Damit die Schmerztherapie von Anfang an greift

Bei einem Patienten mit starken chronischen Schmerzen sollte die Therapie möglichst von Anfang an greifen. Denn mit jedem erfolglosen Versuch steigen mehr und mehr Patienten trotz Schmerzen aus der Behandlung aus [1]. Unter den WHO-Stufe-3-Opioiden führte das Hydromorphon-Präparat mit 24-Stunden-Retardierung häufiger zum Erfolg als konventionelle Hydromorphon-Präparate und andere orale Opioide [1]. Am niedrigsten waren die Ansprechraten in der Analyse des PraxisRegisters Schmerz unter Morphin, das heute nicht mehr als Goldstandard bei der Behandlung starker Schmerzen angesehen werden kann. Opioide der WHO-Stufe 3 sind für viele Patienten mit starken tumor- und nicht-tumorbedingten Schmerzen unverzichtbarer Bestandteil der Therapie. Doch sind alle reinen µ-Agonisten als gleichwertig anzusehen? Ist ihre Wirksamkeit nur eine Frage der Dosierung? Und kann Morphin weiterhin als Goldstandard gelten? Antworten auf diese Fragen geben zwei Auswertungen von Real-World-Daten des PraxisRegisters Schmerz, dessen Initiierung die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) e.V. im Sommer 2014 beschlossen hat [2]. Wie PD Dr. med. Michael A. Überall vom Institut für Neurowissenschaften, Algesiologie und Pädiatrie (IFNAP) in Nürnberg berichtete, wurden bis zum 31. Dezember 2018 rund 210.000 Behandlungsfälle dokumentiert [1]. Was sich mit einer rationalen Therapie erreichen lässt Eine Analyse der Registerdaten (Stichtag: 31.12.2018) schloss alle 16.762 Patienten mit tumorbedingten Schmerzen ein, die mit einem retardierten Stufe-3-Opioid behandelt wurden [1]. Bei bis zu sechs Therapieversuchen pro Patient ergaben sich insgesamt rund 32.000 Behandlungen. Im Rahmen der Erstlinientherapie führte das Hydromorphon-Präparat mit 24-Stunden-Retardierung (Hydromorphon Aristo® long) mit 66,0% der Patienten häufiger zum Erfolg als konventionelle Hydromorphon-Präparate mit 51,0%, Oxycodon mit 29,0% und Morphin mit 22,3%. Die Abbruchrate aufgrund mangelnder Verträglichkeit lag zwischen 5% unter 24-Stunden-Hydromorphon und 35,8% unter Morphin. „Das Hydromorphon-Präparat mit 24-Stunden-Retardierung wurde im Rahmen der First-Line-Therapie am seltensten und Morphin am häufigsten eingesetzt. Für den bevorzugten Einsatz von Morphin gibt es aber heute keine Evidenz mehr“, so Überall angesichts der deutlich besseren Wirksamkeit und Verträglichkeit von Hydromorphon. Der Vergleich der beiden Opioide zeige, was sich mit einer rationalen Therapie erreichen lasse. Auf jeder Stufe gehen Patienten verloren Unter dem 24-Stunden-Hydromorphon-Präparat waren die Ansprechraten auch bei weiteren Therapieversuchen – und damit auch insgesamt – am höchsten (Abb. 1) [1]. Der Anteil der Responder ging aber bei allen Opioiden mehr und mehr zurück. „Wenn die Therapie nicht wirkt, verlieren wir somit auf jeder Stufe Patienten, die trotz Schmerzen nicht mehr bereit sind, noch einen weiteren Therapieversuch zu unternehmen“, gab Überall zu bedenken. Beim zweiten Versuch brachen insgesamt 15,5% der Patienten die Behandlung endgültig ab. Beim dritten Versuch stieg jeder dritte und beim vierten Versuch jeder zweite Patient aus. Ärzte sollten deshalb versuchen, möglichst frühzeitig einen Therapieerfolg zu erzielen. Doch selbst wenn ein Patient unter einer Therapie verbleibt, bedeutet es nicht