Orale Kontrazeptive stehen im Verdacht, das Arrhythmie-Risiko von Frauen mit einem Long-QT-Syndrom erhöhen zu können. Diese Hypothese hat sich in einer großen Registerstudie tatsächlich bestätigt. Das Risiko hängt jedoch vom Pillenpräparat und anderen Faktoren ab.
Bestimmte Pillenpräparate können für Frauen mit einem kongenitalen Long-QT-Syndrom (LQTS) ein Risiko darstellen. Das legen die Ergebnisse einer großen Registerstudie nahe, über die Studienautor Dr. Ilan Goldenberg beim diesjährigen Kongress der Heart Rhythm Society (HRS) berichtete.
„Unsere Ergebnisse deuten an, dass ausschließlich Gestagen-haltige orale Kontrazeptive Frauen mit einem kongenitalen LQTS nicht verabreicht werden sollten, wenn diese keine begleitende Betablockertherapie erhalten“, stellte der Kardiologe von der University of Rochester die klinischen Implikationen der neuesten Daten heraus.
Einfluss von Sexualhormonen
Wie Goldenberg beim Kongress erläuterte, wird schon länger davon ausgegangen, dass Sexualhormone auf das Arrhythmie-Risiko von LQTS-Patientinnen Einfluss nehmen. Vermutet wird das zum einen, weil betroffene Frauen in bestimmten, von Hormonumstellungen geprägten Zeiten ein erhöhtes Risiko für kardiale Ereignisse aufweisen, nämlich bei Übergang ins Erwachsenenleben, in der Postpartum-Zeit und während der Perimenopause. Zum anderen hat sich in experimentelle Studien herausgestellt, dass Östrogen und Progesteron die Aktivität bestimmter Kaliumkanäle modulieren.
Diese Erkenntnisse veranlassten Goldenberg und Kollegen, die Auswirkungen der „Pille“ auf die Prognose von LQTS-Patientinnen genauer zu untersuchen. Im Rahmen des Rochester LQTS-Registers befragten die Wissenschaftler deshalb betroffene Frauen jedes Jahr nach der Einnahme oraler Kontrazeptiva, potenzieller Schwangerschaften und ihrem Menstruationsstatus. Die Befragung startete im September 2010 und wurde bis März 2021 fortgeführt. Insgesamt 1.656 Patientinnen beendeten die Studie, 22% von ihnen hatte über den gesamten Zeitraum orale Kontrazeptive eingenommen.
Erhöhtes Risiko bei Gestagen-Pillen
Dabei stellten die Forscher fest, dass Frauen, die mit reinen Gestagen-Pillen verhüteten, ein erhöhtes Risiko für ein kardiales Ereignis aufwiesen. Zu solchen Komplikationen zählten – definiert als primärer Endpunkt – Synkopen, Herzstillstand, LQTS-assoziierter plötzlicher Herztod und angemessene ICD-Schockabgaben. In einer multivariaten Analyse war das Risiko für den primären Endpunkt für diese Frauen um das 2,5-Fache höher als für Patientinnen, die keine oralen Kontrazeptiva eingenommen hatten (Hazard Ratio, HR: 2,54; p=0,03).
Betablocker bieten hohen Schutz
Östrogen-haltige Pillen und Kombinations-Präparate waren dagegen mit keiner erhöhten Rate an kardialen Ereignissen assoziiert. Ein potenzielles Risiko stellten in dieser Studie somit nur Pillenpräparate dar, die ausschließlich Gestagene enthielten. Das aber nur, wenn die Frauen, die diese verwendeten, keine Betablocker eingenommen hatten. Wurden Betablocker verordnet, war das Risiko für diese Frauen nicht höher als für jene, die keine oralen Kontrazeptive eingenommen hatten. Eine Betablockerbehandlung bot hier also eine hohe Schutzwirkung (HR=0,22; p=0,01). Ohne eine solche Therapie stieg das Risiko bei Einnahme Gestagen-haltiger Pillen dagegen um fast das Dreifache an (HR: 2,86; p=0,01).
Besonders gefährdet für eine Risikoerhöhung durch die „Pille“ waren demnach Frauen mit einem LQTS vom Typ 2. Die Einnahme von Gestagen-Pillen erhöhte ihr Risiko für kardiale Komplikationen um das Achtfache, aber auch diesmal nur dann, wenn keine Betablocker eingenommen wurden (HR: 8,03; p˂0,001). Für Patientinnen mit LQT2 waren auch Östrogen-haltige Pillen mit einem deutlich erhöhten Risiko assoziiert, wenn die Frauen nicht mit Betablocker behandelt worden sind (HR: 10,05; p=0,001).
Auf reine Gestagen-Pillen verzichten
Bei Vorliegen eines LQT2 müsse eine orale Kontrazeption sorgfältig abgewogen werden, wenn die Frauen eine maximale Betablocker-Dosis nicht tolerierten, schloss Goldenberg daraus. Auch der US-Kardiologe Prof. Mark Link mahnt in der anschließenden Diskussion aufgrund der neuesten Daten zur Vorsicht und plädiert dafür, bei Patientinnen mit einem LQTS auf reine Gestagen-Pillen zu verzichten. Die aktuelle Studie zeigt Link zufolge aber auch, wie wichtig eine Betablockertherapie für die Prognose von Frauen mit einem LQTS ist. „Alle meine weiblichen Patientinnen mit einem LQTS erhalten im Erwachsenenalter einen Betablocker in maximaler Dosierung“, stellte der Kardiologe deshalb klar.