Allgemeine Merkmale
Der Altersmedian (75 Jahre) der befragten Patienten unterscheidet sich nur geringfügig von dem anderer Publikationen und Datenbanken [
2‐
5,
8,
10,
11,
15]. In einer anderen Publikation dieser Arbeitsgruppe [
6], die ebenfalls auf KV-Daten basiert, sind die Frauen – wie in dieser Erhebung – etwas älter als die Männer (Tab.
1), in den anderen genannten Publikationen ist es umgekehrt, wenn auch der Unterschied bezüglich des Alters nur wenige Jahre beträgt. Eine versorgungsmedizinische Relevanz lässt sich mit diesem geringen Unterschied nicht ableiten. Der durchschnittliche Nutzen von Hörgeräten liegt in den Skalen EC, BN und RV bei knapp 30 Prozentpunkten (Tab.
2) und entspricht damit vorherigen Analysen [
3,
6].
In allen Subskalen gibt es eine bestimmte Anzahl von Patienten, die nach einer HGV keinen Nutzen oder sogar eine Verschlechterung des subjektiven Hörvermögens angeben. In den Subskalen EC, BN und RV liegt diese Rate bei etwa 12 %. In dieser Untersuchung wurden keine tonaudiometrischen Daten erhoben. Somit können zu weiteren audiologischen Parametern dieser Patienten und möglichen Korrelationen zu APHAB-Werten an dieser Stelle keine Angaben gemacht werden. Alle Patienten erfüllten jedoch die Voraussetzung der Hilfsmittel-Richtlinie, die eine Hörverbesserung mit Hörgeräten von mindestens 20 Prozentpunkten im Freiburger Einsilberhörtest fordert. Dass ein relevanter Anteil von Patienten dennoch eine subjektive Hörverschlechterung im APHAB angibt, kann viele Gründe haben. Denkbar ist eine relative Unabhängigkeit der Angaben in der Sprachaudiometrie und im APHAB, was an der immanenten Laborsituation sprachaudiometrischer Untersuchungen liegen könnte. Dieses ist Gegenstand gegenwärtiger Studien. Ferner wurde gezeigt, dass sich keine Korrelation zwischen einem tonaudiometrischen, frequenzspezifischen Hörverlust und den Werten der BN-Skala bzw. dem Vorliegen bestimmter Hörverlusttypen [
7] und dem APHAB insgesamt nachweisen lässt, was für eine hohe, interindividuell unterschiedliche Kompensationsfähigkeit spricht [
8,
9].
Wie schon zuvor bekannt, zeigt auch diese Untersuchung, dass sich die AV-Skala im Vergleich zu den anderen 3 Skalen anders verhält und somit relativ unabhängig von diesen zu interpretieren ist [
2‐
6]. Hörgeräte führen i. Allg. nicht zur Verbesserung der Empfindung von lauten Geräuschen. Die von vielen Patienten zunächst als unangenehm empfundene Verstärkung von Nebengeräuschen und das damit verbundene Wiederhören nach jahrelanger Entwöhnung spiegelt sich in der großen Anzahl von Patienten mit negativem Nutzen in der AV-Skala wider. Die Verwendung dieser Skala ist daher v. a. im Sinne einer subjektiven Evaluation des Recruitments bzw. einer subjektiven Hyperakusis sinnvoll und kann auch zur Erkennung von Aggravationen bzw. Simulationen verwendet werden [
16].
Grafische Darstellungen
Die Darstellung der Ergebnisse als grafische Perzentilverteilungen (Abb.
2,
3 und
4) ermöglichen eine einfache Zuordnung individueller Patientenergebnisse für alle 4 APHAB-Unterskalen und sind somit eine Ergänzung zu den bereits früher publizierten Kontingenztabellen, deren Datenbasis deutlich niedriger lag (
n = 154 [
3],
n = 224 [
4],
n = 560 [
5]). Die hier festgestellten Mittelwerte und durchschnittlichen Hörverbesserungen von knapp 30 Prozentpunkten (Abb.
2,
3 und
4; Tab.
2) decken sich mit denen der Voruntersuchung [
6].
