Bei der 69-jährigen Patientin mit Insulinom bestand anamnestisch der Zustand nach Operation und Radiatio eines sehr seltenen Merkel-Zell-Karzinoms (MCC) (Synonym: kutanes, neuroendokrines Karzinom; Ursprung: neuroendokrine Zellen der Haut). Dies ist eine extrem seltene Koinzidenz, welche möglicherweise kausal-pathogenetische Implikationen aufweist. Ein „case report“ aus dem Jahr 2005 konnte erstmals die Koinzidenz eines Insulinoms (Inzidenz: 4/1.000.000 Personen/Jahr) mit einer pankreatischen Metastase eines MCC (Inzidenz: 7/1.000.000 Personen/Jahr) belegen, was die Beschreiber entweder als zufällige Koinzidenz oder als bislang nicht bekanntes neuroendokrines Tumorsyndrom werteten [
1]. Im hier vorgestellten Fall war eine pankreatische Metastase des MCC ausgeschlossen. Für die Diagnose eines MCC werden immunhistochemische, neuroendokrine Marker wie Chromogranin A, Synaptophysin, CD56 oder neuronenspezifische Enolase (NSE) benötigt. „Insulinoma-associated-1“ (INSM1) konnte in den letzten Jahren als zusätzlicher immunhistochemischer Marker des MCC etabliert werden [
2,
3]. INSM1 ist ein neuroendokriner Transkriptionsfaktor mit einer Zinkfinger-DNA-bindenden Domäne, welcher initial aus „insulinoma libraries“ isoliert wurde. INSM1 bindet an Cyclin D1 und reguliert den Zellzyklus, die neuroendokrine zelluläre Differenzierung und Proliferation [
4,
5]. Aktuelle Daten belegen, dass INSM1 den konventionellen neuroendokrinen Markern überlegen erscheint und in der Differenzierung pankreatischer NET von Non-NET INSM1 eine 100 %ige Sensitivität und Spezifität [
6] aufweist. Somit ist es nicht ganz abwegig, dass die INSM1-Expression bei einem MCC mit der synchronen oder metachronen Entwicklung eines Insulinoms kausal-pathogenetisch verknüpft sein könnte oder dass beide Entitäten eine bislang unbekannte gemeinsame genetische Basis im Sinne eines neuroendokrinen Tumorsyndroms haben könnten.
Die Ursachen für Hypoglykämien sind extrem vielfältig, ebenso die klinischen Beschwerden, welche mit einer Hypoglykämie vereinbar wären. Daher ist die sorgfältige Dokumentation einer Whipple-Trias bedeutsam und ein erster Schritt vor den diagnostischen Maßnahmen. Die
Clinical Practice Guideline der
Endocrine Society gibt einen sehr guten Überblick über Evaluation und Management von Hypoglykämien [
7]. Neben Patientenselbstmessungen oder dezentralen Point-of-care-Glukosemessungen ist es mandatorisch, die Hypoglykämien im Zentrallabor messtechnisch sicher zu erfassen. In der Präanalytik ist darauf zu achten, ein Natriumfluorid(NaF)-Röhrchen zu verwenden (Glykolysehemmer). Die simultane Bestimmung des Insulins stellt die Weichen dahingehend, ob eine insulininduzierte Hypoglykämie vorliegt. Hier unterscheidet man zwischen endogenem Hyperinsulinismus (z. B. Insulinom, Nesidioblastose, reaktive postprandiale Hyperglykämie), Einnahme insulinotrop wirkender Substanzen (Sulfonylharnstoffe, Glinide) oder exogen zugeführtem Insulin. Die simultane Bestimmung des C‑Peptids (und des Proinsulins) ist wichtig, da nur so zwischen endogen induzierter Insulinsynthese (Insulin, C‑Peptid, Proinsulin erhöht) und exogen zugeführtem Insulin (Insulin erhöht, C‑Peptid/Proinsulin supprimiert) unterschieden werden kann. Sind die Insulin‑, C‑Peptid- und Proinsulinspiegel bei einer Hypoglykämie supprimiert, so kommen vielfältige andere Ursachen infrage (Leberzirrhose, Niereninsuffizienz, nichtinsulinotrope blutzuckersenkende Substanzen, Nebennierenrinden- und Hypophyseninsuffizienz, Kachexie, Kurzdarmsyndrom, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Alkoholismus, Sepsis, Malaria etc.). Auch tumorassoziierte Hypoglykämiesyndrome („
non-
islet
cell
tumor
hypoglycemia“ [NICTH]) können ursächlich sein [
8,
9], entweder im Sinne eines gesteigerten Glukoseverbrauchs des Tumors selbst bei sehr großen, schnell proliferierenden Tumoren (z. B. Sarkome) oder als paraneoplastisches Syndrom durch Sekretion blutzuckersenkender Faktoren wie IGF‑2 mit erhöhtem Glukoseverbrauch in der Muskulatur [
10]. IGF-2-assoziierte Hypoglykämien sind bei einer Vielzahl unterschiedlicher Tumoren beschrieben, auch der Lunge, insgesamt jedoch sehr selten.