Was ein „normales Cholesterin” ist, lässt sich schwerlich definieren. Selbst niedrige und bislang als sehr zufriedenstellend erachtete Cholesterinwerte stehen immer noch in ursächlichem Bezug zu kardiovaskulären Ereignissen, deren Inzidenz durch eine noch intensivere Cholesterinsenkung weiter reduziert werden kann.
Selbst bei Patienten mit relativ niedrigen LDL-Cholesterinwerten, mit denen die meisten Ärzte heute sicher äußerst zufrieden wären, kann das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse durch eine noch tiefere Absenkung des LDL-Cholesterins weiter verringert werden. Auch bei LDL-C-Ausgangswerten von 70 mg/dl oder niedriger – mit solchen Werten sind die in den ESC-Leitlinie empfohlenen Zielwerte für Hochrisiko-Patienten bereits erreicht - ist jede weitere LDL-C-Senkung um 1 mmol/l (entsprechend 38,7 mg/dl) mit einer relativen Reduktion von kardiovaskulären Ereignissen um 21% assoziiert, wie Ergebnisse einer neuen Metaanalyse belegen. Nachteile wie eine Zunahme von Myalgien oder Diabeteserkrankungen müssen dafür offenbar nicht in Kauf genommen werden.
Die aus Ergebnissen klinischer Studien bei Patienten mit höheren LDL-Cholesterinwerten für die Cholesterinsenkung extrahierte Regel, wonach „je niedriger, desto besser“ ist, scheint somit auch bei Patienten mit bereits niedrigen LDL-Ausgangswerten noch Gültigkeit zu besitzen. Oder anders gesagt: Mit Blick auf die Verhinderung von Herzinfarkten und Schlaganfällen kann das LDL-Cholesterin gar nicht tief genug sein.
CTTC-Analyse: Risikoreduktion um 22% pro mmol LDL-Senkung
Wir erinnern uns: In den ersten, vor mehr als zwei Jahrzehnten publizierten Studien zur Wirksamkeit von Statinen hatten die beteiligten Patienten noch LDL-C-Ausgangswerte im hohen Bereich von 160 oder 170 mg/dl. In den nachfolgenden Statin-Studien starteten die Teilnehmer dann mit immer niedrigeren Cholesterinwerten.
Von Experten der Cholesterol Treatment Trialists’ Collaboration (CTTC) sind die Daten von 26 Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit der Cholesterinsenkung mit Statinen in der Folge metaanalytisch ausgewertet worden. Die CTTC-Analyse kam zu dem Ergebnis, dass jede LDL-C-Senkung um 1 mmol/l (38,7 mg/dl) bei Patienten, die mit LDL-Werten von im Schnitt 3,4 mmol/l (131,5 mg/dl) in die Studien gekommen waren, die Rate an schwerwiegenden vaskulären Ereignissen relativ um 22% verringerte.
Blick in den unteren LDL-Bereich
Wie aber steht es um den Nutzen einer weiteren Cholesterinsenkung bei Patienten, deren LDL-C-Werte bereits niedrig sind? Eine Forschergruppe um Dr. Marc Sabatine vom Brigham and Women’s Hospital in Boston hat zur Klärung dieser Frage eine Metaanalyse initiiert, deren zugrunde liegenden Daten aus vier Quellen stammen.
Zum einen nutzten Sabatine und seine Kollegen bezüglich der Behandlung mit Statinen die Daten einer Subgruppe der CTTC-Analyse, nämlich von Patienten mit LDL-C-Ausgangswerten von 1,8 mmol/l (70 mg/dl) oder niedriger (im Mittel 65,7 mg/dL). Bezüglich der cholesterinsenkenden Therapie mit Nicht-Statinen wurde auf Daten von 50.627 Teilnehmern der drei randomisierten placebokontrollierten Studien FOURIER (mit dem PCSK9-Hemmer Evolocumab), IMPROVE-IT (mit Ezetimib) und REVEAL (mit dem nicht zur Vermarktung vorgesehenen CTEP-Hemmer Anacetrapib) zurückgegriffen.
