Sollten Sepsispatienten strikt nach Leitlinie behandelt werden?

Die Mortalität von Sepsis-Patienten ist nach wie vor inadäquat hoch und beträgt bis zu 60% bei Patienten im septischen Schock. Schnelles Handeln ist erforderlich; aber nicht alle Maßnahmen aus der Surviving Sepsis Campaign haben sich in neuen Studien als nützlich erwiesen. Soll man sich bei der Sepsistherapie strikt nach den Leitlinien richten oder nicht? Wie viel Spielraum gibt es? Beim DIVI-Kongress 2014 in Hamburg gab es dazu eine Pro & Contra-Diskussion, die aber mehr als Scheingefecht angelegt war. „Ich hätte auch lieber den Pro-Part übernommen“, räumte Professor Dr. Markus Weigand aus Heidelberg gleich zu Beginn seines Contra-Vortrags ein. Mit den gleichen Worten hatte bereits Professor Dr. Gernot Marx aus Aachen, einer der beiden Vorsitzenden der Sitzung, ins Thema eingeführt. Und rund 80% des Auditoriums signalisierten per Handabstimmung, Sepsis-Patienten nach Leitlinie zu behandeln. An den grundlegenden Handlungsempfehlungen bei Sepsis – den laut der im Jahr 2002 gestarteten internationalen Surviving Sepsis Campaign „septic bundles“ zur Verringerung der Mortalität – gibt es wenig Zweifel. Innerhalb von 3 Stunden sollten Laktatspiegel gemessen werden, Blutkulturen vor Beginn der Antibiotikatherapie genommen werden, Breitspektrumantibiotika eingesetzt werden (möglichst innerhalb von 60 Minuten nach Diagnosestellung) und zur Volumentherapie und Ausgleich einer Hypotonie Kristalloide (30 ml/kg) oder Laktat (≥ 4mmol/l) eingesetzt werden. Innerhalb von 6 Stunden sollten wenn nötig Vasopressoren eingesetzt werden, um den mittleren arteriellen Blutdruck (MAO) ≥ 65 mmHg zu halten, der zentrale Venendruck (ZVD) gemessen werden (Ziel: ≥ 8mmHg), die zentrale venöse Sauerstoffsättigung gemessen werden (Ziel: ≥ 70%), die Laktatspiegel erneut gemessen werden, wenn die ersten Werte erhöht waren. Laut einer Analyse der Daten bei rund 13.000 Sepsis-Patienten lag die Mortalität bei Patienten, bei denen 3 „septic bundles“ eingehalten wurden, bei 32%; wurde keines der Bundles im Zeitfenster von 3 Stunden ausgeführt, stieg die Mortalität der Patienten auf 49%, betonte Professor Dr. Herwig Gerlach aus Berlin in seinem Pro-Vortrag. Aber es gibt dennoch in einigen Punkten eine neue Gewichtung: Die Messung des ZVD wird zur Diagnose eines Volumenmangels nicht mehr empfohlen, berichtete Weigand, weil er dazu keine Aussagekraft habe. Nützlich sei der ZVD-Wert aber dennoch, räumte der Anästhesist ein, nämlich zur Vermeidung einer Überperfusion, zur Messung der Volumenreagibilität und zur Verlaufsbeobachtung. Zweifel äußerte Weigand an der Notwendigkeit, bei allen Sepsis-Patienten innerhalb von 1 Stunden mit der Antibiotika-Therapie zu beginnen. „Bei hämodynamisch stabilen Patienten ist eine sofortige Antibiotikagabe nicht so wichtig“, sagte er. In einer deutschen Studie habe ein rascher Therapiebeginn keinen Zusatznutzen im Vergleich zu einer verzögerten Antibiose ergeben. Zumindest bei ausgewählten Patienten könne also auf das Ergebnis der Blutkultur gewartet werden. Neuigkeiten gibt es bei zusätzlichen Therapiemaßnahmen wie der Kontrolle des Blutzuckerwertes durch Insulingabe. Während lange Zeit eine strikte Blutzuckerkontrolle auf Werte < 110 mg/dl progagiert wurde, hat sich in einer jüngeren Studie kein prognostischer Unterschied gezeigt zwischen Patienten mit Blutzuckerwerten < 110 mg/dl und < 180 mg/dl, berichtete Gerlach. Das Optimum liegt nach seiner Ansicht vermutlich bei einem Blutzuckerwert < 150 mg/dl. Laut neuen retrospektiven Studiendaten korrelieren solche Blutzuckerwerte mit der geringsten Mortalität. Weigand zog am Ende seines „Contra“-Vortrags das Resümee: „Wir glauben in Heidelberg an die interdisziplinäre Sepsistherapie, bei der Chirurgen, Anästhesisten und Intensivmediziner eng zusammenarbeiten.“

Springer Medizin

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