Eine 42-jährige Frau schafft es keine 5 Minuten mehr zu stehen. Eine junge Frau entwickelt beim Aufstehen einen extremen Herzfrequenzanstieg. Schwedische Ärzte berichten über drei Fälle, bei denen sie eine bisher kaum bekannte COVID-19-Spätfolge vermuten.
Nicht wenige Patienten haben nach einer SARS-CoV-2-Infektion längerfristig gesundheitliche Beschwerden. Solche Fälle häufen sich, sie werden als Long Covid bezeichnet.
Schwedische Mediziner um Dr. Madeleine Johansson von der Lund Universität in Malmö machen nun auf eine mögliche Spätkomplikation der Infektion aufmerksam, über die bisher noch wenig bekannt ist. Exemplarisch stellen sie im „JACC case reports“ drei Fallberichte dazu vor:
1. 42-Jährige Frau mit Erschöpfung und Palpitationen
Eine 42-jährige Frau klagt über Abgeschlagenheit. Ihre telemetrisch erfasste Herzfrequenz beträgt zwischen 70 bis 160 Schlägen pro Minute. Die Patientin berichtet, dass sie vor mehreren Monaten im März 2020 eine grippeähnliche Infektion unter anderem mit Fieber, Husten, Muskelschmerzen, Geschmacks- und Geruchsverlust durchgemacht hat. Die Beschwerden hätten sich von alleine verbessert und sie habe keine medizinische Hilfe in Anspruch genommen. Zwei Monate später hatte die Frau dann Schmerzen in der Brust und Schluckbeschwerden entwickelt, eine Ursache dafür wurde damals nicht gefunden. Die Echokardiografie war unauffällig. Eine Serologie auf SARS-CoV-2-Antikörper fiel grenzwertig aus.
Inzwischen hat die Frau Schwierigkeiten, länger als fünf Minuten aufrecht zu stehen. Sie klagt über Palpitationen, Schwindel, Hitze und eine Belastungsintoleranz.
Bei einer Kipptischuntersuchung steigt ihre Herzfrequenz beim Aufrichten von 85 auf 135 Schlägen/Minute innerhalb von zehn Minuten an. Aufgrund der Ergebnisse im aktiven Stehtest (Schellong-Test) vermuten die Ärzte zunächst eine orthostatische Hypotonie als Ursache. Doch während des Valsalvamanövers steigt sowohl die Herzfrequenz als auch der Blutdruck der Patientin im Sinne einer hyperadrenergen Antwort deutlich an – was Johansson und ihr Team auf eine andere Spur bringt.
2. 28-jährige Patientin mit symptomatischer Sinustachykardie
Eine 28-jährige Frau leidet Monate nach einer laborbestätigten SARS-CoV-2-Infektion an bleibenden, sich verschlechternden Beschwerden wie Brutschmerz, Fatigue, Vertigo und Kopfschmerzen. Die schwedischen Ärzte checken die Patientin grundlegend durch, und gehen u.a. dem Verdacht einer Meningitis nach. Doch alle Befunde sind normal.
Was jedoch auffällt: Die Herzfrequenz der jungen Frau steigt bei einem aktiven Stehtest von 75 auf 128 Schlägen/Minute an. Ihr systolischer Blutdruck erhöht sich währenddessen ebenfalls geringfügig um 10 mmHg. Die Patientin weist zudem Symptome einer ausgeprägten orthostatischen Intoleranz auf mit Schwindel, Benommenheit und Tremor. Im Rahmen einer Kipptischuntersuchung entwickelt die junge Frau eine symptomatische Sinustachykardie mit über 130 Schlägen/Minute.