zwangsläufig, dass er auch gut behandelt ist. Denn bei 19,3% aller Patienten setzten die Schmerzen am Ende des Dosierungsintervalls wieder ein (Abb. 2). Unter dem 24-Stunden-Hydromorphon-Präparat war der Anteil mit 7,4% am geringsten. Abb. 1: Ansprechraten der verschiedenen Opioide (alle Therapieversuche gemittelt) und Therapieerfolg (modifiziert nach [1]) Springer Medizin Verlag GmbH × Abb. 2: Anteil der Patienten mit Schmerzen am Ende des jeweiligen Dosierungsintervalls verschiedener Opioide (modifiziert nach [1]) Springer Medizin Verlag GmbH × Orale Stufe-3-Opioide im Vergleich Eine zuvor durchgeführte retrospektive „Matched-Pairs-Analyse“ (Stichtag: 28. Februar 2018) schloss in drei Gruppen jeweils 185 Patienten mit nicht-tumorbedingten Schmerzen ein, die erstmals auf retardiertes Morphin, Oxycodon oder Hydromorphon eingestellt wurden [3]. Unter den mit Hydromorphon behandelten Patienten erhielten 55,7% das einmal täglich einzunehmende 24-Stunden-Präparat und 44,3% ein konventionelles Präparat mit 12-Stunden-Retardierung. Primärer Studienendpunkt war eine mindestens 50%ige Verbesserung der Beschwerden hinsichtlich Schmerzintensität, körperlicher Funktionsfähigkeit und Lebensqualität. Schmerzreduktion übersetzt sich in Lebensqualität Der Anteil der Patienten mit einer so deutlichen Schmerzlinderung war unter Hydromorphon mit 24-Stunden-Retardierung mit 77,7% höher als unter Hydromorphon-Präparaten mit 12-Stunden-Retardierung mit 68,3% [3]. Für Oxycodon und Morphin ergaben sich Ansprechraten von 62,2% bzw. 56,8%. „Das unterschiedliche Ansprechen in Bezug auf die Schmerzreduktion übersetzt sich in entsprechende Verbesserungen der Lebensqualität“, betonte Überall. Denn auch bei diesem Endpunkt wurde unter 24-Stunden-Hydromorphon die höchste Ansprechrate verzeichnet: Hierunter zeigten 76,7% eine mindestens 50%ige Verbesserung ihrer Lebensqualität – gegenüber 63,4% unter 12-Stunden-Hydromorphon, 43,8% unter Oxycodon und 38,9% unter Morphin. Wirkstoffkritische Risikofaktoren und Kontraindikationen lagen bei 75,7% der mit Morphin und bei 48,7% der mit Oxycodon behandelten Patienten vor (p<0,001 für Oxycodon vs. Morphin). Unter den mit Hydromorphon behandelten Patienten war der Anteil mit 34,6% am geringsten (p<0,001 für Hydromorphon vs. Oxycodon und Morphin). Therapieabbrüche traten unter Hydromorphon mit 20% seltener auf als unter Oxycodon mit 41,1% und Morphin mit 48,7% (p<0,01). Hydromorphon weiterhin Präferenzsubstanz Zur Frage „Ist Morphin der Goldstandard in der Schmerztherapie?“ stellen die Autoren der Praxisleitlinie „Tumorschmerz“ der DGS fest: „Hydromorphon wird aufgrund pharmakologischer Vorteile in der Verträglichkeit Präferenzsubstanz der Tumorschmerztherapie. Es wirkt bei neuropathischen, nozizeptiven und viszeralen Schmerzen“ [4]. Zu den allgemeinen Therapieprinzipien zähle es, die medikamentöse Tumorschmerztherapie als Dauertherapie so zu organisieren, dass durch die Retardfreisetzung möglichst eine 24-stündige Abdeckung erreicht werde. Neben der gewählten Substanz sollte auch die Galenik in die Therapieentscheidung einbezogen werden, betonte der Koautor der Leitlinie Dr. med. Dipl.