Beschwerden unter Statinen sind häufig. Ein erneuter Therapieversuch kann sich trotzdem lohnen. Wie eine aktuelle Analyse verdeutlicht, ist die Prognose dann deutlich besser. Ein Experte appelliert deshalb an die Ärzte, den kursierenden Gerüchten über Statine Kontra zu geben.
Nebenwirkungen unter Statinen kommen in der klinischen Routine recht häufig vor. Vielfach führen diese zum Absetzen der Therapie. Das Ende der Behandlung kann allerdings schwerwiegende Folgen für die Patienten haben. Deutlich wird dies an einer Beobachtungsstudie, die von Huabing Zhang und Kollegen an zwei Kliniken in Massachusetts vorgenommen wurde.
Herzinfarkte, Schlaganfälle und Todesfälle kommen demnach deutlich seltener vor, wenn die Statin-Therapie nach dem initialem Absetzen wieder aufgenommen wird. Oder anders ausgedrückt: Das endgültige Absetzen der Therapie geht mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko einher.
Folgen der negativen Berichterstattung
„An dieser Studie werden die gesellschaftlichen Folgen der weit verbreiteten Leugnung der positiven Effekte einer Statin-Therapie gut sichtbar“, äußert sich dazu der bekannte Wissenschaftler Steven Nissen von der Cleveland Clinic in Ohio in einem Editorial. Statine hätten einen schlechten Ruf, vor allem weil im Internet bizarre und unwissenschaftliche, aber offensichtlich die Bevölkerung überzeugende Argumente gegen die Lipidsenker kursierten.
„Gibt man den Begriff ‚statine benefits‘ in einer bekannten Internetsuchmaschine ein, erhält man 655.000 Ergebnisse, dieselbe Suchanfrage mit ‚statin risks‘ ergibt 3.530.000 Ergebnisse“, macht der Kardiologe die Problematik deutlich.
Eine solche Dauerpräsenz potenzieller Nebenwirkungen löst Ängste bei den Patienten aus und führt nicht selten zu einem sog. Nocebo-Effekt (muskelschmerzen-unter-statinen-alles-nur-einbildung). Damit erklärt man sich auch die im Vergleich zu randomisierten Studien recht hohen Nebenwirkungsraten in Beobachtungsstudien.
Endgültiges Absetzen birgt Risiken
Nebenwirkungen unter Statinen waren auch in dieser Analyse häufig. Von den 201.645 Patienten, die zwischen 2000 und 2011 eine Statin-Therapie erhalten haben, wurde bei 44.940 Personen mindestens eine Nebenwirkung dokumentiert; 28.266 Personen gingen in die Auswertung ein. Von diesen nahmen 70,7 % die Therapie innerhalb von 12 Monaten wieder auf.
Der erneute Therapieversuch hat sich offenbar ausgezahlt: Vier Jahre nach der dokumentierten Nebenwirkung hatten die Patienten mit fortgesetzter Statin-Therapie ein um 13 % geringeres relatives Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall oder Tod als jene, die die Therapie abgesetzt haben; bei 12,2 % vs. 13,9 % trat ein solches Ereignis auf. Dies entspricht einer „number needed to harm“ von einem zusätzlichen Ereignis pro 59 Patienten, die die Therapie absetzen.
Aber: Wiederaufnahme ist nicht bei jedem Patienten möglich
Nach Ansicht der Studienautoren bedeutet das aber nicht, dass die Wiederaufnahme der Therapie für jeden Patienten die beste Wahl darstellen muss. Das absolute Risiko und das Ausmaß der unter der Therapie aufgetretenen Beschwerden müssen gegen die Vorteile der Behandlung aufgewogen und mit den Patienten diskutiert werden.
Neben der Wiederaufnahme der ursprünglichen Substanz gibt es auch die Möglichkeit, auf ein anderes Statin zu wechseln oder das erste in geringerer Dosis zu verschreiben. Ein Präparatwechsel wurde in dieser Analyse bei 7.604 Patienten versucht, 26,5 % hatten auch darunter Beschwerden, 84,2 % setzen die Therapie trotzdem fort.
Hilft das nicht weiter, kann man heute auf andere lipidsenkende Substanzen wie Ezetimib oder PCSK9-Inhibitoren zurückgreifen. Interessant wäre zu wissen, wie sich Beschwerden und die Prognose der Patienten darunter verändern. PCSK9-Inhibitoren waren zum damaligen Studienzeitpunkt allerdings noch nicht auf dem Markt verfügbar.
Appell an die Ärzte
Darüber hinaus wird aus der Studie nicht ersichtlich, inwieweit die Vorteile einer Therapie-Wiederaufnahme vom individuellen Risiko abhängen. Untersucht wurde ein Hochrisikokollektiv. Und die Therapie wurde vor allem dann fortgesetzt, wenn die Patienten einem hohen Risiko ausgesetzt waren. Ob Patienten mit niedrigerem Risiko von einem erneuten Therapieversuch gleichermaßen profitieren, ist somit unklar.
Derartige Limitierungen einer retrospektiven Analyse sind auch Nissen hinlänglich bekannt. Trotzdem hält der Wissenschaftler das Studienergebnis für überzeugend: „Das Absetzen einer Statintherapie kann schwerwiegende Folgen haben.“
An die Ärzte appelliert er, die kursierenden pseudowissenschaftlichen Berichte über Statine nicht einfach hinzunehmen. Als Beispiel nennt er die Gerüchte über die „Cholesterin-Lüge“, nach der es keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Entstehung einer Atherosklerose und der Höhe der Cholesterin-Spiegel zu geben scheint.
Kritik äußert Nissen auch an den vielfach beworbenen natürlichen Cholesterin-Senkern wie Knoblauch- und Grüntee-Kapseln, Artischockenextrakt usw., deren Nutzen in klinischen Studien überhaupt noch nicht belegt sei. „Wir müssen zusammenarbeiten, die Bevölkerung aufklären und hierbei die Unterstützung der Medien gewinnen“, lautet sein Appell an die Ärzte.