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Open Access 03.01.2025 | Hodgkin-Lymphom | Literatur kommentiert

Gekommen, um zu bleiben? Nivolumab in der Erstlinientherapie des Hodgkin-Lymphoms im fortgeschrittenen Stadium – eine strahlentherapeutische Nachlese der SWOG-S1826-Studie

verfasst von: Michael Oertel, Hans Theodor Eich

Erschienen in: Strahlentherapie und Onkologie

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Originalpublikation

Herrera AF, LeBlanc M, Castellino SM et al (2024) Nivolumab+AVD in Advanced-Stage Classic Hodgkin’s Lymphoma. N Engl J Med 391:1379–1389.

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Einführung
Moderne, risikostratifizierte Therapiealgorithmen ermöglichen beim Hodgkin Lymphom auch im fortgeschrittenen Stadium exzellente Heilungsraten > 90 % [1, 2]. Nach Definition der Deutschen Hodgkin Studiengruppe (GHSG) gehören Patienten mit einem Krankheitsbefall im Ann-Arbor-Stadium III/IV sowie jene mit einem Ann-Arbor-Stadium IIB und extranodalem Befall bzw. einem großen mediastinalen Tumor zum fortgeschrittenen Stadium. Eine Strahlentherapie (RT) wird hier nach Abschluss der Systemtherapie (konsolidierend) eingesetzt, nach aktuellen GHSG-Protokollen bei PET-positiven Residuen > 1,5 cm. Kürzlich wurde eine große randomisierte Studie der amerikanischen SWOG im New England Journal of Medicine veröffentlicht [3], die den Einsatz der RT im fortgeschrittenen Stadium grundsätzlich infrage stellt und im Folgenden diskutiert werden soll.
Methodik/Patientengut
Insgesamt wurden 994 Patienten mit einem erstdiagnostizierten Hodgkin-Lymphom im fortgeschrittenen Stadium (Ann-Arbor-Stadium III/IV) im Alter von 12 Jahren aufwärts zwischen Juli 2019 und Oktober 2022 eingeschlossen. Die Randomisierung erfolgte zwischen einer Therapie mit 6 Zyklen Nivolumab oder Brentuximab-Vedotin, jeweils in Kombination mit Doxorubicin, Vinblastin und Dacarbazin als Chemotherapierückgrat (N-AVD vs. BV-AVD). Die Indikation zur RT bestand bei PET-positiven (Deauville-Score 4–5) Residuen, die zudem eine mind. 30 % transversale Größenreduktion und eine Restgröße ≥ 2,5 cm bzw. > 1 cm im axialen Durchmesser hatten (nodale bzw. extranodale Befälle). Bei Behandlung mit BV-AVD war die Gabe von granulozytenkoloniestimulierendem Faktor obligat, bei N‑AVD fakultativ. Es konnten 970 Patienten in die Intention-to-treat-Analyse eingeschlossen werden (487 N-AVD vs. 483 BV-AVD). Der primäre Endpunkt war das progressionsfreie Überleben (PFS) nach 2 Jahren. Das mediane Alter der Patienten betrug 27,6 vs. 26,8 Jahre (N-AVD bzw. BV-AVD) mit ca. 2/3 der Patienten in der Altersgruppe 18–60 Jahre. Eine Bulkmanifestation lag bei 32 % bzw. 26 % und ein HIV-positiver Status bei 2 vs. 1 % der Patienten vor.
Ergebnisse
Nach einer medianen Nachbeobachtung von 2,1 Jahren (0–4,2 Jahre) ergab sich ein relevanter Unterschied im 2‑Jahres-PFS (92 % für N‑AVD vs. 83 %; HR 0,45). Das 2‑Jahres-Gesamtüberleben lag bei 99 % (N-AVD) vs. 98 % (BV-AVD; HR n. s.). Der abschließende PET-Status nach Systemtherapie war bei 158 Patienten (17,7 %) ein Deauville-Score von 4 bis 5, bei 8 Patienten (0,9 %) fehlend. Eine konsolidierende Radiotherapie war bei 59 % (573 Patienten) geplant, wurde jedoch nur in 7 Fällen (0,7 %) durchgeführt. Höhergradige Nebenwirkungen waren verstärkt in der BV-AVD-Gruppe zu finden, mit Ausnahme der Neutropenien (48 % vs. 26 % in N‑AVD vs. BV-AVD für Grad 3 oder höhere Neutropenien), was sich jedoch nicht in unterschiedliche Raten von febrilen Neutropenien, Sepsis und Infektionen umsetzte. Auch die Raten an Pneumonitis, Gastritis und Kolitis waren zwischen den beiden Gruppen nicht signifikant unterschiedlich. Es fanden sich mehr peripher sensorische Neuropathien in der BV-AVD-Gruppe (29 % vs. 56 %), insbesondere im Hinblick auf Grad 2 oder höhere Neuropathien (9 % vs. 32 %). Hingegen kam es in der N‑AVD-Gruppe häufiger zu Hypo- bzw. Hyperthyreoidismus (7 % vs. < 1 % bzw. 3 % vs. 0 %).
Fazit der Autoren
N‑AVD weist gegenüber BV-AVD ein verbessertes PFS und günstigeres Toxizitätsprofil für Patienten mit Hodgkin-Lymphom im fortgeschrittenen Stadium auf und führt zu einer dramatischen Reduktion der Rate bestrahlter Patienten.