3. 37-jähriger Mann mit negativen SARS-CoV-2-Test, aber auffälligen Beschwerden
Ein 37-jähriger Mann kommt während des letztjährigen Sommers gleich zweimal in die Klinik von Johannson und Kollegen. Der Grund: extreme Fatigue, Muskelschwäche, Palpitationen, Schlafprobleme und Konzentrationsschwierigkeiten. Auch er berichtet, vor einigen Wochen infektartige Beschwerden wie Halsschmerzen, trockener Husten, Fieber usw. gehabt zu haben. Mehrere PCR-Tests auf SARS-CoV-2 fielen jedoch negativ aus, auch SARS-CoV-2-Antikörper ließen sich bei ihm nicht nachweisen.
Auch bei diesem Patienten suchen die schwedischen Ärzte mit Bildgebung, Labor, Echo usw. nach einer Ursache für die Beschwerden – und finden nichts. Einzig in der Biopsie der Skelettmuskulatur können die Mediziner eine minimale Anreicherung inflammatorischer Zellen von unklarer Signifikanz feststellen. Und: Die Herzfrequenz des Patienten schwankt extrem mit Schlägen über 140/Minute. Im Schellong-Test steigt die Frequenz des Mannes von 98 auf 142 Schlägen/Minuten an, sein Blutdruck bleibt dagegen stabil.
Alle drei Fällen haben wahrscheinlich dieselbe Ursache
Bei allen drei Patienten haben die Ärzte dieselbe Vermutung: Ursache für die Beschwerden ist wahrscheinlich ein sog. posturales orthostatisches Tachykardie-Syndrom, kurz POTS. Dabei handelt es sich um eine besondere Form der Kreislaufdysregulation, die gekennzeichnet ist durch eine orthostatische Tachykardie in Verbindung mit vielfältigen Symptomen wie Palpitationen, Schwindel, Kopfschmerzen, Fatigue und Sehstörungen. Wichtig: Der systolische Blutdruck bleibt im Falle eines POTS im Gegensatz zur orthostatischen Hypotension stabil (Abfall von höchstens 20 mmHg). Das Syndrom betrifft überwiegend Frauen (zu ca. 80%).
Über den zugrunde liegenden Mechanismus ist bis heute wenig bekannt. Auffällig ist, dass in 30% bis 50% der Fälle dem Auftreten erster Symptome eine Infektion vorausging. Johansson und ihr Team vermuten deshalb, dass die POTS bei allen drei Patienten wahrscheinlich durch eine SARS-CoV-2-Infektion ausgelöst worden ist. Auch wenn im dritten Fall kein Virus- oder Antikörpernachweis vorgelegen hat. „Ein negativer SARS-CoV-2-Test schließt eine SARS-CoV-2-Infektion nicht aus und sollte in Verbindung mit typischen Symptome mit Vorsicht interpretiert werden“, äußern sie sich dazu in der Publikation.
Für ihre Vermutung spricht auch der Umstand, dass keine anderen Ursachen für die Beschwerden gefunden wurden. Als Differenzialdiagnose kommen eine Dehydration, andere Infektionen, eine Hyperthyreose, kardiale Erkrankungen, Angststörungen, Anämien, metabolische Störungen, ein chronisches Fatigue-Syndrom oder eine Dekonditionierung infrage.
Behandlungsmöglichkeiten
Allen drei Patienten wurde nach der Diagnosestellung zu einer verstärkten Flüssigkeits- und Salzzufuhr und zum Tragen von Kompressionsstrümpfen geraten. Aerobes Training in liegender Position kann ebenfalls helfen. Als Pharmakotherapie wurde der ersten Patientin Ivabradin 7,5 mg 2 × täglich verordnet, die zweite Patientin erhielt Propranolol 10 mg 3 × täglich und der dritte Patient Propranolol 10 mg 3 × täglich und Pyridostigmin 10 mg 3 × täglich gegen die schwere Fatigue und Muskelschmerzen.
Alle drei Patienten waren zum Zeitpunkt, als die schwedischen Ärzte das Manuskript verfassten, noch immer nicht arbeitsfähig.
Fazit für die Praxis: |
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