Hodentumoren: Klinikwahl bestimmt Prognose

Erfahrung zahlt sich aus: Je mehr Patienten mit Hodentumoren eine Klinik behandelt, umso besser ist die Prognose – vor allem in fortgeschrittenen Krebsstadien. Publikationen zu relativ seltenen Tumorerkrankungen stammen meist aus spezialisierten Zentren mit hohen Fallzahlen. Da die Ärzte dort in der Regel über die meiste Erfahrung verfügen, lassen sich ihre Erfolge nicht so einfach auf das Gros der Kliniken übertragen. Mitunter werden die Therapieerfolge also deutlich überschätzt, oder anders ausgedrückt: Für die meisten Patienten könnte die Prognose in der Realität deutlich schlechter sein als es die wissenschaftliche Literatur nahelegt. Dies gilt offenbar auch für Männer mit Hodentumoren: Werden sie in Zentren mit geringen Fallzahlen behandelt, ist die Gesamtsterblichkeit rund 80% höher als in Kliniken mit vielen Betroffenen. 70% in Kliniken mit geringen oder niedrigen Fallzahlen behandelt Zu diesem Schluss kommen Urologen um Dr. Solomon L. Woldu von der Universität in Dallas, nachdem sie Angaben zu mehr als 33.400 Männern mit Keimzelltumoren aus der Nationalen Krebsdatenbank (National Cancer Database, NCDB) ausgewertet hatten. Die Datenbank umfasst rund 70% aller Krebserkrankungen in den USA, etwa 1500 Institutionen sind beteiligt. Die Forscher um Woldu hatten nur Angaben zu Seminomen und nichtseminomatösen Keimzelltumoren berücksichtigt, die in den Jahren 2004 bis 2014 diagnostiziert worden waren; ferner wurden nur Daten von Männern im Alter von 18 bis 64 Jahren ausgewertet. Das Team um Woldu berechnete für die einzelnen Kliniken die durchschnittliche jährliche Fallzahl und unterteilte die Zentren in solche mit sehr hohem Volumen (99. Perzentile, über 26 Patienten im Jahr), hohem Volumen (95.–99. Perzentile, 15–26 Patienten), mittlerem Volumen (75.–95. Perzentile, 6–15 Patienten), geringem Volumen (25.–75. Perzentile, 2–6 Patienten) und sehr geringem Volumen (25. Perzentile, unter 2 Patienten). Im Median behandelten die Kliniken 3,4 Männer im Jahr, knapp 1240 Kliniken hatten Angaben zu Hodentumorpatienten geliefert. Die meisten Patienten (über 70%) wurden in Kliniken mit geringen und mittleren Volumina behandelt, nur knapp 7% in Institutionen mit sehr hohen Fallzahlen. Immerhin behandelten die 5% der Kliniken mit den höchsten Fallzahlen knapp ein Viertel der Hodentumorkranken. Patienten in Kliniken mit hohen Fallzahlen waren signifikant jünger, besser ausgebildet und stammten häufiger aus Metropolen als solche in Krankenhäusern mit mittleren oder geringeren Fallzahlen, auch hatten sie öfter fortgeschrittene Tumoren. Wurden diese und eine Reihe weitere Begleitfaktoren berücksichtigt, ergab sich ein signifikanter Trend zu einer höheren Sterblichkeit für Kliniken mit geringeren Fallzahlen. In Zentren mit einer sehr geringen Anzahl von Hodentumorpatienten lag die Gesamtmortalität 83% über der in Zentren mit den meisten Patienten. Bei einer geringen Anzahl war die Sterblichkeit im Beobachtungszeitraum um 48% erhöht, 45% mehr waren es in Kliniken mit einer mittleren und plus 28% in solchen mit hoher Fallzahl. Je mehr Hodenkrebspatienten eine Klinik behandelt, umso besser sind offenbar die Überlebenschancen der Patienten – unabhängig von anderen Faktoren. Die Unterschiede beruhten aber im Wesentlichen auf Patienten mit nichtseminomatösen Keimzelltumoren: In den Kliniken mit den niedrigsten Fallzahlen waren fünf Jahre nach der Diagnose 19% der Patienten gestorben, in denen mit den höchsten Fallzahlen nur 10%. Bei den Seminomen sieht die Prognose bekanntlich besser aus, hier waren in den Hochvolumenzentren nach fünf Jahren 4% nicht mehr am Leben, in den Kliniken mit den niedrigsten Fallzahlen 6%, der Unterschied war nicht signifikant. Häufiger retroperitoneale Lymphknotendissektionen Deutliche Unterschiede gab es auch in Abhängigkeit vom Tumorstadium. Sowohl bei Seminomen als auch nichtseminomatösen Tumoren im Stadium II und III drifteten die Überlebenskurven nach einigen Jahren in Abhängigkeit von den Fallzahlen stark auseinander. So starben innerhalb von fünf Jahren nur 2% der Männer mit nichtseminomatösen Stadium-II-Tumoren in den Kliniken mit den höchsten Fallzahlen, immerhin 22% waren es in denen mit dem niedrigsten Volumen. Bei Stadium-II-Seminomen zeigte sich mit 3% versus 13% ebenfalls ein auffälliger Unterschied. Für Männer mit Stadium-I-Tumoren gab es zwar ebenfalls einen Trend zu einer besseren Prognose in den Zentren mit hohen Fallzahlen, dieser war aber weder für Seminome noch nichtseminomatöse Tumoren signifikant. Deutliche Differenzen gab es hingegen beim Management: Die Hochvolumenzenten veranlassten bei nichtseminomatösen Stadium-I-Tumoren vermehrt eine retroperitoneale Lymphknotendissektion, bei Stadium-II- und -III-Tumoren untersuchten sie die Lymphknoten auch gehäuft nach einer Chemotherapie. Ob sich damit die bessere Prognose erklären lässt, bleibt allerdings Spekulation. Jedenfalls scheint es sich für Männer mit fortgeschrittenen Keimzelltumoren auszuzahlen, wenn sie sich in ein Zentrum mit viel Erfahrung begeben.

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