Mit zunehmender Höhe des Blutdrucks steigt das Herzrisiko. Doch wie tief ist eigentlich der Blutdruckwert, ab dem diese Risikozunahme beginnt? Die Schwelle liegt bei etwa 90 mmHg systolisch, haben US-Forschern jetzt herausgefunden. Welcher Blutdruck ist dann normal?
Blutdruckwerte unter 140/90 mmHg gelten heute als „normal“ bzw. „hochnormal“, Werte unter 120/80 mmHg als „optimal“. Doch selbst in diesem Blutdruckbereich besteht schon eine direkte Korrelation zwischen Blutdruckhöhe und atherosklerotischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen – beginnend bei einem niedrigen systolischen Wert von 90 mmHg, so das Ergebnis der Studie einer US-Forschergruppe um Dr. Seamus Whelton vom Johns Hopkins Ciccarone Center for Prevention of Cardiovascular Disease in Baltimore.
Risikozunahme schon unterhalb der Hypertonie-Schwelle
Das vom Blutdruck ausgehende Risiko steigt demnach schon deutlich unterhalb der für die Hypertonie geltenden Blutdruckgrenze an. Die Schlussfolgerung der Forscher und Whelton aus dieser Erkenntnis lautet, dass es für präventive Lebensstil-Maßnahmen zur Vorbeugung eines Blutanstiegs im Leben der Menschen nie zu früh ist. Um die Frage der Zielwerte für eine medikamentöse antihypertensive Therapie ging es der Gruppe in ihrer Studie nicht.
Ihr Ziel war einzig und allein, bei völlig gesund erscheinenden Menschen ohne Hypertonie oder andere kardiovaskuläre Risikofaktoren einen möglichen Zusammenhang zwischen Blutdruckhöhe und dem Risiko für subklinische Atherosklerose (Koronarkalk) sowie für atherosklerotischen Gefäßerkrankung aufzuspüren.
Daten der MESA-Studie herangezogen
Grundlage dafür bildeten die Daten von 1457 Teilnehmern (mittleres Alter 58 Jahre, 61,4% Frauen) der epidemiologischen MESA-Studie (Multi-Ethnic Study of Atherosclerosis), die alle zu Beginn weder eine atherosklerotisch bedingte Herz-Kreislauferkrankung (atherosclerotic cardiovascular disease, ASCVD) noch Risikofaktoren wie Dyslipidämie, Diabetes oder Rauchen aufwiesen und deren Blutdruckwerte im Normalbereich zwischen 90 mmHg und 129 mmHg lagen (mittlerer Ausgangsblutdruck: 111,3/67,5 mmHg).
Bei rund einem Drittel aller Teilnehmer ergab eine zu Beginn vorgenommene Koronarkalk-Messung einen positiven Befund. Schon dabei zeigte sich eine Korrelation mit der Blutdruckhöhe: So lag der Anteil an Patienten mit Koronarkalk-Nachweis in der Subgruppe mit den niedrigsten systolischen Blutdruckwerten (90 - 99 mmHg) bei 19,7%, während er in der Subgruppe mit den relativ höchsten Werten (120 - 129 mmHg) mit 40,8% doppelt so hoch war.
Schrittweiser Anstieg des kardiovaskulären Risikos
Im Follow-up-Zeitraum der Studie von 14,5 Jahren kam es bei den Teilnehmern zu insgesamt 94 kardiovaskulären Ereignissen. Die altersadjustierte Inzidenzrate war mit 4,7 Ereignissen pro 1000 Personenjahre relativ niedrig. Gleichwohl offenbarte die Analyse eine Abhängigkeit des ASCVD-Risikos von der Blutdruckhöhe: Mit jeder Zunahme des systolischen Blutdrucks um 10 mmHg erhöhte sich das relative Risiko schrittweise um 53% (adjustierte Hazard Ratio 1,53, 95% Konfidenzintervall 1,17-1,99).
Im Vergleich zu Personen mit den relativ niedrigsten systolischen Blutdruckwerten (90 - 99 mmHg) war das ASCVD-Risiko bei Werten von 100 – 109 mmHg um den Faktor 3,0 (aHR 3,00, 95% KI 1,01-8,88), bei Werten von 110 – 119 um den Faktor 3,1 (aHR 3,10, 95% KI, 1,03-9,28) und bei Werten von 120 – 129 mmHg um den Faktor 4,58 (aHR 4,58, 95% KI 1,47-14,27) erhöht.
Nach diesen Ergebnissen sind bereits Blutdruckwerte im Normalbereich mit der Entwicklung von kardiovaskulären Erkrankungen assoziiert. Sie stehen in einem gewissen Gegensatz zu Ergebnissen anderer Studien, denen zufolge die Assoziation von Blutdruck und kardiovaskulärem Risiko J-förmig verläuft und es bei niedriger werdenden Blutdruckwerten wieder zu einer Risikoerhöhung kommt.
Plädoyer für konsequente Primärprävention
Was folgt aus der aktuellen Studie? Sicher nicht die Empfehlung, den systolischen Zielwert für die medikamentöse Blutdrucksenkung auf 90 mmHg zu senken. Denn für die Beurteilung der Nutzen/Risiko-Bilanz einer entsprechend aggressiven Behandlungsstrategie geben die neuen Studienergebnisse nichts her.
Nach Ansicht der Studienautoren um Whelton stützen sie aber die Bedeutung einer konsequenten Primärprävention (primordial prevention) durch gesunde Lebensweise, um neben anderen relevanten Risikofaktoren auch dem mit zunehmendem Alter häufig beobachteten Anstieg des systolischen Blutdrucks vorbeugen.