In der klinischen Medizin spielen therapeutische Vakzinen gegen Tumoren bisher keine relevante Rolle, wohingegen prophylaktische Impfungen gegen Krankheitserreger laut Robert Koch-Institut die wichtigste präventive Maßnahme der modernen Medizin darstellen. Obwohl seit Jahrzehnten im Bereich der Tumorimpfung intensiv geforscht wird, zeichnen sich noch immer keine klaren klinischen Erfolge ab und das Feld bleibt komplex und inhomogen. Dass das Immunsystem aber prinzipiell in der Lage ist, maligne Tumoren unter Kontrolle zu halten, unterstreichen die Erfolge, die mit ICI erzielt werden können. Aber auch hier ist weiterhin Raum für Verbesserungen, da ICI bislang nur bei einigen Tumorentitäten und Patienten verfügbar und effektiv sind.
Als Vakzinierungsstrategien kommen wie oben beschrieben grundsätzlich sehr unterschiedliche Pattformen infrage. Die gewünschten Antigene können dabei als „genetische“ Vakzinen in Form von DNA oder RNA codiert vorliegen, aber auch Peptide verschiedener Länge umfassen und zellbasiert eingesetzt werden, beispielsweise unter Verwendung viraler Vektoren oder auch beladener dendritischer Zellen. So finden sich etwa aktuelle klinische Studien, die unterschiedlich gut etablierte und standardisierte Tumorantigene wie NY-ESO‑1, MART‑1 und WT1 in antigenpräsentierenden Zellen verwenden [
11]. Obwohl hier durchweg ein immunologisches Ansprechen berichtet wird und Patienten teilweise sogar randomisiert wurden, können die klinischen Resultate dieser zumeist frühphasigen Studien mit kleinen Fallzahlen (noch) nicht überzeugen.
Auswahl der Zielantigene
Ein Problem, das zwar grundsätzlich auf jede Tumorvakzine zutrifft, sich aber mit besonderem Nachdruck für die Peptidimpfung stellt, ist die präzise Auswahl der Zielantigene. Dabei gibt es die Möglichkeit, lediglich einzelne definierte Antigene zu selektieren oder aber eine spezielle Auswahl davon. Solche Peptide können dann als kurze Peptide, wie sie natürlicherweise auf HLA-Klasse-I-Molekülen präsentiert werden, oder aber in verlängerter Form verwendet werden, in der Annahme, dass diese dann weiter prozessiert werden und zu definierten Immunantworten führen.
Aktuell publizierte Studien zu Einzelantigenen können zwar regelhaft ein positives immunologisches Ergebnis vorweisen (Zusatzmaterial online, Tab. S1), führten jedoch häufig nicht zu einem relevanten klinischen Nutzen [
28]. Viele Faktoren sprechen darum für den Einsatz von multiplen Antigenen sowie für den kombinierten Einsatz von HLA-Klasse-I- und -II-Peptiden, um eine zusätzliche CD4
+-T-Zell-Antwort zu induzieren. Eine Einschränkung für „kurze“ HLA-Klasse-I-definierte Antigene ist der individuelle HLA-Typ des Patienten. Dies kann durch Stratifizierung der Patienten nach den entsprechenden HLA-Allotypen adressiert werden, wenn vorgefertigte Peptidvakzincocktails verwendet werden. Studien mit Multipeptidvakzinen wurden in der Vergangenheit bereits durchgeführt und erste vielversprechende Ergebnisse wurden berichtet [
20,
30], insbesondere beim Nierenzellkarzinom [
29]. Eine randomisierte, kontrollierte Phase-III-Studie konnte aber weder starke Immunantworten noch eine klinische Wirksamkeit belegen [
24]. In der Nachschau wurde unter anderem der – im Gegensatz zu früheren Studienphasen – zusätzlich verwendete Tyrosinkinaseinhibitor Sunitinib als einer der potenziellen Gründe für das Versagen der Vakzine identifiziert, da präklinische Daten zeigen, dass solche Arzneimittel die Induktion peptidspezifischer T‑Zellen unterdrücken können [
12].
Welche Antigene sich beim individuellen Patienten am besten eignen, ist eine hoch aktuelle Frage
In Vakzinierungsstudien, die den Einsatz langer synthetischer Peptide untersuchten, konnte beispielsweise für Frühformen des Vulvakarzinoms eine Wirksamkeit berichtet werden. Hier gilt es allerdings zu beachten, dass sich diese Immunität primär gegen das humane Papillomvirus HPV-16 und damit das verursachende Virus richtet [
13]. Des Weiteren wurde mit langen Peptiden versucht, eine patientenindividuelle Immunantwort gegen Tumoren zu erzielen [
21]. Dabei umfassten die Zielstrukturen mutierte Bereiche, gegen die überwiegend CD4
+-T-Zell-Antworten ausgelöst werden konnten, lediglich bei 16 % der geimpften Peptide kam es zu CD8
+-T-Zell-Antworten. Allerdings ist die klinische Aussagekraft bei 6 behandelten Patienten mit Melanom, die teilweise zusätzlich eine ICI-Behandlung erhielten, noch eingeschränkt. Ähnliches gilt für eine Studie zu einer personalisierten RNA-basierten Vakzine, in der ebenfalls multiple vorhergesagte Antigene aus patientenindividuellen Mutationen als Zielstrukturen gewählt und in der Erstanwendung am Menschen untersucht wurden [
26]. Die Studie berichtet über 13 Patienten mit Melanom und belegt jeweils vakzinspezifische T‑Zell-Antworten. Bei 2 Patienten konnten darüber hinaus eine Infiltration des Tumors mit den spezifischen T‑Zellen und deren zytotoxisches Potenzial
ex vivo nachgewiesen werden. Letztlich zeigen diese beiden vielversprechenden Studien, dass die individuelle Formulierung eines Arzneimittels als Tumorvakzine grundsätzlich möglich ist und dass sich in Tumorerkrankungen mit hoher Mutationslast wie beispielsweise beim malignen Melanom – etwa mit maschinellem Lernen [
21] – möglicherweise sinnvolle Zielstrukturen definieren lassen, deren klinische Relevanz allerdings bislang nicht klar belegt ist. Da die Fallzahlen bisher gering sind, bleibt unklar, inwieweit diese Ansätze beispielsweise nur gemeinsam mit ICI wirksam oder Letzteren sogar überlegen sind. So lassen sich etwa massenspektrometrisch in Tumoren mit hoher Mutationslast HLA-präsentierte mutierte Peptide nachweisen [
2], dies gelingt aber in Tumoren mit geringerer Mutationslast nur im Ausnahmefall [
17,
19]. Daher bleibt sicherlich weiterhin die Frage hochaktuell, welche Antigene bei einzelnen Tumorentitäten und beim individuellen Patienten am besten geeignet sind [
9] und wie bzw. mit welchen Adjuvanzien eine effektive Immunantwort generiert werden kann, die auch klinische Wirksamkeit zeigt.
Der Schlüssel zu einer effektiven Nutzung von Vakzinen scheint deshalb ein detailliertes Wissen über die immunologischen Grundlagen und den individuellen Tumor zu sein, zudem die Kombination mit effektiven Adjuvanzien und die Wahl geeigneter Kombinationstherapien. Außerdem ist es für das Erzielen einer Wirksamkeit essenziell, die jeweilige Therapieindikation (unter anderem auch die Therapielinie) und die zu behandelnde Tumorentität mit Bedacht zu wählen, um das körpereigene Immunsystem für diese wichtige Aufgabe effektiv zu modulieren.