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05.01.2022 | Kardiologie | Nachrichten

Junger Mann fällt ständig in Ohnmacht – wie sich COVID-19 noch manifestieren kann

verfasst von: Veronika Schlimpert

Ein 35-jähriger Mann kommt wegen seit Tagen wiederkehrender Synkopen in die Notaufnahme eines Berliner Krankenhauses. Die Ärzte finden nichts – mit Ausnahme eines positiven SARS-CoV-2-Testergebnisses. Ein Fall, der verdeutlicht, wie mannigfaltig sich eine COVID-Erkrankung manifestieren kann. 

Eine COVID-19-Erkrankung kann sich sehr vielfältig manifestieren. Berliner Kardiologen um Dr. med. Hinrich Schroer berichten nun im „European Heart Journal Case Reports“ über eine ungewöhnliche Folge der Infektion und wie sie mit dieser umgegangen sind.

Ein 35-jähriger Mann sucht die Notaufnahme des BG Klinikums Unfallkrankenhaus Berlin auf, weil er seit zehn Tagen an wiederkehrenden Ohnmachtsanfällen leidet. Wie der junge Patient berichtet, treten die Vorfälle immer dann auf, wenn er sich aus der Liegeposition aufrichtet. Ein Tag zuvor habe er eine Fieberepisode gehabt, sonst keine Beschwerden, erläutert der Patient.

Initialer Provokationstest mit auffälligem Befund

Zur Abklärung der Synkope nehmen die Ärzte in der Notaufnahme zunächst eine Provokationstestung vor. Dabei stellen sie fest, dass die Herzfrequenz des Patienten während des Aufrichtens zunächst auf 110 Schläge/Minute ansteigt, ohne dass sich sein Blutdruck erhöht. Zwei bis drei Minuten später fällt die Frequenz dann langsam ab bis hin zu einer ausgeprägten Bradykardie, der Patient beginnt, zu schwanken, klagt über Schwindel und visuelle Störungen, bis er in Ohnmacht fällt. Während dieser Episode konnten die Ärzte in der EKG-Aufzeichnung weder eine PQ-Verlängerung noch AV-Überleitungsstörungen feststellen. Bis auf eine Asthmaerkrankung hat der Patient keine auffällige Anamnese, auch die Familienanamnese gibt keine Hinweise.

Die Ärzte forschen weiter nach einer Ursache für die autonome Störung des jungen Mannes. Im Rahmen der körperlichen Untersuchung stellen sie bei der Auskultation bilaterale basale Rasselgeräusche in der Lunge fest, eine erhöhte Temperatur von 39°C und eine Tachykardie mit 107 Schlägen/Minute. Der Patient leidet an einer geringfügigen Hypoxie (pO2: 10,1 kPa; normal: 11,0 – 14,4 kPa). Das Labor ergibt erhöhte Werte von CRP (32,9 mg/l), Procalcitonin (0,10 μg/l), Ferritin (1.874 μg/l) und leicht erhöhte Konzentrationen der Aminotransferasen (ALAT: 0,86 μkat/l, ASAT: 1,05 μkat/l) sowie eine Leukopenie (3,7 Gpt/L).

Positiver SARS-CoV-2-Nachweis

Der SARS-CoV-2-Abstrich fällt positiv aus, was die Mediziner zu einem Verdacht bringt: Könnte die Infektion hinter der Symptomatik des jungen Patienten stecken? Sie nehmen ein 24-Stunden-Holter-EKG vor. In diesem wurden zwei Pausen mit einer maximalen Dauer von 3,4 Sekunden während eines Sinusarrest dokumentiert, ebenso wie Episoden eines idioventrikulären Rhythmus sowie eine einzelne langsame VT-Episode von 35 Sekunden. 

Das Gesamtbild ist eindeutig: Der Mann leidet an vasovagalen Synkopen mit kardioinhibitorischen Komponenten. Doch welche Ursache liegt diesen zugrunde? In der transthorakalen Echokardiografie lassen sich keinerlei Auffälligkeiten feststellen, der Mann hat eine normale linksventrikuläre Ejektionsfraktion. Auch sonst können die Kardiologen weitere Ursachen für die vasovagalen Synkopen des Patienten wie Kanalopathien, ein Brugada-Syndrom oder ein paroxysmaler AV-Block ausschließen.

