Die Coronavirus-Pandemie bringt Ärzte und Kliniken weltweit an ihre Kapazitätsgrenzen. Ein Erfahrungsbericht aus Hongkong lässt erahnen, wie sich die aktuelle Krise auf die Akutversorgung von STEMI-Patienten auswirken könnte.
Die aktuellen Herausforderungen für das Gesundheitssystem in Deutschland und anderen Nationen sind enorm. Ärzte und Kliniken müssen sich auf die Coronavirus-Pandemie vorbereiten, Ressourcen schaffen und gleichzeitig die allgemeine Versorgung schwerkranker Patienten sicherstellen.
Ein Erfahrungsbericht aus einer Klinik in Hongkong lässt nun befürchten, dass durch die generellen Vorkehrungen und Maßnahmen, die nun zu treffen sind, Engpässe für die Versorgung von STEMI-Patienten entstehen könnten.
Dr. Chor-Cheung Frankie Tam und Kollegen berichten in der Fachzeitschrift „Circulation“ über weitreichende Verzögerungen in dem Management von STEMI-Patienten, die in der frühen Phase des SARS-CoV-2-Ausbruches medizinische Hilfe ersuchten.
Deutliche Verzögerungen in der Versorgung von STEMI-Patienten
Besonders deutlich werden die Auswirkungen des SARS-CoV-2-Ausbruchs an dem Endpunkt „Symptombeginn bis zum ersten medizinischen Kontakt“. Vor der Pandemie (2018–2019) vergingen bis dahin im Schnitt 82,5 Minuten, außerhalb der regulären Arbeitszeiten 91,5 Minuten. Seit Ende Januar 2020 hat sich die Dauer mit im Mittel 318 Minuten fast vervierfacht. Sechs der sieben in dieser Zeit mit einer perkutanen Koronarintervention (PCI) behandelten STEMI-Patienten sind zu regulären Arbeitszeiten eingeliefert worden. Die betroffenen Patienten waren nicht mit SARS-CoV-2 infiziert.
Nicht ganz so deutlich, trotz allem auffällig hat sich auch die „Door-to-Device“-Zeitspanne von ursprünglich 84,5 Minuten auf nun im Mittel 110 Minuten ausgeweitet, ebenso wie die „Catheterlabor Arrival to-Device“-Zeit (von 20,5 auf 33 Minuten).
„Trotz eines vorhandenen etablierten Systems für die Versorgung von ST-Streckenhebungs-Myokardinfarkten (STEMI) zeigt dieser Bericht eine deutliche Zunahme der Zeitspanne vom Symptombeginn bis zum ersten medizinischen Kontakt bei einer Handvoll von Patienten, die nach Einführung von Maßnahmen zur Infektionskontrolle behandelt worden sind“, kommentieren Dr. Amer Ardati und Dr. Alfredo Mena Lora von der University of Illinois in Chicago die aktuellen Ergebnisse.
Das könnten die Gründe sein
Die Ursachen für diese Verzögerungen sind vielseitig: Patienten würden während eines solchen Infektionsausbruches verständlicherweise eher widerstrebend ein Krankenhaus aufsuchen, lautet eine Erklärung der Studienautoren. Zudem haben die Ärzte aus Hongkong Bedenken, dass einige STEMI-Patienten in dieser Zeit überhaupt keine medizinische Versorgung erhalten haben, auch wenn sie dies nicht überprüfen könnten.
Die verzögerten Therapieeinleitungen erklären sie sich u.a. durch die verschärften Vorkehrungen, die zur Eindämmung des SARS-CoV-2-Ausbruches derzeit zu treffen sind. Um eine Weiterverbreitung des Virus zu verhindern, müssten beispielsweise die detaillierten Reise- und Kontaktdaten, die Symptomatik sowie Röntgenaufnahmen überprüft werden, ehe der Patient in ein Katheterlabor gebracht werden könne, beschreiben Tam und Kollegen das Vorgehen in ihrer Klinik. Darüber hinaus müssten Ärzte und Personal nun umfassende Schutzausrüstung tragen, was ebenfalls mehr Zeit beansprucht haben könnte.
Die Ärzte aus Hongkong kritisieren diese Maßnahmen keinesfalls: Sie seien essenziell, um die Coronavirus-Infektionen einzudämmen. Sie möchten nur dafür sensibilisieren, dass diese Krise indirekt andere Klinikbereiche beeinträchtigen kann, auch wenn ihr vorläufiger Bericht mit gerade mal sieben Patienten keine bedeutsame statistische Aussage zulasse.
So könnte man die Herausforderungen meistern
Dem pflichten auch die beiden Kommentatoren Ardati und Mena Lora bei: Dieses Problem beschränke sich nicht allein auf eine einzige Fachdisziplin oder eine Situation, sondern es betreffe jeden, der kranke Patienten versorge, betonen sie.
Auch sie weisen eindringlich auf die Bedeutung von Maßnahmen zur Infektionskontrolle und Kapazitätenerweiterung hin. Kardiologische Abteilungen sollten über die Verschiebung elektiver Prozeduren nachdenken und die Gesundheit ihres Personals sowie deren Bereitschaftspflicht sorgfältig und regelmäßig prüfen, schlagen sie vor.
Im selben Zuge machen sie aber auch deutlich, dass auf erweiterte Strategien zurückgegriffen werde sollte, um die Versorgung aller Patienten sicherzustellen, beispielsweise durch Einsatz der Telemedizin. Kardiologen, Personal in der Notfall- und intensivmedizinischen Versorgung, die eine rund um die Uhr Verfügbarkeit von PCI-Interventionen gewöhnt seien, sollten sich selbst wieder mit dem Einsatz thrombotischer Therapien vertraut machen, empfehlen Ardati und Mena Lora.
„Seid vorbereitet“
Das Motto „seid vorbereitet“ hätte nie zuvor eine solche Bedeutung gehabt wie jetzt. Das treffe auf Kardiologen wie auch auf andere Fachdisziplinen zu. Zu diesem „vorbereitet sein“ gehören nach Ansicht von Ardati und Mena Lora eine umsichtige Planung, Teamwork sowie Ausbildungs- und Trainingsprogramme, um die Intensivkapazitäten zu maximieren, die allgemeine Patientenversorgung aufrechtzuerhalten und nosokomiale Ausbreitungen zu verhindern.
Auch die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) hat die Ärzte dazu aufgerufen, die kardiovaskuläre Versorgung schwerkranker Patienten sicherzustellen (mehr dazu lesen Sie hier).