Die medianen LDL-C-Werte in den Kontrollgruppen dieser drei Studien zur Sekundärprävention mit Lipidsenkern betrugen 66 mg/dl (FOURIER), 70 mg/dl (IMPROVE-IT) und 63 mg/dl (REVEAL). Additiv zu Statinen reduzierten die Nicht-Statine das LDL-Cholesterin um weitere 0,3 bis 1.2 mmol/l (11 mg/dl bis 45 mg/dl). Je nach Therapie wurden zum Teil extrem niedrige Werte von nur noch 21 mg/dl erreicht.
Konsistente Risikoreduktion auch bei bereits niedrigen LDL-Werten
In der CTTC-Subgruppe, in der insgesamt 1922 Ereignisse wie Koronartod, Myokardinfarkt oder ischämischer Schlaganfall aufgetreten waren, ergab die Analyse, dass mit jeder LDL-Reduktion um 1 mmol/l (38,7 mg/dl) durch Statine das Risiko für vaskuläre Ereignisse relativ um 22% reduziert worden war. Bezüglich der drei Studien mit Nicht-Statinen, in denen sich 9570 aufgetretene vaskuläre Ereignisse summiert hatten, kamen die Autoren der Metaanalyse trotz der Tatsache, dass Therapien mit sehr unterschiedlichen Wirkmechanismen zum Einsatz gekommen waren, zu ähnlichen Ergebnissen. Dies spricht sehr dafür, dass – unabhängig von sonstigen Effekten dieser Therapien etwa auf das HDL-Cholesterin – die Senkung der LDL-Cholesterinspiegel der entscheidende Faktor für die Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse ist.
Bei Kombination der Daten für Statine und Nicht-Statine zeigte sich, dass die damit erzielte Cholesterinsenkung pro 1 mmol/l mit einer relativen Reduktion von vaskulären Ereignissen um 21% assoziiert war (Relatives Risiko 0,79; 95% Konfidenzintervall 0,71-0,87; p < 0,001).
Trotz der Absenkung des LDL-Cholesterin auf zum Teil extrem niedrige Werte fand die Gruppe um Sabatine keine Anhaltspunkte dafür, dass eine entsprechend intensive Cholesterinsenkung mit einer Zunahme von Komplikationen wie Myalgien/Myositis, Diabetes-Neuerkrankungen, hämorrhagischen Schlaganfällen, Leberenzym-Erhöhungen oder Krebserkrankungen assoziiert war. Damit scheint gewährleistet zu sein, dass der Nutzen in der Nutzen/Risiko-Bilanz stets überwiegt.
Die große Frage in der Praxis
Die große Frage ist nun, bei welchen Patienten in der Praxis trotz bereits niedriger Cholesterinwerte eine weitere Reduktion in Betracht gezogen werden sollte. Die Analyse der Gruppe um Sabatine spiegelt den wissenschaftlich objektivierbaren, von keinen praktischen Restriktionen und Zwängen getrübten Zusammenhang zwischen Cholesterinsenkung und Ereignisreduktion bei schon niedrigen Ausgangswerten wider. Im Praxisalltag kommen jedoch noch andere Faktoren ins Spiel – nicht zuletzt die Kosten.
Klar ist, dass der absolute klinische Nutzen der Cholesterinsenkung – bei gleicher relativer Risikoreduktion – bei Patienten mit bereits niedrigen LDL-Werten geringer ist als bei Patienten mit hohen Ausgangswerten. Dementsprechend müssen mehr Patienten die Therapie erhalten, um ein kardiovaskuläres Ereignis zu verhindern. Hinzu kommt, dass für eine intensive LDL-Senkung auf Werte im Bereich von 20 bis 30 mg/dl vor allem PCSK9-Hemmer benötigt würden, die – anders als Statine und Ezetimib – nicht in generischer Form verfügbar und dementsprechend teuer sind.
Entscheidend wird sein, diejenigen Patienten zu identifizieren, deren kardiovaskuläres Risiko so hoch ist, dass der zu erwartende absolute Nutzen einer weiteren Cholesterinsenkung die Kosten als gerechtfertigt erscheinen lässt. Auch wird noch zu klären sein, wie tief dann auf längere Sicht das LDL-Cholesterin gesenkt werden soll: Sollte eher 20 mg/dl oder besser nur 40 mg/dl der anzustrebende Zielwert sein?