Mit der dargestellten Befundkonstellation ist aufgrund des Nachweises von Virus-RNA im Blut das Vorliegen einer replikativen Hepatitis C gesichert. Die hier mit 3.700.000 IU/ml angegebene Konzentration entspricht etwa 2 Mio. Viruskopien/ml. Da der Patient nicht akut erkrankt ist, ist von einer grundsätzlich behandlungsbedürftigen chronischen Hepatitis C auszugehen. Von einer vormals empfohlenen Kontrolle nach 6 Monaten zur Sicherung der
Chronizität der Infektion haben die einschlägigen Leitlinien mittlerweile zugunsten einer zügigen Therapieeinleitung explizit Abstand genommen, wenn aufgrund der Anamnese und Befunde der Ansteckungszeitpunkt wahrscheinlich länger als 6 Monate zurückliegt [
17].
Hinsichtlich einer Hepatitis-B-Impfevaluation (siehe zuvor) ist im Fall einer fehlenden oder unvollständigen Impfdokumentation die Indikation zur vollständigen Grundimmunisierung aufgrund der nun bestätigten HCV-Infektion großzügig zu stellen.
Diagnostik bei Erstdiagnose
Bei serologischem Hinweis auf das Vorliegen einer HCV-Infektion ergibt sich die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen, insbesondere müssen zur Therapieentscheidung bzw. Differenzialtherapie vorliegen:
-
HCV-RNA quantitativ sowie HCV-Genotypisierung (inkl. Subtypisierung HCV-1a/-1b)
-
Hepatitis-A-, Hepatitis-B-, und HIV-Serologie; bei Verdacht auf Vorliegen einer akuten Hepatopathie auch Hepatitis-E-Serologie
-
Klinisch-chemische Basisparameter (Aspartataminotransferase [AST], Alaninaminotransferase [ALT], γ‑Glutamyltransferase [γ-GT], alkalische Phosphatase [AP], Kalium, Natrium, Kreatinin, Gesamteiweiß, Eiweißelektrophorese, Bilirubin, Quick-Wert/International Normalized Ratio [INR], Kreatinin, glomeruläre Filtrationsrate [GFR], Blutbild), bei Verdacht auf Vorliegen einer Zirrhose oder Vorliegen eines verdächtigen Leberherds zusätzlich α‑Fetoprotein [AFP]
-
Oberbauchsonographie inklusive Fibrosemessung.
Bei jeder Patientin und jedem Patienten mit
HCV-Erstdiagnose sollte eine Bestimmung des hepatischen Fibrosegrads erfolgen [
17]. Das Vorliegen einer fortgeschrittenen Fibrose (Grad 3 oder 4) erhöht die Therapiedringlichkeit und erfordert möglicherweise eine Therapieanpassung. Eine konventionelle Abdomensonographie besitzt dabei eine unzureichende Sensitivität hinsichtlich des Vorliegens einer fortgeschrittenen Fibrose oder kompensierten Zirrhose [
18]. Verlässlich, gut etabliert und zunehmend verfügbar sind dagegen nichtinvasive Messungen mittels transienter
Elastographie (TE) oder Acoustic-radiation-force-impulse-Elastographie (ARFI). Serologische Fibrosescores dagegen erscheinen zwar teilweise vielversprechend, konnten sich bislang aber nicht als gleichwertiger Ansatz durchsetzen [
19].
In Ländern mit niedrigem Pro-Kopf-Einkommen und unzureichender Gesundheitsversorgung muss zugunsten vereinfachter Therapiealgorithmen und höherer Therapiereichweiten bewusst von diesem Vorgehen abgewichen werden. Im Fall begrenzter Ressourcen drängt sich zudem eine
Priorisierung anhand der Behandlungsdringlichkeit insbesondere in Abhängigkeit des Fibrosegrads auf [
17].
Der unkomplizierte Hepatitis-C-Patient
International sind Dezentralisierung und
„task shifting“ als wirksame Strategien zur Erhöhung der Behandlungsrate bei Hepatitis C anerkannt [
20]. Letzteres bezeichnet unter anderem die Befähigung von Personengruppen jenseits hepatologisch spezialisierter Fachärztinnen und Fachärzte zur Indikationsstellung und Einleitung einer Hepatitis-C-Therapie. In der kassenärztlichen Versorgung stellen
„Praxisbesonderheiten“ ein diesbezügliches Steuerungsinstrument dar, das in verschiedenen Ärztekammern und kassenärztlichen Vereinigungen unterschiedlich ausgestaltet sein kann [
21]. Kontexte wie Justizvollzugsanstalten, Ambulanzen für Menschen ohne Papiere oder auch Erstaufnahmeeinrichtungen bewegen sich im Allgemeinen außerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung. Dies erleichtert mit der WHO-Strategie konforme Ansätze des „task shifting“, die – mit Bedacht umgesetzt – einen adäquaten und äquivalenten Therapiezugang hinsichtlich der Hepatitis C fördern können.