Kommentar

Folgende Punkte sind aus unserer Sicht bei der Diskussion der Arbeit zu berücksichtigen:
  • Die Ergebnisse sind für Patienten mit Hodgkin-Lymphom im fortgeschrittenen Stadium außergewöhnlich positiv und wurden daher kürzlich auf dem Internationalen Hodgkin-Kongress in Köln lebhaft diskutiert.
  • Die bis dato innovativste Studie für das fortgeschrittene Stadium des HL der GHSG (HD21) implementierte das Antikörper-drug-Konjugat Brentuximab-Vedotin in die Erstlinientherapie von Patienten mit fortgeschrittenem Hodgkin-Lymphom [2].
  • Wie in der Diskussion der hier besprochenen Publikation angemerkt, sind die beiden Protokolle aufgrund der Patientencharakteristika nicht direkt miteinander zu vergleichen (HD21: Einschluss Ann-Arbor IIB, Ausschluss Patienten > 60 Jahre, keine HIV-positiven Patienten). Wesentlicher Unterschied ist zudem, dass die SWOG-Studie keine Interims-PET zur Therapiesteuerung einsetzt, was Vor- und Nachteil zugleich ist. Einerseits werden so zusätzliche Untersuchungen eingespart, andererseits ist so eine Risikostratifizierung nur eingeschränkt (mit der Abschluss-PET) möglich.
  • Eine wesentliche Leistung ist die Harmonisierung pädiatrischer und adulter Behandlungsprotokolle. Dies ist gerade für junge Erwachsene bedeutsam, da die Unterscheidung der Kategorien unter und über 18 Jahre wohl mehr einen justiziablen als krankheitsphysiologisch begründbaren Unterschied darstellt.
  • Es wurden lediglich 7 Patienten (3 in N‑AVD, 4 in BV-AVD) bestrahlt, da trotz der klaren Definition der Indikation (s. oben) die lokalen Behandler von einer Radiatio letztlich absehen konnten. Die genauen Gründe hierfür bleiben unklar. Entsprechend ist die Anzahl der Bestrahlungsserien gegenüber der HD21-Studie deutlich reduziert (17 % geplant, 15 % durchgeführt), was aber (s. oben) auf reiner Willkür beruht.
  • Die Prognose dieser nichtbestrahlten Patienten wird nicht dezidiert berichtet, sodass die Schlussfolgerung einer „erfolgreichen“ Reduktion der RT-Serien so nicht haltbar ist.
  • Vorherige Studien der GHSG zeigten bereits die Synergismen einer Kombination aus Immuntherapie und RT. So demonstrierte die NIVAHL-Studie für Patienten im intermediären Stadium nach sequenzieller bzw. simultaner Chemoimmuntherapie mit N‑AVD (und obligater Involved-site-RT mit 30 Gy!) nach medianer Nachbeobachtung von 41 Monaten ein PFS von 98 bzw. 100 % und Gesamtüberleben von 100 % [4].
  • Auch in der refraktären/rezidivierten Behandlungssituation des Hodgkin-Lymphoms kann eine RT zusätzlich zur Immuntherapie sinnvoll sein, z. B. zur Immunmodulation und Induktion abskopaler Effekte [5].
  • Letztlich ist die mediane Nachbeobachtung von gerade 2,1 Jahren zu kurz zur abschließenden Beurteilung der Therapieregime und weist für diese (meist junge) Patientengruppe noch keine Langzeitperspektive auf.