Zusammenhang liegt nahe

Schroer und Kollegen vermuten deshalb, dass tatsächlich die SARS-CoV-2-Infektion die Reflexsynkopen des Mannes ausgelöst hat. „Aufgrund der reproduzierbaren Umstände, unter denen sich die Synkope manifestiert, der eindeutigen chronologischen Korrelation der Symptome mit der SARS-CoV-2-Infektion und dem Nichtvorhandensein von Eigenschaften, die auf eine Kanalopathie oder eine strukturelle Herzerkrankung hindeuten, glauben wir, dass eine mit COVID-19 assoziierte kardioinhibitorische Reflexsynkope die Diagnose bei dem jungen Mann darstellt“, lautet ihr Fazit.

In der Vergangenheit ist schon öfters über ähnliche Phänomene berichtet worden, was die Kardiologen in ihrer Diagnosestellung bekräftigt. So gibt es bei „Long COVID“-Patienten häufiger Fälle von orthostatischer Intoleranz oder posturalen orthostatischen Tachykardie-Syndromen, kurz POTS (wir berichteten). Während der Akuterkrankung sind solche Komplikationen zwar seltener, aber – wie der folgende Fall deutlich macht – offensichtlich nicht auszuschließen.

Implantation eines temporären Schrittmachers

Nach der Diagnosestellung entscheiden sich die Ärzte für die Implantation eines temporären Schrittmachers, woraufhin der Mann keine Synkopen mehr erleidet. Da die Sauerstoffsättigung des Patienten unverändert stabil bleibt, wird ihm kein Dexamethason verabreicht. Fünf Tage nach der Implantation lässt sich kein ventrikuläres Pacing des Schrittmachers mehr dokumentieren, der intrinsische Herzrhythmus des Patienten hat sich offensichtlich wiederhergestellt.

Schroer und Kollegen entscheiden sich deshalb dafür, den Schrittmacher zu entfernen. Obwohl der Patient eine schwere Symptomatik hatte mit einer hohen Frequenz an Synkopen und langen Asystolie-Pausen, habe man sich bewusst gegen eine permanente Schrittmachertherapie entschieden, erörtern die Kardiologen ihr Vorgehen. Sie begründen dies zum einen damit, dass sie die COVID-19-Erkrankung als transienten Trigger identifizieren konnten. Zum anderen argumentieren sie mit den ESC-Leitlinien, die bei kardioinhibitorischen Reflexsynkopen eine Klasse IIA-Empfehlung für eine Schrittmacherimplantation nur für Patienten in einem Alter von 40 Jahren oder älter aussprechen.

Entscheidung gegen permanente Schrittmachertherapie

Der Patient wird nach der Schrittmacher-Explantation zunächst telemetrisch im Krankenhaus überwacht, bis er nach 29-tägigem Aufenthalt entlassen wird. Der Mann leidet zu diesem Zeitpunkt noch immer an einer orthostatischen Intoleranz. Er erhält eine Aufklärung zu präventiven Lebensstilmaßnahmen, u.a. wie er Prodromi erkennt und auf diese reagiert. Außerdem wird ihm vom Radfahren (der Mann ist ein ambitionierter Radfahrer) abgeraten, solange die Beschwerden anhalten.

Drei Monate nach der Entlassung lässt sich bei dem Patienten im Rahmen einer Kipptischuntersuchung noch immer ein kardioinhibitorische Reaktion mit nachfolgender Synkope feststellen. Sechs Monate später sind die Beschwerden des Mannes vollständig verschwunden, in der Kipptischuntersuchung sind keine inadäquaten Reflexe mehr nachweisbar.


Fazit für die Praxis:

  • Obwohl selten kann es auch im Rahmen einer akuten COVID-19-Erkrankung zu Synkopen mit ausgedehnten Asystolien, die eine temporäre Schrittmachertherapie bedürfen, kommen.
  • Falls die COVID-Erkrankung ohne Komplikationen und ohne Lungenbeteiligung verläuft, halten die Autoren eine abwartende Strategie mit Blick auf eine permanente Schrittmachertherapie („wait and see“) für sinnvoll.


Literatur

Beil J et al. A case report of severe cardioinhibitory reflex syncope associated with COVID-19. Eur Heart J- Case Reports, 2022; ytab524, https://doi.org/10.1093/ehjcr/ytab524

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