangeren auf Syphilis und 91,6 % auf Hepatitis B getestet wurden. Der durchschnittliche Anteil der auf eine HIV-Infektion getesteten Frauen fiel mit 84,9 % hingegen geringer aus.
Im Altersvergleich zeigten sich bei der Syphilistestung kaum Unterschiede bei der Inanspruchnahme. Hinsichtlich der HIV-Testung zeigte sich, dass Schwangere im Alter von 15 bis 24 Jahren zu 87,1 % (86,8–87,8 %) einen HIV-Test in Anspruch nahmen (Abb. 3). Die Inanspruchnahme in der Altersgruppe 35 bis 49 Jahre lag hingegen bei durchschnittlich 82,6 % (81,0–83,4 %). Ein Vergleich des Anteils auf Hepatitis B getesteter schwangerer Frauen nach Altersgruppen zeigt, dass Schwangere im Alter von 20 bis 34 Jahren zu 94,0 % (93,7–94,2 %) getestet wurden. Geringer war der Anteil getesteter Frauen vor allem in der ältesten Altersgruppe (45 bis 49 Jahre) mit 82,1 %. In der jüngsten Altersgruppe (15 bis 19 Jahre) waren 92,4 % der Schwangeren auf Hepatitis B getestet worden.
Ein Vergleich der Bundesländer (siehe Online-Zusatzmaterial) zeigt, dass der durchschnittliche Anteil von Schwangeren, die auf Syphilis und Hepatitis B getestet wurden, am niedrigsten in Schleswig-Holstein (93,8 %; 91,6 %) und am höchsten in Sachsen (97,5 %; 95,0 %) war. In Nordrhein-Westfalen war der Anteil der Schwangeren mit einem HIV-Test am niedrigsten (80,0 %). Der höchste Anteil Schwangerer mit einem HIV-Test wurde in Sachsen-Anhalt beobachtet (90,1 %).
Bei der Betrachtung der Anzahl von serologischen Testungen auf HIV ist ein Aufwärtstrend über die Jahre hinweg zu beobachten (Abb. 4). Auch die Testungen auf Syphilis und Hepatitis B nahmen über den gesamten Betrachtungszeitraum hinweg zu, jedoch in einem geringeren Ausmaß.

Diskussion

Syphilis

Unsere Analyse belegt, dass fast alle schwangeren Frauen, unabhängig von Alter und Jahr des Untersuchungszeitraums, auf eine Syphilisinfektion hin untersucht werden und somit die Mutterschafts-Richtlinien in einem hohen Ausmaß umgesetzt wurden. Der kleine Anteil an nichtgetesteten Frauen kann dadurch zustande gekommen sein, dass eine Vorsorgeuntersuchung erst zu einem späten Zeitpunkt der Schwangerschaft oder in Einzelfällen durch eine andere Einrichtung, die nicht mit der Krankenkasse der betreffenden Person abrechnet, durchgeführt wurde. Es traten nur geringe Unterschiede zwischen den Bundesländern auf. Dies belegen auch die niedrigen Zahlen von angeborenen (konnatalen) Syphilisfällen, die dem RKI gemeldet wurden [13]. Auch in den Ländern der Europäischen Union (EU) kam es in den letzten Jahren nur zu einer sehr geringen Anzahl von Meldungen konnataler Syphilisinfektionen [14]. So wurden beispielsweise im Jahr 2016 insgesamt 37 bestätigte Fälle aus 10 EU-Ländern an das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten gemeldet. Demgegenüber stieg die Anzahl konnataler Syphilisinfektionen in den USA seit 2012 deutlich an, von 2016 auf 2017 um 44,0 % [15].
Aufgrund der schwerwiegenden Folgen für das Neugeborene sollte daher auch in Deutschland weiter versucht werden, den Anteil von Schwangeren ohne Syphilistestung zu reduzieren, da hierfür ein kostengünstiger und einfach umzusetzender Test zur Verfügung steht.

