Neugeborene sterben im Verborgenen

Auf der Neugeborenen-Intensivstation der Berliner Charité kümmert sich ein Team um die pädiatrischen Palliativpatienten und ihre Eltern. Auch nach dem Tod stehen für die früh verwaisten Familien noch länger verschiedene Hilfsangebote zur Verfügung. Dr. Lars Garten stellte das Betreuungsmodell auf dem DGKJ-Kongress in Leipzig vor. Dossier "DGKJ-Kongress 2014" In Deutschland kommt es jedes Jahr zu rund 1.600 Sterbefällen während der Neugeborenenphase. Zum Vergleich: An hämatologisch-onkologischen Erkrankungen sterben circa 350 Kinder pro Jahr – die in der Öffentlichkeit jedoch eine ganz andere Wahrnehmung bekommen. Der frühe Tod eines Kindes hat nicht die gesellschaftliche Bedeutung wie der Tod eines älteren Kindes. „Der frühe Tod findet häufig im Verborgenen statt“, erläuterte Dr. Lars Garten von der Klinik für Neonatologie der Berliner Charité. Die Eltern erfahren in ihrem sozialen Umfeld nicht die gleiche Unterstützung wie Eltern, die ein älteres Kind verloren haben. Laut Garten liegt es unter anderem daran, dass der Säugling noch keinen festen Platz in der Familiengeschichte hat. Bindung zulassen Kommt ein Kind auf die Welt, schließt sich normalerweise die Phase an, in der sich eine Eltern-Kind-Bindung etabliert. „Eine Aufgabe, die wir in der neonatologischen Palliativmedizin haben, ist, die Eltern zu ermutigen, dass sie das Kind begrüßen – obwohl sie parallel schon Abschied nehmen müssen“, sagte Garten. Viele Eltern scheuen sich, eine Bindung aufzubauen, da sie Angst haben, die spätere Trauer nicht auszuhalten. Im Median sterben die Neugeborenen am vierten Lebenstag, meist im stationären, nicht im ambulanten Bereich. Deshalb wird auf der Neugeborenen-Intensivstation der Charité versucht, dass die Eltern so nah wie möglich bei ihren Kindern bleiben können. Wann immer es die Belegung zulässt, können die Eltern im Zimmer der Kinder schlafen. Um einen engen Körperkontakt zu ermöglichen liegen viele Säuglinge dank einer speziell von den Schwestern entwickelten Technik sogar in einem Erwachsenenbett und nicht im Inkubator. Auf diese Weise können die Eltern sich zu ihrem Kind legen. Die Eltern werden ermutigt, die kurze Zeit, die sie mit ihrem Kind haben, mit möglichst vielen Erinnerungen zu füllen. „Das sind die Erinnerungen, die für das ganze Leben halten“, erklärte Garten. Beispielsweise kann eine Box mit Gegenständen, wie dem Mützchen des Kindes, gefüllt werden. Tod sichtbar machen Wenn ein Kind in der Abteilung von Lars Garten stirbt, versuchen die Mitarbeiter seinen Platz für die nächsten 24 Stunden nicht wieder zu belegen. Im Flur werden ein Namensschildchen sowie Kerzen aufgestellt, die für alle Eltern sichtbar sind. Garten berichtete, dass diese Vorgehensweise unter den Mitarbeitern vorab kontrovers diskutiert wurde. Da die anderen Eltern ja noch um das Leben ihrer Kinder bangen müssten, gab es einige Bedenken. Jedoch kamen sie zu dem Schluss, dass der Tod nicht verschwiegen werden kann und es ohnehin nicht lange dauert, bis alle anderen Eltern Bescheid wüssten. Durch diesen offenen Umgang könnten sogar Gespräche entstehen und beispielsweise auch Schuldgefühlen entgegengewirkt werden, die bei Eltern entstehen, deren Kind überlebt hat. Früh verwaiste Familien Wird schon intrauterin eine schwere Erkrankung des Kindes festgestellt, sollten die Eltern möglichst früh betreut werden – also zu einem Zeitpunkt, an dem der Palliativpatient noch gar nicht auf der Welt ist. Denn einige Eltern entscheiden sich nicht für einen Schwangerschaftsabbruch, sondern für eine Palliativversorgung nach der Geburt. An der Charité werden diese Eltern beraten und ein Palliativplan aufgestellt. Lars Garten ist es wichtig, die Familien auch noch nach dem Tod des Kindes nicht aus den Augen zu verlieren, sondern sie in ihren Alltag zurück zu begleiten. Auch dann steht er noch als Ansprechpartner zur Verfügung. Nach dem Tod wird eine psychosoziale Elternberatung angeboten, die auch über einen längeren Zeitraum genutzt werden kann, z.B. mit telefonischen Nachsorgegesprächen. Nicht nur die Palliativversorgung auf der Station, sondern auch die pränatale Beratung und die Hilfsangebote nach dem Tod sieht Garten als seine wichtigsten Aufgaben.

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