Chronische Insomnie Langfristig besser schlafen mit Daridorexant

Seit der Einführung des dualen Orexin-Rezeptor-Antagonisten Daridorexant vor zwei Jahren steht eine Therapie für Erwachsene mit chronischer Insomnie zur Verfügung. Durch dessen Einsatz können viele der Nachteile bisher eingesetzter Wirkstoffe vermieden werden, wie z.B. das Risiko körperlicher Abhängigkeit. Als bisher einziges Medikament bei chronischer Insomnie, welches ohne maximale Behandlungsdauera zugelassen [1] und zeitlich uneingeschränkt erstattungsfähig ist [2], hat es sich in der Versorgung schnell etabliert. Aktuelle Daten des BARMER Instituts für Gesundheitsforschung zeigen, dass Schlafstörungen zunehmen: innerhalb von zehn Jahren hat der Anteil Erwachsener mit Schlafstörungen um rund 40% auf 7,1% im Jahr 2022 zugenommen [3]. Die Gründe dafür seien vielfältig, sagte Prof. Dr. Jens Kuhn, Facharzt für Neurologie, Nervenheilkunde, Psychiatrie und Psychotherapie, Köln. Umgebungsfaktoren wie Lärm, Helligkeit und Wärme, kontextuelle bzw. biographische Faktoren und biologische Faktoren wie Schmerzen oder neuropsychiatrische Erkrankungen griffen ineinander. Problematisch werden Insomnien, wenn sie die Lebensqualität reduzieren und das Tageswohlbefinden einschränken. Insbesondere die chronische Insomnie – definiert als Ein- und/oder Durchschlafstörung oder frühzeitiges Erwachen an mindestens drei Tagen pro Woche für mindestens drei Monate mit Tagessymptomatik [4] – erhöhe zudem das Risiko für eine Reihe an internistischen und auch psychischen Erkrankungen, betonte Prof. Dr. Kai Kahl, Forschungsgruppenleiter Psychokardiologie und Psychotherapie, Medizinische Hochschule Hannover. Moderne Therapieoption bei chronischer Insomnie Die im Jahr 2023 aktualisierte europäische Insomnie-Leitlinie sieht die kognitive Verhaltenstherapie als Therapie der ersten Wahl [4]. Allerdings ist deren Verfügbarkeit eingeschränkt und nicht alle Patientinnen und Patienten profitieren ausreichend davon oder sind einer derartigen Therapie gegenüber aufgeschlossen [5]. Umso erfreulicher sei laut Kuhn, dass es seit zwei Jahren mit Daridorexant (QUVIVIQ™▼) eine medikamentöse Behandlungsoption gebe, die ohne maximale Behandlungsdauera zugelassen ist [1]. Bei Daridorexant handelt es sich um einen dualen Orexin-Rezeptor-Antagonisten, der nicht über die γ-Aminobuttersäure (GABA)-Rezeptoren wirkt, sondern über die beiden Orexin-Rezeptoren OX1R und OX2R im Hypothalamus [1]. Der Wirkstoff konkurriert mit den Neurotransmittern Orexin A und B, die den Wachheitszustand stabilisieren. Die Blockade der Orexin-Rezeptoren verhindert die Weitergabe von Wachheitssignalen und fördert so das Ein- und Durchschlafen, insbesondere verhindert sie das nächtliche Hyperarousal, welches eine pathophysiologische Ursache der chronischen Insomnie sein könnte [1, 6]. Daridorexant nimmt dabei keinen Einfluss auf die Schlafphasenb. Es gebe auch keine Hinweise auf eine körperliche Abhängigkeitsentwicklung [7, 8]. Das sei eine von den Patientinnen und Patienten häufig vorgetragene Sorge, betonte Kuhn. Aufnahme in die Leitlinie Daridorexant ist zugelassen zur Behandlung von Erwachsenen mit Schlafstörungen, deren Symptome seit mindestens drei Monaten anhalten und eine beträchtliche Auswirkung auf die Tagesaktivität haben [1]. Die Zulassung basiert auf den randomisierten, kontrollierten Phase-III-Studien 301 und 302 [7] über jeweils zwölf Wochen sowie der Verlängerungsstudie 303 [8] über insgesamt vierzig Wochen. Die Studien zeigen in der 12-wöchigen Anfangsphase in der 50-mg-Dosierung eine signifikante Verbesserung der polysomnographisch erfassten Einschlaflatenz (LPS) und nächtlichen Wachheit (WASO) bis Woche 12 (LPS: −34,8 min; 