Unverträgliches Metallimplantat?

Folgt auf die neue Hüftprothese eine schwere Dermatitis, kann dies an einer Metallunverträglichkeit liegen. Doch selbst wenn der Epikutantest positiv ausfällt: Das Implantat muss nicht immer die Beschwerden verursachen oder gar entfernt werden. Dermatologen sollten daher auch andere Allergene beim Test berücksichtigen. Metalle treffen im Körper auf ein äußerst aggressives Milieu. Selbst der beständigste Stahl und Edelmetalle werden angegriffen, sie korrodieren und setzen Metallionen frei, die Immunzellen stimulieren und lokale sowie systemische Immunreaktionen hervorrufen können. Gerade in Implantaten aus rostfreiem Stahl finden sich neben Eisen unzählige andere Metalle wie Chrom, Nickel, Molybdän, Titan, Vanadium oder Aluminium. Dabei setzt Stahl oft mehr allergene Nickelionen frei als die häufig für Stents verwendeten Nickellegierungen Nitinol (Nickel-Titan) oder Kobalt-Chrom-Nickel (CoCrNi). Freie Metallionen können direkt eine Immunreaktion gegen das Implantat induzieren oder aber über T-Zell-vermittelte Wege zu Hautreaktionen führen, wie sie bei etwa 5% der Patienten mit Metallimplantaten beobachtet werden (Abb.1). Darauf weisen Peter Schalock und Mitarbeiter von der Harvard Medical School in Boston in einem Übersichtsartikel hin. Die Metallionen stimulieren mitunter sogar Osteoklasten, die dann vermehrt den Knochen um ein orthopädisches Implantat abbauen, sodass dieses seinen Halt verliert. Etwa 5% aller Fälle, in denen Gelenkprothesen versagen, lassen sich auf solche Mechanismen zurückführen. Schmerzen am Gelenk und Hautreaktionen in räumlicher Nähe können frühzeitig auf eine Hypersensibilität hindeuten, so die Autoren des Artikels. Restenosen bei Stents durch Metall-eine Überempfindlichkeitsreaktion? Eine Überempfindlichkeit auf Metalllegierungen wird auch als Ursache von Stent-Restenosen diskutiert. Die Studiendaten dazu sind aber sehr widersprüchlich. In einer Studie hatten alle Patienten mit positivem Patch-Test vor der Implantation anschließend Restenosen, in einer anderen Studie dagegen nur 14%. Insgesamt gebe es keine klaren Belege für Metallallergien als Ursache von Restenosen, so die Allergologen aus Boston. Sehr selten ist auch mit allergischen Komplikationen bei Herzschrittmachern zu rechnen. Obwohl solche Geräte viele potenziell allergene Komponenten haben, ist hauptsächlich das Titangehäuse problematisch. Extrem selten wurden bislang in der Literatur auch systemische Dermatitiden aufgrund von kontrazeptiven Kupferspiralen beobachtet, dagegen sind allergische Komplikationen bei Zahnimplantaten deutlich häufiger. Hier werden oft Legierungen mit Nickel, Palladium, Titan, Chrom, Molybdän und Kobalt verwendet, zudem können auch Kunststoffverbindungen auf Epoxid- und Acrylbasis für Probleme sorgen. Vorab-Screening nicht generell empfohlen Gerade bei aufwendigen Eingriffen und teuren Implantaten stellt sich die Frage, ob die Patienten nicht vor der Implantation auf eine Metallunverträglichkeit getestet werden sollten. Ein generelles Screening, so Schalock und seine Mitarbeiter, werde von den meisten Allergologen jedoch nicht empfohlen, da allergisch bedingte Komplikationen selten sind. Allerdings sprachen sich in Studien zu Metallallergien die meisten der Autoren dafür aus, die Patienten zu testen, bei denen eine Metallunverträglichkeit bekannt ist. Doch sollte man sich bewusst sein, dass selbst dann Komplikationen nicht unbedingt zu erwarten sind. In einer kleinen Studie erhielten 18 Patienten mit bestätigter Metallallergie ein Metallimplantat. Nach über sechs Jahren waren bei keinem der Patienten allergische Reaktionen aufgetreten. Dem stehen allerdings Studien gegenüber, in denen orthopädische Implantate bei Patienten mit bekannter Metall-Hypersensitivität zwar nicht zu kutanen Reaktionen führten, aber eine deutlich geringere Lebenszeit hatten. Aus diesen Gründen halten die Allergologen aus Boston einen Allergietest bei bekannter Metallunverträglichkeit durchaus für sinnvoll – jedenfalls bei orthopädischen Implantaten. Ist keine Metall-Hypersensibilität bekannt, ist auch keine Vorabtest nötig. Bestätigt wird diese Empfehlung von Kollegen um Natasha Mesinkovska aus Cleveland. In einer online in den „Archives of Dermatology“ publizierten Arbeit wurden Daten von 72 Patienten mit Prothesen-Implantation und Patch-Test analysiert. 