HIV

Das HIV-Screening bei Schwangeren wurde in Deutschland im Beobachtungszeitraum im Durchschnitt bei 84,9 % der Schwangeren umgesetzt. Ob die verbleibende Anzahl nichtgetesteter Frauen sich daraus erklärt, dass der HIV-Test abgelehnt, anderweitig durchgeführt oder nicht oder nicht deutlich genug empfohlen wurde, lässt sich durch die vorliegenden Daten nicht klären. Bei der Betrachtung des Anteils von Frauen mit serologischen Testungen auf HIV ist ein deutlicher Aufwärtstrend über den Beobachtungszeitraum hinweg zu beobachten. Dies lässt sich vermutlich dadurch erklären, dass im Jahr 2006 die HIV-Screeningempfehlungen in den Mutterschafts-Richtlinien angepasst wurden. Die Analyse zeigte, dass jüngere Schwangere sich häufiger auf eine HIV-Infektion testen lassen als ältere. Auch hier bleibt unklar, ob die unterschiedlichen Testhäufigkeiten auf anderweitig durchgeführte Tests, höhere Testakzeptanz bei jüngeren Schwangeren oder weniger dringliche Empfehlung durch das ärztliche Personal zurückzuführen sind. Ähnlich wie beim Altersunterschied bezüglich der Hepatitis-B-Testung könnte es sein, dass das ärztliche Personal das Risiko einer unentdeckten chronischen Virusinfektion bei älteren Schwangeren als gering einschätzt, sodass eine Testung nicht durchgeführt wird. Bei dem Bundesländervergleich zeigte sich ein deutlicher Unterschied hinsichtlich der HIV-Screeningrate. In Nordrhein-Westfalen war der Anteil der Schwangeren mit einem HIV-Test um 10,0 % niedriger als zum Beispiel in Sachsen-Anhalt.

Hepatitis B

Über 90 % aller schwangeren Frauen in der betrachteten Kohorte wurden auf eine Hepatitis-B-Infektion untersucht. Dies entspricht den Vorgaben der Mutterschafts-Richtlinie und liegt deutlich höher als der im Jahr 2001 gemessene Anteil von 71,0 % der Geburten (1996 bis 1998; [16]). Der noch fehlende Prozentsatz könnte dadurch erklärt sein, dass die Vorsorgeuntersuchung im letzten Trimester der Schwangerschaft nicht wahrgenommen wurde. Es ist aber auch möglich, dass aufgrund eines vorliegenden Impfnachweises oder eines Screeningergebnisses aus einer vorherigen Schwangerschaft auf dieses Screening verzichtet wurde. Die durchgeführte Analyse zeigte, dass der Anteil auf Hepatitis B gescreenter Frauen im Alter von 15 bis 44 Jahren relativ homogen war, mit leicht höherem Anteil bei 20- bis 34-jährigen Frauen und etwas niedrigerem Anteil bei 15- bis 19- und 40- bis 44-jährigen Frauen [16]. Bei den unter 20-Jährigen könnte der niedrigere Anteil gescreenter Frauen beispielsweise auf die dokumentierte Impfung im Kindesalter zurückzuführen sein. Ältere Frauen über 45 Jahre wurden deutlich seltener auf Hepatitis B gescreent. Dies liegt möglicherweise daran, dass bereits bei früheren Schwangerschaften Testungen durchgeführt und im Mutterpass dokumentiert wurden. Es könnte auch auf Testungen im Rahmen reproduktionsmedizinischer Maßnahmen vor Eintritt der Schwangerschaft zurückzuführen sein. Im Vergleich der Bundesländer zeigte sich nur ein sehr geringer Unterschied hinsichtlich des Anteils durchgeführter Testungen.

