Registeranalyse bestätigt: Mehrgefäß-PCI schadet eher

Ärzte sollten sich bei einem infarktbedingten kardiogenen Schock auf die Infarktarterie konzentrieren – für eine Mehrgefäß-PCI deutet sich nun auch in eine Registeranalyse eine erhöhte Komplikations- und Sterberate an. Hinweis: Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Die 2017 veröffentlichte Interventionsstudie CULPRIT-SHOCK sandte wahre Schockwellen aus: Wurde bis dahin angenommen, Patienten mit einem herzinfarktbedingten kardiogenen Schock sollten eigentlich davon profitieren, wenn nicht nur die Infarktarterie wieder geöffnet wird, sondern zugleich auch Stenosen in anderen Gefäßen angegangen werden, so sprachen die Ergebnisse der großen kontrollierten Meilensteinstudie für das Gegenteil: Nach 30 Tagen war die Rate für den primären kombinierten Studienendpunkt (Tod und schweres Nierenversagen mit notwendiger Nierenersatztherapie) mit 46% in der Gruppe signifikant geringer, in der zunächst nur die Infarktarterie revaskularisiert wurde, verglichen mit sofortiger Mehrgefäß-PCI (55%). Getrieben wurden die Unterschiede primär durch die höhere 30-Tages-Sterberate unter der Mehrgefäß-PCI (52% versus 43%). Selbst die Hoffnung, dass die Mehrgefäß-PCI die Sterberate zwar kurzfristig erhöht, über längere Zeit aber deutlich senkt, zerschlug sich: Nach einem Jahr wurde der primäre Endpunkt mit einer Einzelgefäß-PCI deutlich seltener erreicht als nach sofortiger Mehrgefäß-PCI (52% versus 60%). Numerisch blieb zudem die Sterberate in der Gruppe mit aggressiverer Intervention erhöht, auch traten hier etwas häufiger Reinfarkte auf (wir berichteten). Als Folge der Studie wurde die Mehrgefäß-PCI in vielen Leitlinien bei infarktbedingtem kardiogenem Schock nicht mehr empfohlen – nachdem dies zuvor basierend auf Expertenmeinungen oft der Fall war. Doch inwiefern stützen Praxisdaten den Perspektivwechsel? Kardiologen um Dr. Rohan Khera von der Yale School of Medicine in New Haven konnten in einem großen US-Register ebenfalls Hinweise finden, dass eine alleinige PCI der Infarktarterie einem länger dauernden und nebenwirkungsträchtigeren Eingriff zur Mehrgefäß-PCI überlegen ist. Prozedurale Komplikationsrate um 18% erhöht Für ihre Analyse haben die Ärzte Angaben zu über 64.000 Patienten des CathPCI-Registers ausgewertet. Alle wurden zwischen den Jahren 2009 und 2018 in den rund 1650 teilnehmenden US-Kliniken mit einem Herzinfarkt und kardiogenem Schock aufgenommen und einer perkutanen Koronarintervention unterzogen. Bei allen zeigten neben der Infarktarterie auch weitere relevante Koronargefäße eine Stenose. Das Alter der Patienten betrug im Schnitt 66 Jahre, 68% waren Männer, 76% hatten einen STEMI. Ein Drittel unterzog sich einer Mehrgefäß-PCI, bei den übrigen eröffneten die Ärzte nur das Infarktgefäß. Im Laufe der Zeit stieg der Anteil von Patienten mit Mehrgefäß-PCI jedoch deutlich: von knapp 29% im Jahr 2009 auf 44% in 2018 unter allen Herzinfarktkranken und von 26% auf 40% unter den STEMI-Patienten. Nach Veröffentlichung der Resultate aus CULPRIT-SHOCK im Oktober 2017 blieb der Anteil mit Mehrgefäß-PCI unverändert hoch. Dieses Verfahren wurde vor allem an städtischen Unikliniken bevorzugt. Berücksichtigten die Kardiologen um Khera demografische Daten, Infarkttyp und Schwere der Erkrankung, traten Komplikationen wie schwere Blutungen, Nierenschäden und Schlaganfälle nach einer Mehrgefäß-PCI zu 18% häufiger auf als bei einer alleinigen Infarktarterien-PCI, wurden nur STEMI-Patienten betrachtet, lag der Unterschied bei 19%. Unter dem STEMI-Patienten fanden die Experten zudem eine erhöhte Klinikmortalität nach Mehrgefäß-PCI (plus 11%), nicht jedoch unter denen mit NSTEMI – hier war die Mortalität geringer. Dies führte über alle Patienten gemittelt zu einer leicht reduzierten Mortalität unter der Mehrgefäß-PCI (minus 4%). Wurde hingegen die Mortalität in Kliniken mit hohem und mit geringem Anteil von Mehrgefäß-PCI verglichen, ergaben sich keine Differenzen bei der Mortalität insgesamt, aber bei der von STEMI-Patienten: Diese war in Kliniken mit Präferenz für die Mehrgefäß-PCI um rund 10% erhöht. Umgekehrt deutete sich ein Nutzen des Verfahrens bei NSTEMI an, zumindest mit Blick auf die Mortalität. Die Ärzte um Khera vermuten aber, dass trotz aller Adjustierungen NSTEMI-Patienten mit weniger gravierenden Infarkten eher eine Mehrgefäß-PCI erhalten hatten und sich die geringe Mortalität damit und nicht mit der Intervention begründen lässt. Auch längerfristig keine Vorteile Von über 18.000 Patienten mit Medicaid-Versicherung konnten die Kardiologen um Khera Langzeitdaten abfragen. Danach war die Einjahresmortalität mit Mehrgefäß-PCI ähnlich hoch wie bei einer alleinigen Infarktgefäß-PCI (51,5% versus 49,8%). Es gab darüber hinaus keine großen Unterschiede bei der Zahl der Klinikeinweisungen nach dem Eingriff, auch nicht bei der Häufigkeit von Infarktrezidiven. Wie auch schon in CULPRIT-SHOCK beobachtet, mussten Patienten mit Einzelgefäß-PCI später jedoch öfter weitere Gefäße revaskularisieren lassen (5,6% versus 3,0%). Im Gegensatz zu der Interventionsstudie gab es aber keine Unterschiede bei Herzinsuffizienz-bedingten Klinikaufnahmen – CULPRIT-SHOCK hatte hier einen Vorteil der Mehrgefäß-PCI ergeben. Nach Auffassung der Kardiologen um Khera bestätigen ihre Daten im Wesentlichen die Resultate der Meilensteinstudie: Die Rate für prozedurale Komplikationen ist unter einer Mehrgefäß-PCI erhöht, die Mortalität zumindest für STEMI-Patienten ebenfalls. Offenbar übertragen viele Ärzte die guten Studienergebnisse für die Mehrgefäß-PCI bei Patienten ohne Schock einfach auf solche mit Schock, obwohl die Evidenz hier für einen Schaden spricht. Diese Praxis sollte dringend geändert werden, fordern die Experten um Khera. Das Wichtigste in Kürze Frage: Was ist besser bei Herzinfarkt mit kardiogenem Schock und multiplen Stenosen: eine Mehr- oder Einzelgefäß-PCI? Antwort: Nach einer großen kontrollierten Studie spricht nun auch eine US-Registeranalyse für einen Schaden der Mehrgefäß-PCI, vor allem bei STEMI-Patienten. Bedeutung: Liegt ein Herzinfarkt mit kardiogenem Schock vor, sollten sich Ärzte primär auf die Infarktarterie konzentrieren. Einschränkung: Wer warum die Mehrgefäß-PCI bekam, bleibt unklar.

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