95%-Konfidenzintervall [KI] −38,1; −31,5; p<0,0001; WASO: −29,4 min, 95%-KI −33,4; −25,4; p<0,0001; Abb. 1) [7]. Dies übersetzte sich in eine Verbesserung der Tagesschläfrigkeit, die in der Verlängerungsphase bis Woche 40 anhielt (Abb. 2) [8]. Abb. 1 Primäre Endpunkte LPS und WASO der Zulassungsstudien (modifiziert nach [7]) Springer Medizin Verlag GmbH Abb. 2 IDSIQ-Score: Selbsteinschätzung der Tagesschläfrigkeit (modifiziert nach [8]) Springer Medizin Verlag GmbH Besonders günstig sei die in vielen Fällen zu beobachtende schnelle und langfristig anhaltende Effektivität vor dem Hintergrund der guten Verträglichkeit von Daridorexant, betonte Kuhn. In den Zulassungsstudien unterschieden sich unerwünschte Ereignisse, schwere unerwünschte Ereignisse und Behandlungsabbrüche nicht von Placebo [7]. „Wir sehen insbesondere keinen Unterschied bei der Somnolenz und Sturzereignissen“, so Kuhn. Passend dazu haben sowohl Fachgesellschaften als auch der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die neue Therapieoption sehr schnell in den Behandlungsmöglichkeiten aufgenommen. So betont die europäische Insomnie-Leitlinie, dass für eine medikamentöse Langzeitbehandlung, über die auf individueller Basis zu entscheiden sei, nur Daridorexant oder bei älteren Menschen Melatonin mit verzögerter Freisetzungskinetik in Frage kämen. Benzodiazepine, Z-Substanzen und sedierende Antidepressiva werden dagegen nur für bis zu vier Wochen empfohlen [4]. Für Daridorexant wurde die in Deutschland für die Kurzzeitbehandlung einer Insomnie geltende Verordnungseinschränkung von Hypnotika durch den G-BA aufgehoben. Aufgrund fehlender Hinweise auf körperliche Abhängigkeit darf der Wirkstoff ohne zeitliche Einschränkung zulasten der GKV verordnet werden [2]. Patient mit langjährigen Ein- und Durchschlafstörungen Kasuistik von Prof. Dr. Kai Kahl, Leiter der Forschungsgruppe Psychokardiologie und Psychotherapie, Medizinische Hochschule Hannover Ein 70-Jähriger Patient wird mit hypertensiver Krise stationär aufgenommen. Anamnestisch ist eine Hypertonie seit 40 Jahren bekannt, der Patient nimmt wegen einer Polyneuropathie außerdem Gabapentin 300mg ein. Er berichtet über Ein- und Durschlafstörungen seit 40 Jahren, die etwa seit dem 50. Lebensjahr bedarfsweise zwei- bis dreimal wöchentlich mit niedrig dosiertem Diazepam behandelt werden. Im Laufe der Jahre kam es zu einer körperlichen Abhängigkeit mit langsamer Dosissteigerung. Teilweise wurden die Diazepam-Dosierungen später durch Zolpidem ersetzt, was an der Abhängigkeitsproblematik aber nichts änderte. Dem Patienten war das Abhängigkeitsproblem bewusst, er hatte sich zu einem Entzug in Eigeninitiative mit Lavendel-Präparaten entschlossen. In diese Phase fielen die hypertensive Krise und die stationäre Aufnahme. Es wurde eine langjährige chronische Insomnie mit Benzodiazepin-, Zolpidem- und beginnender Gabapentin-Abhängigkeit diagnostiziert. Unter Überwachung erfolgte ein Benzodiazepin- und Zolpidem-Entzug unter Beibehaltung der Gabapentin-Therapie in reduzierter Dosis. Zur Therapie der chronischen Insomnie wurde Daridorexant 50mg begonnen. Darunter verbesserten sich Schlaf und Lebensqualität in einer Weise, die GABA-A-Rezeptor-modulierende Hypnotika seither verzichtbar machen. Anwendung im Alltag Was den Einsatz im Versorgungsalltag angeht, wies Dr. Corinna Frohn, Fachärztin für Psychiatrie, Psychotherapie und Schlafmedizin in Solingen, darauf hin, dass die empfohlene Dosis generell 50mg sei. Die Behandlung mit dieser Dosierung könne ohne Ein- oder Ausschleichen begonnen und beendet werden. Die 25-mg-Dosierung sei indiziert bei gleichzeitiger Einnahme mittelstarker CYP3A4-Inhibitoren, bei mäßiger Leberfunktionsstörung