Limitierende Faktoren der Daten

Die Ergebnisse sind abhängig von der gewählten Definition für „Schwangerschaft“ (Einschluss- und Ausschlusskriterien) und Auswahl der untersuchten Grundgesamtheit in der Studie. Um eine möglichst valide Schätzung der Grundgesamtheit von schwangeren Frauen zu erreichen, wurden von der Geburt ausgehend die vorangegangenen 3 Quartale auf Abrechnungen zur Schwangerschaftsvorsorge und Testungen betrachtet. Zu beachten ist, dass Schwangerschaften, die mit einem Abort oder einer Totgeburt endeten, nicht betrachtet wurden.
Eine weitere Limitation der vorliegenden Analyse ist die begrenzte Aussagefähigkeit von Leistungsdaten, die nicht für Forschungszwecke erfasst werden. Die auf Basis der Schwangerschaftskohorte auf die Gesamtbevölkerung hochgerechneten Entbindungen von Lebendgeborenen umfassten in der vorgestellten Studie je nach Abrechnungsjahr zwischen 88,3 % und 93,1 % der in der Geburtenstatistik von Destatis erfassten Entbindungen. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass Frauen in der InGef-Forschungsdatenbank im Mittel weniger Kinder bekommen als Frauen in der Gesamtbevölkerung. Trotz direkter Altersstandardisierung der Ergebnisse können die hier berichteten Ergebnisse nicht notwendigerweise auf die Gesamtbevölkerung in Deutschland extrapoliert werden. Sollten die Geburtenrate und die Inanspruchnahme des Infektionsscreenings, beispielsweise in Abhängigkeit vom sozioökonomischen Status oder der Region, variieren und wäre diese Gruppe in der InGef-Forschungsdatenbank überrepräsentiert, so könnte das zu einer Unterschätzung der Geburtenhäufigkeit und zu einer Überschätzung der Testhäufigkeit während der Schwangerschaft führen.
Eine weitere Einschränkung der Analyse ist, dass Testungen, die im stationären Sektor durchgeführt wurden, aufgrund der fehlenden Codierung im Krankenhaus nicht berücksichtigt werden konnten. Frauen, die beispielsweise bei der Entbindung keinen Nachweis über eine durchgeführte HBsAg-Testung im Mutterpass aufweisen, werden üblicherweise im Kreißsaal getestet, sodass eine Hepatitis-B-Simultanimpfung des Neugeborenen noch rechtzeitig erfolgen kann. Daher ist nicht auszuschließen, dass die Häufigkeit der Testungen in dieser Studie unterschätzt wird, insbesondere bei Frauen mit einem höheren Risiko für stationäre Behandlungen vor der Geburt.
Abschließend ist zu berücksichtigen, dass zum Zeitpunkt der Analysen die Abrechnungsdaten für das Jahr 2015 noch nicht vollständig vorlagen. Die Daten für dieses Kalenderjahr sind daher nur bedingt mit den Ergebnissen der anderen Kalenderjahre vergleichbar.
Der hohe Anteil von Frauen, die im Rahmen der Schwangerschaft auf Syphilis und Hepatitis B getestet werden, spricht für eine sehr gute Erreichbarkeit und Inanspruchnahme von vorgeburtlichen Screeningangeboten. Bei HIV ist der Anteil an getesteten Frauen deutlich niedriger. Ob Schwangere einen HIV-Test ablehnen, der Test anderweitig durchgeführt, nicht oder nicht deutlich genug durch das ärztliche Personal empfohlen wurde, lässt sich anhand der vorliegenden Datenlage nicht klären. Angesichts der hochwirksamen medizinischen Interventionsmöglichkeiten für Syphilis, HIV und Hepatitis B ist eine möglichst vollständige Testung von Schwangeren in Deutschland anzustreben, wobei die Abdeckung insbesondere für HIV noch verbesserungsbedürftig ist [17]. In den Jahren 2015 bis 2018 ist der Anteil der auf HIV getesteten Schwangeren weiter angestiegen und lag 2018 bei ca. 95 % (mündl. Mitteilung U. Marcus auf Grundlage eigener Kalkulationen). Andere europäische Länder erreichen jedoch Werte von über 99 % [18]. In erster Linie sind Gynäkologinnen und Gynäkologen aufgefordert, jeder Schwangeren eine HIV-Testung anzubieten und zu empfehlen. Auch die Entwicklung und Verteilung von kultursensiblen Informationen für Schwangere sowie weitere Entstigmatisierungsmaßnahmen sind zu empfehlen. Die Gründe für fehlendes Screening müssen weiter eruiert und Ansatzpunkte für die Steigerung der Inanspruchnahme identifiziert werden.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

S. Beermann, J. Jacob, S. Dudareva, K. Jansen, U. Marcus, R. Zimmermann und V. Bremer geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die Sekundärdatenanalyse wurde im Einklang mit ethischen Prinzipien durchgeführt und hat die Menschenwürde sowie Menschenrechte respektiert. Die Konsultation einer Ethikkommission war bei den Analysen, die ausschließlich auf Sekundärdaten basieren, nicht erforderlich.
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Literatur
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Metadaten
Titel
Gelingt das Screening von Schwangeren auf HIV, Syphilis und Hepatitis B in Deutschland? Eine Analyse auf Basis von Routinedaten
verfasst von
Dr. Sandra Beermann
Josephine Jacob
Sandra Dudareva
Klaus Jansen
Ulrich Marcus
Ruth Zimmermann
Viviane Bremer
Publikationsdatum
25.08.2020
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Erschienen in
Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz / Ausgabe 9/2020
Print ISSN: 1436-9990
Elektronische ISSN: 1437-1588
DOI
https://doi.org/10.1007/s00103-020-03199-4

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