15.11.2019 | Psychoanalyse | Freier Einfall
Homo homini lupus: Wer ist das Subjekt?
Erschienen in: Forum der Psychoanalyse | Ausgabe 4/2019
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Genetiv oder Dativ, diese Frage hat so manchem Lateinschüler den Schweiß auf die Stirn getrieben. Ist der Wolf der Wolf des Menschen? – Das wäre der Genetiv. Das müsste aber „hominis“ heißen. Also: Hier ist der Dativ wieder einmal dem Genetiv sein Tod, vergleiche die wunderbare Sprachanalyse von Bastian Sick, die allerdings auf die deutsche Sprache zielt (Sick 2008). „Homini“ steht zweifelsfrei im Dativ. Damit lautet der Satz korrekt übersetzt: Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Hier gibt es nun zwei Varianten: Er erscheint ihm (nur) so, oder, die etwas härtere Gangart, er ist (und bleibt) es auch: Der Mensch verhält sich zu dem anderen Menschen wie ein Wolf. Da das Verb in dem Diktum fehlt, müssen wir mit beiden Varianten leben. Die härtere Variante bevorzugen der Philosoph Thomas Hobbes (1657) und auch Sigmund Freud (1930). Ein Vortrag von Bastian (2019), der in der letzten Ausgabe des Forum der Psychoanalyse abgedruckt ist, setzt sich mit folgendem Satz aus Freuds Werk „Das Unbehagen in der Kultur“ auseinander:…Das gern verleugnete Stück Wirklichkeit hinter alledem ist, dass der Mensch nicht ein sanftes, liebebedürftiges Wesen ist, das sich höchstens, wenn angegriffen, auch zu verteidigen vermag, sondern dass er zu seinen Triebbegabungen auch einen mächtigen Anteil von Aggressionsneigung zählen darf. Infolgedessen ist ihm der Nächste nicht nur möglicher Helfer und Sexualobjekt, sondern auch eine Versuchung, seine Aggression an ihm zu befriedigen, seine Arbeitskraft ohne Entschädigung auszunützen, ihn ohne seine Einwilligung sexuell zu gebrauchen, sich in den Besitz seiner Habe zu setzen, ihn zu demütigen, ihm Schmerzen zu bereiten, ihn zu martern und ihn zu töten. Homo homini lupus; wer hat nach allen Erfahrungen des Lebens und der Geschichte den Mut, diesen Satz zu bestreiten? (Freud 1930)