Wer mit 25 viel fernsieht, hat mit 50 wenig Grips

Wer als junger Mensch viel vor der Glotze sitzt, hat im mittleren Alter bei Kognitionstests das Nachsehen. Wenig Sport scheint für die Hirnleistung ebenfalls schlecht zu sein – wenn auch nicht ganz so dramatisch. Es ist ein schon deutlich abgegriffenes Klischee, dass viel Fernsehen verblödet. Doch etwas scheint ja dran zu sein, wenngleich die Ursachen noch weitgehend unklar sind. Ist das Programm einfach hirnzersetzend schlecht und hält den Zuschauer von kognitiv stimulierenden Tätigkeiten ab, sodass die neuronale Konnektivität und damit letztlich auch die Intelligenz der Betrachter leidet? Oder liegt es am Bewegungsmangel? Wenig körperliche Aktivität geht mit schlechteren Hirnleistungen einher. Und wer täglich vier oder mehr Stunden vor der Kiste sitzt, hat nun einmal keine Zeit für Sport. Schließlich könnte ein anderes Klischee zutreffen: Die Vielfernseher sind gehäuft Unterschichtmänner, die bereits wenig Grips mitbringen und den Tag mit einem Bier vor der Glotze verdösen, weil ihnen sonst nichts Sinnvolles einfällt. In diesem Fall wäre die Kausalität natürlich eine andere: Wer nichts in der Birne hat, hängt öfter vor dem Fernseher ab. Was davon am wahrscheinlichsten ist, wollten Forscher um Dr. Tina Hoang vom Northern California Institute for Research and Education anhand einer Langzeitstudie herausfinden. Teilnehmer waren knapp 3250 junge Erwachsene im Alter von 18 bis 30 Jahren, die sich für die CARDIA-Studie eingeschrieben hatten. Zu Beginn der Untersuchung im Jahr 1985 lag das Alter im Schnitt bei 25 Jahren. Alle fünf Jahre wurden die Teilnehmer nach ihren Fernsehgewohnheiten befragt, alle zwei bis fünf Jahre nach ihren Freizeitaktivitäten. 25 Jahre später unterzogen sich die Teilnehmer einem ausführlichen Kognitionstest. Defizite bei Verarbeitungsgeschwindigkeit und Exekutivfunktion Die Studienärzte attestierten 16 % der Teilnehmer ein geringes Maß an körperlicher Aktivität: Sie lagen zwei Drittel der Studienzeit unterhalb des untersten Quartils für sportliche Aktivitäten. Knapp 11 % wurden als Vielfernseher klassifiziert. Sie saßen über zwei Drittel der Studiendauer mehr als drei Stunden täglich vor der Glotze und lagen damit kontinuierlich im obersten Quartil für den Fernsehkonsum. Bei der Untersuchung nach 25 Jahren wurden mit drei verschiedenen Verfahren (DSST, Stroop-Test, RALVT)* Verarbeitungsgeschwindigkeit, Exekutivfunktionen und das verbale Gedächtnis geprüft. Wie sich zeigte, schnitten sowohl die chronischen Couchpotatoes als auch die Vielfernseher bei diesen Tests signifikant schlechter ab als der Rest der Kohorte. Defizite gab es vor allem bei der Verarbeitungsgeschwindigkeit und den Exekutivfunktionen, weniger beim verbalen Gedächtnis. So hatten rund 22 % der körperlich Inaktiven ein schlechtes DSST-Ergebnis, nur rund 15 % waren es bei den übrigen Teilnehmern. Als schlecht wurde ein Ergebnis betrachtet, wenn die Leistung mindestens eine Standardabweichung unter dem alters- und geschlechtsspezifischen Durchschnitt lag. Nach dieser Definition schnitten die Inaktiven auch beim Stroop-Test für die Exekutivfunktion mit einer Versagerquote von 16,2 versus 12,3 % deutlich schlechter ab. Beim RALVT fürs verbale Gedächtnis war der Anteil mit 22,1 versus 19,5 % hingegen nicht signifikant verschieden. Wurden