31 hatten vor dem Eingriff den Epikutantest erhalten, meist aufgrund einer bekannten Metallunverträglichkeit. Bei 21 Patienten wurde eine solche Unverträglichkeit im Test auch nachgewiesen, sie alle bekamen allergenfreie Implantate und zeigten nach der Operation keine Unverträglichkeiten. Bei 41 Studienteilnehmern wurde der Test nach der OP aufgrund einer vermuteten Unverträglichkeit durchgeführt, bei einem Drittel war dabei der Patch-Test positiv, die Hälfte davon hatte zuvor schon allergisch auf ein Metall reagiert. Auch hier ziehen die Studienautoren den Schluss, bei bekannter Metallunverträglichkeit vor einer Prothesenimplantation einen Patch-Test zu veranlassen. Epikutantest bevorzugt Wird ein Test für notwendig erachtet, raten auch die Allergologen um Schalock zum Epikutantest. Dieser ist einfach anzuwenden und kann für eine fast beliebige Zahl von Allergenen vorgenommen werden; er ist nach wie vor der Goldstandard für Typ-IV-Allergien Der alternativ verwendete Lymphozyten-Transformationstest (LTT), der die Proliferation von Lymphozyten nach Allergenkontakt misst, ist dagegen wesentlich aufwendiger und nur für eine begrenzte Zahl von Allergenen möglich. Die Indikation für diesen Test sehen Schalock und seine Mitarbeiter allenfalls zur Bestätigung in unklaren Fällen. Da der LTT zudem nur die zirkulierenden Lymphozyten und nicht diejenigen der Haut erfasst, ist seine Aussagekraft begrenzt. Beim Patch-Test sollten Allergologen berücksichtigen,dass viele Metallsalze ätzend wirken und dadurch eine falsch-positive Reaktion vortäuschen können. Es kann auch durch den Test selbst zu einer Sensibilisierung kommen. Dies wurde zumindest für Kadmium, Kaliumdichromat und Methylmethacrylat beobachtet. Nickel in 5%-iger Lösung stellt hingegen kein Problem dar. Möglichst breiter Allergietest Entscheiden sich die Ärzte für einen Allergietest, dann sollte möglichst gründlich und ausführlich geprüft werden. Es macht wenig Sinn, nur auf Metalle oder gar ein einzelnes Metall zu testen, da auch andere Allergene die Symptome auslösen könnten. Wird etwa ein Patient gegen Schmerzen behandelt, die aufgrund einer allergischen Reaktion gegen das Implantat entstehen, so können die Schmerzmittel wiederum zu einer Dermatitis führen. Daher sollte zunächst ein allgemeiner Allergietest erfolgen, der um Metallkomponenten erweitert wird. Die Testbatterie muss all diejenigen Metalle enthalten, die gegenwärtig für das jeweilige Implantat benutzt werden. Häufig sind entsprechende Testkits kommerziell erhältlich. Als kritisch betrachten Schalock und seine Mitarbeiter allerdings Tests mit Metallscheiben. Diese können zu Druckstellen und damit zu falsch-positiven Ergebnissen führen. Nicht vergessen sollte man bei Allergietests Komponenten von Knochenzement wie Methylmethacrylat. In einer Studie zeigte die Hälfte der Patienten, bei denen sich das Implantat vorzeitig löste, einen positiven Allergietest auf solche Substanzen. Positiver Test allein ist kein Grund für Implantat-Entfernung Nicht jeder positive Metalltest hat klinische Konsequenzen. Wichtig ist die Frage, ob eine Kontaktdermatitis vorliegt. Nur dann ist zu überlegen, ob man das Implantat wieder entfernt. Dies betonen die Allergologen aus Boston. Bei einem Allergietest mit positivem Befund gegen Nickel ohne Vorliegen von klinischen Beschwerden besteht kein Grund, das nickelhaltige Implantat zu entfernen. Oft lässt sich das Implantat auch nicht ohne weiteres herausnehmen. Hier wäre zu prüfen, ob bei starken Symptomen nicht schon eine dreiwöchige Prednisontherapie deutliche Linderung verschafft. Interview mit Prof. Dr. med Peter Thomas Klinik und Poliklinik für Dermatologie der LMU München, Leiter der Arbeitsgruppe für allergologisch-immunologische Aspekte der Implantatmaterialverträglichkeit (AllergoMat) ?Herr Professor Thomas, wie häufig sind Allergien tatsächlich der Grund für Implantatbeschwerden? Thomas: Bei den Patienten, die mit Allergieverdacht uns kommen, finden wir nur bei einem Fünftel bis einem Viertel Metall- oder Knochenzementallergien. Die Dunkelziffer dürfte allerdings hoch sein. Reagiert von den 400.000 