Fazit

Die Implementierung einer Immuntherapie mit Nivolumab in die Erstlinientherapie des Hodgkin-Lymphoms zeigt vielversprechende Ergebnisse, erfordert jedoch eine weitere Nachbeobachtung. Die Bedeutung der Radiotherapie in Kombination mit modernen zielgerichteten Therapien ist hiermit nicht widerlegt, sondern sollte in den aktuellen, randomisierten Studien dezidiert durch Strahlentherapeuten (!) aufgearbeitet werden.
Michael Oertel und Hans Theodor Eich, Münster

Interessenkonflikt

M. Oertel und H.T. Eich geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Open Access This article is licensed under a Creative Commons Attribution 4.0 International License, which permits use, sharing, adaptation, distribution and reproduction in any medium or format, as long as you give appropriate credit to the original author(s) and the source, provide a link to the Creative Commons licence, and indicate if changes were made. The images or other third party material in this article are included in the article’s Creative Commons licence, unless indicated otherwise in a credit line to the material. If material is not included in the article’s Creative Commons licence and your intended use is not permitted by statutory regulation or exceeds the permitted use, you will need to obtain permission directly from the copyright holder. To view a copy of this licence, visit http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​.

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Strahlentherapie und Onkologie

Print-Titel

•Übersichten, Originalien, Kasuistiken

•Kommentierte Literatur aus der Radioonkologie, Strahlenbiologie und -physik

Literatur
4.
Zurück zum Zitat Bröckelmann PJ, Bühnen I, Meissner J et al (2023) Nivolumab and Doxorubicin, Vinblastine, and Dacarbazine in early-stage unfavorable Hodgkin lymphoma: final analysis of the randomized German Hodgkin study group phase II NIVAHL trial. J Clin Oncol 41:1193–1199. https://doi.org/10.1200/JCO.22.02355CrossRefPubMed Bröckelmann PJ, Bühnen I, Meissner J et al (2023) Nivolumab and Doxorubicin, Vinblastine, and Dacarbazine in early-stage unfavorable Hodgkin lymphoma: final analysis of the randomized German Hodgkin study group phase II NIVAHL trial. J Clin Oncol 41:1193–1199. https://​doi.​org/​10.​1200/​JCO.​22.​02355CrossRefPubMed
Metadaten
Titel
Gekommen, um zu bleiben? Nivolumab in der Erstlinientherapie des Hodgkin-Lymphoms im fortgeschrittenen Stadium – eine strahlentherapeutische Nachlese der SWOG-S1826-Studie
verfasst von
Michael Oertel
Hans Theodor Eich
Publikationsdatum
03.01.2025
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Erschienen in
Strahlentherapie und Onkologie
Print ISSN: 0179-7158
Elektronische ISSN: 1439-099X
DOI
https://doi.org/10.1007/s00066-024-02353-0

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