diverse Faktoren wie Ausbildungsgrad, Alkoholkonsum, BMI oder Hypertonie berücksichtigt, änderte sich nur wenig an den Zahlen. So blieb etwa die Rate für ein schlechtes Abschneiden beim DSST bei den körperlich trägen Teilnehmern um knapp 50 % erhöht. Doppelt so hohe Versagerquote Noch schlechter traf es jedoch die chronischen Vielfernseher. Bei ihnen war die Versagerquote teilweise doppelt so hoch wie bei den Teilnehmern mit moderatem oder geringem Fernsehkonsum: Den DSST verpatzten 27 versus 14 %, den Stroop-Test 21 versus 12 % und den RALVT 27 versus 19 %. Auch hier gab es nach der Berücksichtigung zahlreicher Begleitfaktoren nur signifikante Unterschiede beim Ergebnis für den DSST und Stroop-Test. Macht also wenig Bewegung dumm und viel Fernsehen noch dümmer? Leider hatten es die Studiendesigner versäumt, einen Kognitionstest zu Beginn der Studie anzusetzen. Daher lässt sich kaum sagen, was Ursache und was Wirkung ist. Es kann gut sein, dass diejenigen, die bereits zu Studienbeginn nicht die Hellsten waren, besonders viel vor der Glotze saßen und besonders selten ein Fitnessstudio aufsuchten. So war das Bildungsniveau bei den Vielfernsehern und körperlich Inaktiven in der Tat deutlich niedriger. Allerdings ließen sich damit nicht sämtliche Unterschiede erklären – Verarbeitungsgeschwindigkeit und Exekutivfunktion blieben auch nach Berücksichtigung des Ausbildungsgrads signifikant schlechter. Dies legt den Verdacht nahe, dass ein Lebensstil mit viel Fernsehen und wenig Bewegung in der Tat nachteilig für die kognitive Leistung ist. Zudem scheint es einen additiven Effekt zu geben: Völlige Sportverächter mit zugleich hohem Fernsehkonsum – das waren nur 3,3 % der Teilnehmer – erzielten beim DSST doppelt so häufig und beim Stroop-Test 120 % häufiger ein schlechtes Ergebnis als das Gros der Teilnehmer. Fielen die Beteiligten jedoch nur in einem Punkt auf – beim Sportdefizit oder Vielfernsehen –, dann war die Versagerquote nur noch um 50 % erhöht. Die Studienautoren um Hoang halten die Resultate auch deswegen für relevant, weil das Alter von 20 bis 30 Jahren oft prägend für den Lebensstil ist. Gelänge es, junge Erwachsene von einem aktiven Lebensstil zu überzeugen, könnten sie dadurch ihre kognitiven Fähigkeiten vermutlich besser bewahren. *Kognitive Testverfahren: Stroop-Test: Farbwörter werden bunt dargestellt, aber in nicht kongruenten Farben, also etwa das Wort „blau“ in grüner Schrift. Die Testpersonen müssen möglichst schnell die Farbe vieler einzelner Wörter benennen. Dabei kommt es zum Konflikt zwischen dem schnellen Lesen und der Farbwahrnehmung. Das Lesen zu unterdrücken, kostet Aufmerksamkeitsressourcen. Online-Test: http://www.kommdesign.de/texte/stroop.htm#Top Digit Symbol Substitution Test (DSST): Hier werden anhand eines vorgegebenen Schlüssels Symbole und Zahlen verknüpft. Die Teilnehmer haben 90 Sekunden Zeit, möglichst viele Verknüpfungen zu erstellen. Rey Auditory Verbal Learning Test (RAVLT): Zum Test des verbalen Gedächtnisses wird Probanden eine Liste mit 15 Wörter vorgelesen. Von diesen müssen sie möglichst viele wiederholen. Anschließend wird eine Liste mit 15 anderen Wörtern vorgetragen. Direkt danach sowie 30 Minuten später sollen die Probanden die Wörter der ersten Liste benennen.

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