Patienten, die jährlich eine Endoprothese eingesetzt bekommen, nur 1% auf das Material allergisch, dann ist das bereits sehr viel. ? Welche Implantate verursachen am häufigsten Allergien? Thomas: Bei den Endoprothesen sind es vor allem diejenigen im Kniebereich. Im Knie ist die Mechanik komplizierter als in der Hüfte. Ergüsse, Entzündungen, Schwellungen und Schmerzen sind hier häufiger. Etwa drei Viertel der Endoprothesenträger, die mit einem Allergieverdacht in unsere Spezialsprechstunde kommen, haben Knie-Endoprothesen. Bei Osteosynthesen gibt es gelegentlich Ekzeme und Wundheilungsstörungen, wenn Edelstahl verwendet wird, denn der enthält Nickel. Häufig nimmt man hier aber Titanlegierungen, damit gibt es seltener Probleme. In Standard-Endoprothesen können auch Chrom und Kobalt allergische Reaktionen auslösen. ? Unter welchen Bedingungen würden Sie schon vor der Prothesenimplantation zum Allergietest raten? Thomas: Wenn beispielsweise jemand über Juckreiz, Rötung oder Ekzeme beim Tragen eines Ohrrings oder eines Armbands aus Metall berichtet oder wenn eine frühere Osteosynthese zu massiven Wundheilungsstörungen oder Ekzemen geführt hat. Also immer, wenn über eine Metallunverträglichkeit in der Vergangenheit berichtet wird. Fachgesellschaften raten aber davon ab, auch dann zu testen, wenn eine Person bisher kein Problem mit Metallen hatte. ? Wenn also jemand vor dem Eingriff über Ekzeme beim Tragen eines Metallarmbandes berichtet, was würden Sie tun? Thomas: Zunächst genügt ein standardisierter Epikutantest. Wenn jemand auch schon Probleme mit Zahnkunststoff hatte, dann macht es zudem Sinn, auf die jeweiligen Acrylate zu testen, weil diese auch im Knochenzement enthalten sind. ?Wie gehen Sie vor, wenn sich nach Prothesenimplantation Schwellungen, Rötungen oder Ekzeme zeigen? Thomas: Zunächst fordert man den Orthopäden auf, mögliche alternative Auslöser der Beschwerden auszuschließen. Es muss also klar sein, dass das Implantat richtig sitzt, dass es keine Fehlstellungen und Achsenabweichungen gibt und kein Infekt vorliegt. Wenn dies ausgeschlossen ist, würde ich eine Kombination von Epikutantest und Analyse des periimplantierten Gewebes empfehlen. ? Verwenden Sie auch den Lymphozytentransformationstest (LTT)? Thomas: Wir verwenden den LTT zu Forschungszwecken bei allen Patienten mit Epikutantests, um zu sehen, wie kongruent die Ergebnisse sind. Dies ist Teil eines vom bayerischen Gesundheitsministerium geförderten Projekts. Dabei vergleichen wir Endoprothesenträger, die Beschwerden haben, mit solchen ohne Beschwerden. Wir prüfen die Allergiehäufigkeit und führen den LTT durch. Damit wollen wir klären, was bei einem Allergieverdacht wirklich für die Diagnostik hilfreich ist. Dies werten wir gerade aus. ?Können Sie dazu schon etwas sagen? Thomas: Man findet bei den Prothesenträgern ohne Beschwerden tatsächlich seltener Metallallergien als bei solchen mit Problemen. Auch die Lymphozyten-Reaktionsmuster unterscheiden sich in beiden Gruppen. Es gibt allerdings auch viele Patienten, die zwar eine Nickel- oder Kobaltallergie haben, jedoch das Implantat gut vertragen. ? Wann sollte man bei positivem Epikutantest das Implantat entfernen? Thomas: Wenn die Beschwerden nicht sistieren oder das Implantat sich lockert – das wären Argumente für einen Wechsel. Viele Orthopäden wechseln bei nachgewiesener Metallallergie tatsächlich auf ein Alternativmodell oder eine beschichtete Prothese. ?Wäre es da nicht sinnvoller, gleich zu Beginn auf ein weniger allergenes Material zu setzen? Thomas: Als Standard sind die Kobalt-Chrom-Prothesen etabliert. Die Frage ist, ob Titan von seinen Materialeigenschaften als Alternative immer ideal ist. Beschichtete Implantate oder Alternativimplantate sind zudem oft deutlich teurer. Die Krankenkassen übernehmen das nur selten. Wenn wir aber anhand wissenschaftlicher Untersuchungen zeigen können, dass bestimmte Patienten vom Wechsel auf ein beschichtetes Implantat profitieren – die Beschwerden klingen ab und sie müssen nicht viermal in zehn Jahren nachoperiert werden – dann dürften auch die Kassen erkennen, dass sie damit Geld sparen. ! Herr Professor Thomas, vielen Dank für das Gespräch.

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