Die Kurven für die APHAB-Werte vor einer HGV (Abb.
2) folgen – bis auf die der AV-Skala – einer Normalverteilung. Dieses kann durch die unterschiedlichen, hier nicht untersuchten Schweregrade der individuellen Schwerhörigkeit und die individuell sehr variablen Kompensationsmöglichkeiten erklärt werden. Einen exponentiellen Verlauf zeigt die Verteilung der Werte der AV-Skala vor einer HGV (Abb.
2). Bekannt ist, dass es eine schwierig zu interpretierende, negative Korrelation zwischen einem zunehmenden, tonaudiometrischen Hörverlust und dem APHAB-Wert der AV-Skala im mittleren Frequenzbereich gibt [
9]. Dieses mag auch in dem hier vorgestellten Fall eine Rolle spielen.
Mit Hörgeräten folgen die Kurven der EC-, BN- und RV-Skala keiner Normalverteilung mehr (Abb.
3). Dieses ist zu erwarten, wenn man davon ausgeht, dass die Mehrheit der Träger mit Hörgeräten weniger Probleme im subjektiven Verstehen angibt als ohne. Bemerkenswert ist, dass in der EC-Skala etwa 30 % der Patienten Hörprobleme angeben, die oberhalb des Mittelwerts von etwa 20 % liegen, und in der BN- und RV-Skala knapp die Hälfte der Patienten Hörschwierigkeiten oberhalb des Mittelwerts von etwa 30 % angibt. Etwa 15 % der Patienten aller Patienten geben an, mit Hörgeräten in mindestens der Hälfte aller beschriebenen Hörsituationen noch subjektive Verstehensschwierigkeiten zu haben. Da alle Patienten die Kriterien der Hilfsmittel-Richtlinie erfüllen, zeigt sich auch, dass eine objektive Hörverbesserung in der Sprachaudiometrie nicht unbedingt mit einer befriedigenden subjektiven Verstehensrate im APHAB einhergeht.
Hier wäre eine noch zu untersuchende Fragestellung, ob sich diese Werte durch regelmäßiges Tragen der Hörgeräte und das damit verbundene Training der Hörbahn im zeitlichen Verlauf verbessern. Ein negativer Nutzen kann aber auch eine möglicherweise noch optimierungsbedürftige Anpassstrategie seitens der Hörgeräteakustiker abbilden. Hochgradig schwerhörige Patienten können naturgemäß auch bei optimaler Anpassung ihrer Hörgeräte keine 100 % Verständlichkeitsrate erreichen. Es wäre interessant, diese Gruppe hinsichtlich einer möglichen Indikation zur CI-Versorgung weiter zu untersuchen. Möglich wäre so vielleicht, einen bestehenden Vorschlag eines Referenzwerts für die Versorgung mit einem Cochleaimplantat (CI) mit Werten aus dem Ton- und Sprachhörvermögen [
17] um entsprechend ermittelte APHAB-Werte zu ergänzen, weil nur so das subjektive Hörvermögen von Patienten in die Entscheidungsfindung mit einfließen kann.
Bei den Patienten, die eine massive Verschlechterung des Hörvermögens (im Einzelfall bis zu 100 %) durch ihre Hörgeräte erfahren, kommen verschiedene Erklärungen in Betracht. Denkbar sind Verwechslungen der beiden Erfassungsbögen in der Praxis während der Dateneingabe. Es wäre sinnvoll, hier einen entsprechenden Erkennungsalgorithmus zu entwickeln. Einzelfälle mit extrem schlechten Werten können natürlich grundsätzlich immer vorkommen.
Die Kurven der Verteilungen des Nutzens durch eine HGV (Abb.
4) haben alle einen sigmoidalen Verlauf, spiegeln also eine Normalverteilung der Ergebnisse wider. Unter der Voraussetzung, dass eine versorgungsrelevante Schwerhörigkeit nach der Hilfsmittel-Richtlinie vorliegt, ist eine solche Normalverteilung des Nutzens durch eine HGV vor dem Hintergrund interindividueller Unterschiede zu erwarten. Immerhin geben auch hier 12 % der Patienten in den Skalen EC, BN und RV keinen subjektiven Nutzen durch ihre Hörgeräte an. Für diese Gruppe gelten die im vorigen Absatz aufgeführten Erklärungsversuche.
