Verschreibungsentzug von Blutdrucksenkern sicher möglich

Kann man bei Pflegeheimbewohnern Antihypertensiva gezielt absetzen oder reduzieren, ohne die Gefahr für Infarkte und Schlaganfälle zu erhöhen? Eine Studie mit Daten von mehr als 13.000 US-Veteranen spricht dafür. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Bei Menschen in Langzeitpflege wird eine bestehende Hochdrucktherapie häufig in der Dosis reduziert oder (teilweise) abgesetzt. Dahinter steht z. B. die Sorge vor einem infolge von Begleiterkrankungen erhöhten Schadensrisiko oder einem in der verbleibenden Zeit nicht mehr erlebbaren Nutzen. Wie sich das Deprescribing von Antihypertensiva mit Blick auf das Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen auswirkt, hat nun eine Forschungsgruppe um Michelle Odden von der Stanford University in Palo Alto untersucht. Weil eine randomisierte Studie (RCT) zu der Fragestellung schwer zu realisieren ist, hat sie aus Krankenakten von pflegebedürftigen Veteranen einen sogenannten Target Trial emuliert, mit dem die Bedingungen einer RCT bestmöglich nachgeahmt werden. Das Ergebnis spricht für die Sicherheit des geplanten und überwachten Verschreibungsentzugs: „Wir haben keine Assoziation zwischen dem Deprescribing von Antihypertensiva und dem Auftreten von Herzinfarkten oder Schlaganfällen gefunden“, schreiben Odden und Mitforschende. Target Trial mit über 13.000 Pflegepatienten Der Target Trial basierte auf den elektronischen Krankenakten von über 13.000 über 65-Jährigen (97% Männer, medianes Alter 77 Jahre), die langfristig in Pflegeeinrichtungen für US-Veteranen untergebracht waren und anfangs mindestens ein Antihypertensivum eingenommen hatten. Bedingungen für die Aufnahme in die Studie waren u. a. ein systolischer Blutdruck < 160 mmHg und die Abwesenheit einer Herzinsuffizienz. In den Wochen 13–24 war bei 2334 Teilnehmenden (18%) ein Deprescribing erfolgt, das heißt, mindestens ein Hochdruckmittel war für wenigstens zwei Wochen um 30% in der Dosierung reduziert oder abgesetzt worden. Im Vergleich zur Gruppe ohne hatte die Gruppe mit Deprescribing etwas niedrigere Blutdruckwerte (127/69 vs. 129/70 mmHg) und in der Anamnese häufiger Erkrankungen wie Diabetes, KHK oder Niereninsuffizienz. Nicht mehr stationäre Aufnahmen wegen Infarkt oder Schlaganfall Während des Follow-up von maximal zwei Jahren (median 20 Wochen) wurden in der Deprescribing-Gruppe 11,7% wegen Herzinfarkt oder Schlaganfall stationär aufgenommen, das Risiko war damit höher als in der Vergleichsgruppe mit einer Ereignisrate von 9,4% (nicht adjustierte Hazard Ratio, HR 1,21; 85%-KI 1,01–1,47). Der Unterschied ging jedoch verloren, wenn für die Wahrscheinlichkeit eines Verschreibungsentzugs adjustiert wurde (aHR 1,03; 95%-KI 0,83–1,27). Wurde zusätzlich in Betracht gezogen, dass das Deprescribing in gut der Hälfte der Fälle rückgängig gemacht worden war, und nur die Zeit vor der Wiedereinführung eines Antihypertensivums berücksichtigt (analog zu einer Per-Protocol-Analyse), ergab sich erneut kein Unterschied im Komplikationsrisiko der beiden Gruppen (aHR 0,93; 95%-KI 0,71–1,23). Die fehlende Assoziation von Absetzen mit Herzinfarkt oder Schlaganfall erwies sich zudem als unabhängig von Patientenalter und Demenzdiagnose und hatte auch bei einem systolischen Blutdruck > 140 mmHg oder einem diastolischen Druck > 80 mmHg Bestand. Weitere Studien notwendig „Wir haben keinerlei Evidenz gefunden, dass unsere Nullhypothese – kein Unterschied in der Herzinfarkt-/Insultrate mit und ohne Deprescribing – zurückgewiesen werden muss“, konstatieren Odden und ihr Team. Einschränkend weisen sie allerdings auf die teilweise weiten 95%-Konfidenzintervalle hin, „welche die Möglichkeit eines Schadens für keine der beiden Gruppen ausschließen“. An der Studie waren außerdem fast nur männliche Patienten beteiligt, und Verzerrungen durch nicht berücksichtigte Störfaktoren lassen sich nicht verhindern. Die Untersuchung fokussiert außerdem nur auf Hospitalisierungen wegen kardiovaskulärer Ereignisse; (Nicht-)Behandlungsentscheidungen zu treffen, „erfordert aber eine ganzheitliche Betrachtung von Nutzen und Risiken“, so Odden et al. Es seien daher mehr Studien erforderlich, die z. B. weitere Konsequenzen und verschiedene Antihypertensivaklassen in den Blick nehmen. Das Wichtigste in Kürze Frage: Wirkt sich das Deprescribing von Antihypertensiva bei Pflegeheimbewohnern auf ihr Risiko für Herzinfarkt oder Schlaganfall aus? Antwort: Laut einem Target Trial auf Basis der Krankenakten von rund 13.000 US-Veteranen ist das Risiko nicht höher als ohne Deprescribing. Bedeutung: Ein Deprescribing von Hochdruckmedikamenten ohne Zunahme von Herzinfarkten oder Schlaganfällen ist möglich. Einschränkung: Weite Konfidenzintervalle, die einen Schaden in keiner der beiden Gruppen sicher ausschließen; evtl. unberücksichtigte Störfaktoren; 97% männliche Patienten.

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