Pragmatisch scheint die Einleitung einer Hepatitis-C-Standardtherapie mit direkt antiviral wirkenden Substanzen (DAA) bei replikativer Hepatitis C nach Komplettierung der hier bereits dargestellten Diagnostik auch ohne infektiologische oder hepatologische Mitbeurteilung angemessen und unbedenklich, sofern:
-
keine Vortherapie mit einer Kombination aus mehreren DAA erfolgt ist,
-
keine fortgeschrittene Fibrose oder Zirrhose,
-
keine fortgeschrittene Niereninsuffizienz (GFR < 30 ml/min; [
17]) und
-
keine gravierende Komorbidität/Koinfektion
vorliegen. Bei fortgeschrittener Leber- oder Nierenerkrankung sollte die Therapie unbedingt in engmaschiger Abstimmung mit einem hepatologischen Zentrum erfolgen [
22]. Einerseits kann eine Differenzialtherapie jenseits der Standardmedikamente indiziert sein, andererseits sind eventuell auch
transplantationsmedizinische Belange zu berücksichtigen.
Das Hepatitis-C-Virus wird in Deutschland ganz überwiegend durch
intravenösen Drogenkonsum übertragen [
23]. Im vorliegenden Fallbeispiel könnte die Suchtproblematik als Kontraindikation für eine Therapie gesehen werden. In der Leitlinie aus dem Jahr 2018 bestand der Expertinnen- und Expertenkonsens, „Patienten mit aktuellem unkontrolliertem Drogen- und/oder Alkoholkonsum“ nur zurückhaltend zu therapieren [
22]. Im Addendum aus dem Jahr 2020 werden derartige Hürden zum Therapiezugang nicht mehr aufgeführt [
17]. Bereits in der Ursprungsfassung der Leitlinie wurde in der Erläuterung zu dieser Empfehlung nicht auf eine mögliche Reinfektion bei unkontrollierter Sucht abgehoben, sondern auf eine möglicherweise
problematische Therapieadhärenz.
Tatsächlich sind die relativ geordneten Verhältnisse im Vollzug gerade für dieses Kollektiv grundsätzlich eher als Chance für die erfolgreiche Komplettierung einer Hepatitis-C-Behandlung zu betrachten, sofern die Patientin bzw. der Patient therapiewillig ist und eine angemessene Mitarbeit erwartet wird. Aus der HIV-Forschung ist bekannt, dass die Therapieadhärenz mit der Verfügbarkeit von
sozialen Unterstützungsangeboten und der Qualität der Beziehung zwischen Patientin/Patient und Ärztin/Arzt im Gefängnis assoziiert ist [
24]. Derartige Faktoren sollten bei der Implementierung von HCV-Programmen nicht vernachlässigt werden. Über den individuellen Nutzen hinaus ist auch die Infektionsprävention innerhalb des Vollzugs als Gewinn zu betrachten.
Epidemiologische Studien legen nahe, dass die Behandlung von Hochrisikopopulationen einschließlich von in Gefangenschaft lebenden Menschen und Personen, die Drogen injizieren, hinsichtlich der Elimination der Hepatitis-C-Infektion besonders effektiv ist [
8]. Zudem favorisieren gesundheitsökonomische Modellierungen eine
permissive Indikationsstellung aufgrund mittelfristiger Kosteneinsparungen [
25] und lassen vermuten, dass ähnliche Effekte auch hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit einer intensiven Screening- und Behandlungsstrategie im Kontext eines Strafvollzugs wirksam werden.
Pragmatische Gründe gegen eine Therapieeinleitung können in erster Linie eine kurze oder unsichere Haft- oder Aufenthaltsdauer mit eventuell fehlender Möglichkeit zur Komplettierung der Therapie darstellen, insbesondere wenn eine anschließende Anbindung an eine weiterverordnende Praxis bei fraglicher Compliance nicht gewährleistet ist. Anekdotische Berichte belegen zudem bereits den illegalen Handel mit den hochpreisigen Therapeutika im Gefängnis, sodass bei entsprechender Vorgeschichte (z. B. Täuschungsversuche im Rahmen einer Methadonsubstitution, illegaler Beikonsum, Handel mit anderen Medikamenten) eine zurückhaltende Einzelfallentscheidung erfolgen muss.
Therapie und Nachsorge
Die Standardtherapie für den unkomplizierten Patienten mit Hepatitis C besteht gegenwärtig aus einer von 2 pangenotypischen (= auf alle HCV-Genotypen wirksame) Fixkombinationen von DAA:
-
täglich Einnahme (unzerkaut mit einer Mahlzeit) von 3 Tabletten einer Kombination aus Glecaprevir (100 mg) und Pibrentasvir (40 mg) über 8 bzw. 12 Wochen bei Genotyp 3 mit gleichzeitiger Zirrhose;
-
tägliche Einnahme (unzerkaut, unabhängig von einer Mahlzeit) von einer Tablette einer Kombination aus Sofosbuvir (400 mg) und Velpatasvir (100 mg) über 12 Wochen, ggf. plus Ribavirin bei Zirrhose (cave: Hämolyse).