Die beschriebenen Abweichungen der Mittelwerte in der EC-, BN- und RV-Skala von den Medianen der Boxplots nach oben hin bei den mit Hörgeräten versorgten Patienten bedeuten, dass die meisten Patienten tatsächlich mit Hörgeräten geringere Probleme in diesen 3 Hörsituationen haben, als dies der Mittelwert vermuten ließe. Eine solche Verzerrung des Mittelwerts durch wenige, starke Ausreißer nach oben wird auch durch die nach oben hin längeren Whisker deutlich. Dies schlägt sich jedoch nicht bei den Medianen der Nutzenbewertung nieder. In der Literatur wurde dieses Phänomen bisher noch nicht beschrieben. Die beiden Interquartilbereiche der APHAB-Subskalen EC, BN und RV überlappen sich nicht. Daraus ergibt sich, dass sich rein statistisch die Mehrheit der Hörgeräteträger vor und nach einer erfolgreichen HGV innerhalb dieser Interquartilbereiche befindet.
Die Boxplots geben die Verteilungen der Antworten in relativ grober Form wieder: 25%- und 75%-Quantil, den Median und die durch die Whisker begrenzten Bereiche. Damit lässt sich zwar sagen, wie sich individuell ermittelte Werte zu den genannten Bereichen verhalten, z. B., ob diese im Bereich der Interquartile liegen, oder nicht. Eine weitere Differenzierung ist nicht möglich.
Die Anwendung der Perzentilverteilungen in Form der Kurven, wie sie die Abb.
2,
3 und
4 zeigen, ermöglichen eine feinere Abstufung und genauere Angabe, ob ermittelte Werte mehr in den linearen Bereich oder den steiler verlaufenden Abschnitten der Verteilungskurve liegen. Zudem kann schneller ermittelt werden, wie viele Patienten mindestens ähnlich so gut bzw. schlecht geantwortet haben wie das betrachtete Individuum. Auch lässt sich sagen, ob sich ein Individuum immer auf demselben Bereich befindet, z. B. auf der 50er-Perzentile. Dieses Verhalten individueller Patienten vor und nach einer HGV in Bezug auf die zugehörigen Kurven sollte noch weiter untersucht werden. Mit diesen Kurven können daher individuelle Werte vor dem Hintergrund der Grundgesamtheit besser und genauer zugeordnet und somit interpretiert werden.
Ideal erfolgreich wäre eine HGV, wenn der APHAB-Score nach der Anpassung für jede Unterskala durchschnittlich bei 1 % läge. Dieses ist wegen der nachgewiesenen hohen interindividuellen Variabilität nicht realisierbar [
6,
18], erst recht nicht bei hochgradig schwerhörigen Patienten. Die von Cox empirisch angegebene Regel, dass eine Hörgeräteverordnung dann erfolgreich ist, wenn die Hörverbesserung in einer APHAB-Subskala mindestens 5 Prozentpunkte beträgt bzw. für eine erfolgreiche Hörverbesserung mindestens 22 Prozentpunkte in den Unterskalen EC, BN und RV zusammen erreicht werden sollen [
14], werden der Versorgungsrealität einzelner Individuen aus den genannten Gründen nicht gerecht, auch wenn die durchschnittliche Hörverbesserung in der vorliegenden Untersuchung zusammen genommen sogar besser war.
Die Angabe von durchschnittlichen Hörverbesserungen durch Hörgeräte mittels Frageninventaren ist nur statistisch korrekt, ohne einen individuellen Nutzen einordnen zu können. Dieses gilt auch für die bereits erwähnte Studie zum Oldenburger Inventar [
13]. Dort wurden auf der Basis von 136 Patienten die Werte für eine durchschnittliche Hörverbesserung und die zugehörigen Boxplots in den verschiedenen Unterskalen des Oldenburger Inventars angegeben. Diese beschreiben den Nutzen einer HGV aus den bereits genannten Gründen gröber als Perzentilkurven, für deren Erstellung jedoch eine größere Fallzahl erforderlich ist. Die in der genannten Publikation abgeleitete Forderung, dass sich das Hörvermögen durch eine HGV im Oldenburger Inventar um mindestens einen Skalenpunkt verbessern sollte, ist statistisch zwar korrekt, jedoch aus den gerade aufgeführten Gründen problematisch.