-Psych. Johannes Horlemann, Facharzt für Allgemeinmedizin, spezielle Schmerztherapie, Kevelaer, und Leiter des Regionalen Schmerzzentrums DGS Geldern. Der Patientenwunsch sei ebenfalls mit einzubeziehen. Keinesfalls sollte ein Patient – beginnend z.B. mit Paracetamol oder einem nicht-steroidalen Antirheumatikum (NSAR) – alle Stadien des Stufenschemas durchlaufen müssen. Denn die wenig überzeugende Datenlage zu Substanzen der WHO-Stufe 1 lasse ihren Einsatz bei Tumorschmerzen nicht angeraten sein. Praxisleitlinie Tumorschmerz wird aktuell überarbeitet Aktuell befindet sich die Praxisleitlinie in der Überarbeitung. Wie Horlemann berichtete, gäbe es neue Kapitel, die sich mit dem Nebenwirkungsmanagement befassen. Den Vorrang bei der Auswahl eines Medikaments soll nun die dauerhafte Verträglichkeit haben und erst im nächsten Schritt die Wirkstärke. Ein Tumorschmerzpatient solle keinesfalls alle Ebenen des WHO-Stufenschemas (I-III) durchschreiten müssen [5]. „Die neue WHO-Leitlinie empfiehlt mit Substanzen wie Paracetamol und den NSAR Analgetika, die wir schon in der aktuellen Version der DGS-Leitlinie nicht mehr berücksichtigt haben. Die WHO-Leitlinie richtet sich aber an die ganze Welt – und damit auch an Länder mit begrenzten Ressourcen“, so Horlemann. In den industrialisierten Ländern sei das Befolgen solcher Empfehlungen bedenklich. Fazit Die meisten Patienten mit tumorbedingten Schmerzen erhalten in Deutschland nach Daten des PraxisRegisters Schmerz als erstes orales Stufe-3-Opioid Morphin. Aufgrund der mangelnden Verträglichkeit sind die Abbruchraten hierunter jedoch höher als bei allen anderen oralen Stufe-3-Opioiden. Die höchsten Ansprechraten wurden unter dem Hydromorphon-Präparat mit 24-Stunden-Retardierung verzeichnet, unter dem die Schmerzen am Ende eines Dosierungsintervalls auch seltener zurückkehrten als bei den anderen Opioiden. Literatur Überall MA, Müller-Schwefe GHH, 2019, PraxisRegister Schmerz/iDocLive®, Data on File http://dgschmerzmedizin.de/schmerzdokumentation/praxisregister.htm (letzter Zugriff: 10.03.2019) Überall MA, Müller-Schwefe GHH, Horlemann J, Schmerzmedizin 2018, 34:64–73 http://www.DGS-PraxisLeitlinien.de (letzter Zugriff: 10.03.2019) https://apps.who.int/iris/handle/10665/279700 (letzter Zugriff: 10.03.2019) Impressum Symposium „Opioide in Schmerz- und Palliativmedizin – Fundament oder Supplement einer patientengerechten Individualisierung“, Deutscher Schmerz- und Palliativtag, Frankfurt/Main, 8. März 2019 Medizin Report aktuell Nr. 463828 in: MMW 8/2019 Berichterstattung: Dr. Matthias Herrmann, Berlin Artikel gedruckt in MMW – Fortschritte der Medizin 8/2019 Mit freundlicher Unterstützung der Aristo Pharma GmbH, Berlin Corporate Publishing (verantwortl. i. S. v. § 55 Abs. 2 RStV): Ulrike Hafner, Tiergartenstraße 17, 69121 Heidelberg Redaktion: Teresa Windelen Springer Medizin Verlag GmbH Heidelberger Platz 3 14197 Berlin Tel: 0800 7780 777 (kostenfrei) | +49 (0) 30 827 875 566 Fax: +49 (0) 30 827 875 570 E-Mail: kundenservice@springermedizin.de Die Springer Medizin Verlag GmbH ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Nature Geschäftsführer: Joachim Krieger, Fabian Kaufmann Handelsregister Amtsgericht Berlin-Charlottenburg HRB 167094 B Umsatzsteueridentifikationsnummer: DE 230026696 © Springer Medizin Verlag GmbH Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. PDF: Hydromorphon-Präparat mit 24-Stunden-Retardierung - Damit die Schmerztherapie von Anfang an greift

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