Die genannten Therapien sind als klinisch weitgehend gleichwertig zu betrachten, sodass sich die Verordnung im unkomplizierten Fall an der jeweiligen Verfügbarkeit orientieren kann. Hinsichtlich möglicher Interaktionen mit bestehender
Komedikation ist eine Überprüfung sinnvoll, z. B. auf
www.hep-druginteractions.org. Bei nichtvorhandenem Impfschutz sollte zudem eine Vakzination gegen Hepatitis A und Hepatitis B ergänzt werden.
Laborchemische Kontrollen sind bei guter Verträglichkeit unter Standardtherapie grundsätzlich nicht erforderlich. Die Viruslast sollte am Ende der Therapie und nach weiteren 12 Wochen kontrolliert werden. Es ist von einer erfolgreichen Therapie mit
Ausheilung der Erkrankung auszugehen, wenn die Viruslast 12 Wochen nach Therapieende negativ ist. Bei einem positiven Nachweis sollte eine infektiologische/hepatologische Mitbeurteilung erfolgen. Grundsätzlich muss ein Therapieversagen bei Resistenz bzw. inadäquater Adhärenz oder eine erneute Infektion in Betracht gezogen werden [
22].
Wird eine chronische Hepatitis C nicht behandelt, ist eine klinische und laborchemische Kontrolle abhängig von Krankheitsaktivität und Fibrosegrad alle 3–12 Monate indiziert. Eine Abdomensonographie sollte bei Zirrhose mindestens alle 6 Monate erfolgen [
22].
Tab. 6
Initiale Laboruntersuchungen bei Erstdiagnose einer HIV-Infektion (Fallbeispiel 3)
HIV-Testung in zweiter Blutprobe, Viruslast, Resistenztestung | – |
Großes Blutbild, CD4-Zahlen, CD4-CD8-Ratio | – |
Natrium, Kalium, Kreatinin/GFR, AST, ALT, GGT, AP, LDH, Lipase, Gesamteiweiß, Eiweißelektrophorese; nüchtern: Blutzucker, Cholesterin, LDL, HDL, Triglyzeride | – |
Urinstatus | – |
Hepatitisserologie (HAV, HBV, HCV) | Falls HBV positiv, Testung auf HDV |
Luesserologie | – |
Toxoplasmose-IgG-Antikörper | Falls negativ: rohes Fleisch meiden Falls positiv und CD4 < 200/µl: Prophylaxe |
Varizellen‑, Masern‑, Röteln-IgG-Serologie | – |
Tuberkulosediagnostik (Interferon-γ-Test) | – |
CMV-IgG-Serologie | Falls positiv oder CD4 < 100/µl: Fundoskopie und CMV-PCR |
Kryptokokkenantigen | Nur falls neurologische Symptome |
Auch kompliziertere Fälle der hier besprochenen, chronischen viralen Infektionskrankheiten können heutzutage häufig gut behandelt werden. Aufgrund der zahlreichen möglichen Fallkonstellationen und der raschen Fortentwicklungen in diesem Fachgebiet ist eine Mitbetreuung in Schwerpunktpraxen oder ähnlichen Zentren grundsätzlich indiziert. Auch kann die Verordnung neuerer Therapeutika, deren Einsatz in manchen Fällen dringend geboten sein kann, eine besondere Rechtfertigung gegenüber dem Kostenträger erfordern. In Fallbeispiel 3 sind mehrere komplizierende Faktoren vereint: Zum einen ist die vorliegende HCV-Infektion anamnestisch bereits einmal behandelt worden, zum anderen liegt eine Koinfektion von HCV mit HIV vor.
HCV-Nachweis bei vorbehandelter Hepatitis C
Die anamnestische Konstellation mit unklaren Vortherapien (und nicht beizubringenden Unterlagen) ist nicht ganz untypisch für die Gesundheitsversorgung im justizvollzuglichen Kontext, aber auch in anderen Versorgungswelten regelmäßig anzutreffen. Im vorliegenden Fall könnte man spekulieren, dass eine Therapie mit Peginterferon und Ribavirin erfolgt ist.
Da der Patient gegenüber den neueren Substanzen aller Wahrscheinlichkeit nach noch nicht exponiert war, erfordert die Vortherapie in diesem Fall keine besondere Berücksichtigung bei der Auswahl des Therapieregimes [
17]. Sind anamnestisch bereits DAA zum Einsatz gekommen, richtet sich die Differenzialtherapie nach den Ergebnissen einer
Resistenztestung und der jeweils aktuellen Studienlage bezüglich der jeweiligen Vortherapie.