Die Wahrscheinlichkeit einer Hörverbesserung durch Hörgeräte, repräsentiert durch einen positiven Nutzen im APHAB-Wert der entsprechenden Unterskala durch Differenzbildung, ist für die Subskalen EC, BN, und RV gleich groß. Nimmt man das untere Quartil als Untergrenze eines positiven Nutzens, liegt diese Wahrscheinlichkeit naturgemäß niedriger, als wenn man jeden Wert, der größer als Null ist, berücksichtigt (Tab.
3). Größenordnungsmäßig liegen die Wahrscheinlichkeiten, einen positiven Nutzen durch Hörgeräte (unteres Quartil als Grenze) zu erfahren, im Bereich um 0,75 und stimmen damit mit den Ergebnissen einer Voruntersuchung mit deutlich weniger Daten (
n = 224) im Wesentlichen überein [
5]. Da die Werte normalverteilt sind und auf individuellen Angaben beruhen (jede HGV war schließlich nach der Hilfsmittel-Richtlinie erfolgreich), ist es eigentlich kaum möglich, einen fixen APHAB-Grenzwert zu definieren, ab dem man von einer erfolgreichen HGV sprechen kann.
In einer weiteren Untersuchung sollte v. a. geklärt werden, welche Besonderheiten die Patienten aufweisen, die keinen oder nur einen sehr geringen Nutzen in den Unterskalen EC, BN und RV aufweisen. Für die AV-Skala wurde die Untersuchung mittels Vorzeichentest nicht durchgeführt, weil sich hier für die meisten Patienten der Höreindruck durch Hörgeräte verschlechterte, laute Situationen werden bekanntermaßen – zumindest in der Eingewöhnungsphase von Hörgeräten – nicht als angenehmer empfunden. Hier könnte künftig eine zeitliche Nachuntersuchung klären, ob sich die Werte der AV-Skala bei längerem Tragen der Hörgeräte verbessern.
Tab. 3
Ergebnisse des Vorzeichentests für einen positiven Nutzen/keinen Nutzen und eine Verschlechterung im APHAB
EC-Nutzen 95%-KI | 0,770 (0,08)a
0,775–0,766 | 0,848 0,844–0,851 | 0,025 0,023–0,027 | 0,127 0,124–0,131 | 0,230 (0,08)a
0,225–0,234 |
BN-Nutzen 95%-KI | 0,768 (0,12)a
0,764–0,772 | 0,884 0,881–0,887 | 0,023 0,022–0,025 | 0,093 0,089–0,096 | 0,232 (0,12)a
0,228–0,236 |
RV-Nutzen 95%-KI | 0,756 (0,11)a
0,751–0,760 | 0,871 0,868–0,875 | 0,026 0,024–0,027 | 0,103 0,100–0,106 | 0,244 (0,11)a
0,240–0,249 |
Eine andere Frage für weitere Untersuchungen wäre, wie bereits erwähnt, ob, und wenn ja, wie oft ein Individuum vor und nach einer HGV innerhalb seiner APHAB-Perzentilverteilung bleibt (Beispiel: vor einer HGV befindet sich ein Patient auf der 35er-Perzentile einer APHAB-Subskala, nach einer HGV ebenfalls). Denkbar wäre, dass es eine solche Perzentiltreue wegen der hohen interindividuellen Variabilität in der Kompensationsmöglichkeit von Hörschwierigkeiten gar nicht gibt. Für den Fall, dass es keine solche Perzentiltreue gibt, blieben tatsächlich nur die hier vorgestellten Graphen und Kontingenztafeln als Beurteilungsgrundlage, wie erfolgreich eine HGV die subjektive Hörbeeinträchtigung im APHAB reduziert.