KI-Zukunft in Praxen: Haben Sie heute schon mit einer Leitlinie gechattet?

Wie werden Arztpraxen künstlich intelligent? Und ist das überhaupt erstrebenswert? Eine Diskussion beim Hauptstadtkongress brachte interessante Anwendungen zutage – und manche Bedenken. Professor Martin Hirsch, Leiter des Instituts für Künstliche Intelligenz in der Medizin in Marburg, ist von Berufs wegen Optimist. Jedenfalls bezogen auf sein Fachgebiet. „In Zukunft gesellen sich kleine Roboter oder auch intelligente Möbel als digitale Assistenten in Praxen zum Team dazu“, sagte Hirsch bei der Veranstaltung „Wie werden Praxen künstlich intelligent?“ am Freitag auf dem Hauptstadtkongress in Berlin. Hirsch ist einer der Gründer von Ada Health, einem bereits früh entwickelten Symptomchecker, der als Chatbot funktioniert. Nutzer geben ihre Symptome ein, der Chatbot fragt dann immer weiter, um schließlich eine wahrscheinliche Diagnose auszuspucken. Der KI-Spezialist sieht hohen Bedarf für eine künstlich intelligente Assistenz in Praxen: „Die Medizin ist in einer kognitiven Krise“, so seine These in der Veranstaltung, die Teil der Reihe „Ärzte Zeitung Debatte“ beim Hauptstadtkongress war: Es gebe eine unübersehbare Anzahl von Studien, die Patienten seien häufig multimorbide, der Aufwand für die Dokumentation wachse immer weiter – und alles werde immer komplexer. Voranamnese auf dem Sofa Die Möglichkeiten dafür wachsen schnell, Hirsch beschrieb in Berlin einige davon: Die Zeit im Wartezimmer oder auch das Sofa zu Hause könne ein Patient zur Eingabe seiner Symptome in einen Chatbot zur Voranamnese nutzen. „Ada war bei der Anamnese schon 2020 auf Augenhöhe mit Ärzten“, verwies Hirsch auf eine Studie aus 2020. Mit einer solchen Erstanamnese könne der Arzt oder die Ärztin im Patientengespräch schneller auf den Punkt kommen. Weitere Möglichkeiten für den KI-Einsatz seien etwa der Check der elektronischen Patientenakte (ePA) oder auch das Einlesen und Zusammenfassen von Informationen auf Papier. Mit der ePA könne ein Arzt in einer solchen Anwendung dann auch chatten. Beim Ultraschall könne KI helfen, den Schallpegel richtig auszurichten, und dann auch bei der Befundung unterstützen. Die strukturierte Dokumentation eines Patientengesprächs in die Akte (Text to Speech) könne ebenfalls die KI übernehmen, die Ergebnisse seien teilweise schon sehr gut, so Hirsch. Nur das Reflektieren über das Gespräch im Nachhinein gehe verloren, wenn nicht selbst dokumentiert werde. KI könne auch den Zugang zu Leitlinien erleichtern, indem man mit Ihnen in den Chat gehe, wenn dem Chatbot vorher gesagt werde, dass seine Antworten sich nur auf die Leitlinie beziehen sollen. In der Notaufnahme könne in Zukunft eine spezielle Kabine für die Erhebung von Vitaldaten und für die Erstanamnese mit einem Avatar des Arztes oder der Ärztin genutzt werden. Das sei auch in ländlichen Regionen mit geringer Arztdichte oder in Alten- oder Flüchtlingsheimen möglich. Hirsch: „So ein Avatar spricht heute schon 67 Sprachen und übersetzt das dann direkt ins Deutsche.“ Telefonassistent passte nicht ins Team Die Realität sieht aktuell noch anders aus, wie Hausärztin Dr. Kristina Spöhrer aus Winsen bei Hamburg in der Diskussion deutlich machte. So habe sie in ihrer Praxis einen Telefonassistenten einführen wollen, um das Team zu entlasten. Aber die Probleme mit dem Einbinden des Programms hätten die Praxis im Gegenteil zurückgeworfen, sagte Spöhrer, die Vorstandsmitglied im Hausärztinnen und Hausärzteverband ist und im Verband in der AG Digitales mitarbeitet. „Die Prozesse, die wir nutzen, müssen gut integriert sein“, so Spöhrers Folgerung aus den Erfahrungen mit dem Telefonassistenten. „Es fehlen immer noch offene Schnittstellen“, kritisierte die Hausärztin. Und auch Martin Hirsch konstatierte: „Die Bremsklötze für die Weiterentwicklung sind die PVS- und die KIS-Anbieter.“ Sie müssten gesetzlich gezwungen werden, sich zu öffnen. Auf jeden Fall seien digitale Tools für Medizinstudenten attraktiv, wenn sie in ihre Praxis kommen, eine Lehrpraxis für mehrere Universitäten, betonte Spöhrer. Die Hoffnung sei es schon, für Standardprozesse durch KI Entlastung zu bekommen, um Patienten mehr Aufmerksamkeit und Zeit widmen zu können. bvmd: Zu wenig KI im Studium! Tim Schwär von der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd) kritisierte, dass Digitalisierung und KI im Studium nur ganz am Rande vorkämen. Damit sich das ändere, „brauchen wir endlich die Reform des Medizinstudiums, die neue Approbationsordnung“, forderte der Medizinstudent im 10. Semester. Dr. Andreas Meißner vom Bündnis für Datenschutz und Schweigepflicht hielt als Kritiker der Entwicklung dagegen. Er arbeite in der Praxis mit einem Tool zur Prüfung der Wechselwirkungen – „die ePA hätten wir dafür nicht gebraucht“, so Meißner. Empathie als Kernkompetenz Nicht zu vergessen sei auch, dass es permanent Angebote von den Praxisverwaltungssystem-Anbietern zur Einführung von KI-Tools gebe, und die seien leider nicht kostenfrei. Er befürchte, dass KI, ähnlich wie die Telematikinfrastruktur dann eines Tages zwangseingeführt werde. Zudem sei es ein „Armutszeugnis, wenn wir zur Versorgung der Patienten Avatare nutzen“, da gehe die zwischenmenschliche Beziehung verloren, ärgerte sich Meißner. Da allerdings rannte er auch bei Martin Hirsch offene Türen ein: Um fit für das KI-Zeitalter zu werden, müssten Ärzte vor allem ihre Empathie-Fähigkeit verbessern: „Wie agiere ich von Mensch zu Mensch? Das müssen wir in die Curricula mit einbauen. Alles andere wird KI bald besser können.“ Quelle: Empfehlung der Redaktion HSK 2025 Hauptstadtkongress 2025 25. - 27. Juni 2025 | Berlin Gesundheitspolitik und -wirtschaft, Medizin und Pflege, Wissenschaft und Forschung: Auf dem Hauptstadtkongress kommen sie zusammen, um die Zukunft des Gesundheitswesens in den Blick zu nehmen. Aktuelle medizinische News vom Kongress finden Sie im Kongressdossier. .

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