und bei Notwendigkeit aus anderen klinischen Gründen. Die Wirkdauer betrage etwa acht Stunden, was bedeute, dass die Medikation etwa eine halbe Stunde vor dem Zubettgehen – und nicht nach dem nächtlichen Aufwachen – eingenommen werden sollte, um Überhangsymptome am Morgen zu vermeiden [1]. Wichtig sei auch, die Patientinnen und Patienten darüber zu informieren, dass die Zeit bis zum Wirkeintritt individuell unterschiedlich sein kann. Manche berichteten sehr rasch über einen Erfolg, andere erst nach zwei oder drei Wochen, so Frohn: „Daridorexant wirkt über ein Herunterfahren der Wachheitssysteme. Es ist nicht so wie bei Z-Substanzen, wo jeder die Wirkung nach dem Einnehmen sofort spürt.“ Der in der Fachinformation aufgeführte Hinweis, dass es zu einer Verschlechterung primärer Depression kommen und Suizidalität verstärkt werden könne, lasse sich nicht aus Studien ableiten, betonte Kahl. Es handele sich hierbei vielmehr um einen standardmäßig für alle Hypnotika aufgeführten Hinweis. Fazit Mit Daridorexant steht seit zwei Jahren ein Medikament für die Therapie bei chronischer Insomnie zur Verfügung, das ohne maximale Behandlungsdauera zugelassen ist und angewendet werden kann [1] und zeitlich uneingeschränkt von der GKV erstattet wird [1, 2]. Es gibt in den bisherigen Studien keinen Hinweis auf körperliche Abhängigkeitsentwicklung und keine Rebound-Phänomene [7, 8]. a Die Behandlungsdauer ist nicht begrenzt, sollte aber so kurz wie möglich sein. Die Zweckmäßigkeit einer Weiterbehandlung ist innerhalb der ersten drei Monate und anschließend in regelmäßigen Abständen zu beurteilen. Darüber hinaus sind Patienten mit anamnestischem Missbrauch oder Abhängigkeit von Alkohol oder anderen Substanzen sorgfältig hinsichtlich eines möglichen Missbrauchs von Daridorexant zu überwachen [1]. b wie mittels Polysomnografie bei Patientinnen und Patienten mit Insomnie oder elektroenzephalografischer Aufzeichnung bei Nagetieren untersucht [1] Literatur Fachinformation QUVIVIQ™, aktueller Stand Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA), https://www.g-ba.de/downloads/39-261-6139/2023-08-17_AM-RL-III_Nr32-Daridorexant_BAnz.pdf (letzter Zugriff: 28.11.2024) https://www.barmer.de/presse/presseinformationen/pressearchiv/barmer-analyse-schlafstoerungen-nehmen-weiter-zu--1243652 (letzter Zugriff: 28.11.2024) Riemann R et al., J Sleep Res 2023, 32:e14035 Sateia MJ et al., J Clin Sleep Med 2017, 12:307–349 Levenson JC et al., Chest 2015, 147:1179–1192 Mignot E et al., Lancet Neurol 2022, 21:125–39 Kunz D et al., CNS Drugs 2023, 37:93–106 Impressum „Wenn die Nacht zum Traum wird: Zwei Jahre QUVIVIQ™▼(Daridorexant)–Erfahrungen, Chancen und Herausforderungen aus dem Versorgungsalltag“, Pressekonferenz, Berlin, 26. November 2024 Bericht: Phillip Grätzel von Grätz, Berlin Artikel gedruckt in Somnologie, Band 29, Heft 1, März 2025 Mit freundlicher Unterstützung der Idorsia Pharmaceuticals Germany GmbH, München Corporate Publishing (verantwortl. i. S. v. § 18 Abs. 2 MStV): Ulrike Hafner, Europaplatz 3, 69115 Heidelberg Redaktion: Mira Istvánffy, Kristin Ullrich Springer Medizin Verlag GmbH Heidelberger Platz 3 14197 Berlin Tel: 0800 7780 777 (kostenfrei) | +49 (0) 30 827 875 566 Fax: +49 (0) 30 827 875 570 E-Mail: kundenservice@springermedizin.de Die Springer Medizin Verlag GmbH ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Nature Geschäftsführung: Fabian Kaufmann, Dr. Cécile Mack, Dr. Hendrik Pugge Handelsregister Amtsgericht Berlin-Charlottenburg HRB 167094 B Umsatzsteueridentifikationsnummer: DE 230026696 © Springer Medizin Verlag GmbH Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. 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