Ein 31-jähriger Mann kommt im US-Bundesstaat Tennessee mit einem Hautausschlag und Fieber ins Krankenhaus. Dort entwickelt er Brustschmerzen und diffuse ST-Streckenhebungen im EKG. Die Ärzte haben sofort einen Verdacht, obwohl ein solcher Fall noch nie beschrieben wurde.
Wenn auch sehr ungewöhnlich, kann eine Komplikation am Herzen offensichtlich auch durch einen Spinnenbiss ausgelöst werden, so wie in dem folgenden Fall, über den Dr. Richard Sims und Kollegen im JACC Case Reports berichten.
Ein 31-jähriger Mann leidet an einem diffusen erythematösen Hautausschlag, er hat Fieber und Schüttelfrost und sucht deshalb die Klinik von Sims und Kollegen in Nashville/Tennessee auf. Der Patient berichtet von geschwollenen Händen und Füße, Diarrhöe, Appetitverlust und diffusen Muskelschmerzen. Er sei drei Tage zuvor am Oberschenkel von einer braunen Spinne gebissen worden, berichtet der Mann, an der Stelle, wo die nekrotische Hautläsion zu sehen ist. Die Ärzte weisen in der Folge eine Hämolyse, eine akute Niereninsuffizienz und milde Rhabdomyolyse bei ihrem Patienten nach.
Hautläsion nach Spinnenbiss
Die US-Mediziner haben sofort einen Verdacht: Es könnte sich um einen Biss von der braunen Einsiedlerspinne (Loxosceles reclusa) handeln, die bei dem jungen Mann einen sog. Loxoscelismus hervorgerufen hat. Dabei handelt es sich um ein durch Spinnengift ausgelöstes systemisches Syndrom, das erstmals 1879 in Tennessee beschrieben wurde. Am häufigsten berichtet wird über eine solche Intoxikation nach Bissen der Schwarzen Witwe (Latrodectus) und der braunen Einsiedlerspinne.
Eine typische lokale Reaktion auf das Spinnengift ist eine nekrotische Ulzeration, die von einem Erythem umgeben ist, an der Stelle des Bisses. Die Hautläsion entsteht in der Regel 7–10 Tage nach dem Biss. Viel seltener dagegen sind systemische Reaktionen auf das Gift. Die Konstellation aus einer akuten Nierenstörung, Hämolyse und Rhabdomyolyse spreche stark für eine solche systemische Reaktion, erläutern die US-Ärzte ihren Verdacht. Unterstützt wird ihre Vermutung von der Tatsache, dass die braune Einsiedlerspinne endemisch im mittleren Tennessee vorkommt.
Plötzlich Brustschmerz und EKG-Auffälligkeiten
Doch die beschriebenen Befunde sind offensichtlich nicht die einzigen Folgen des Spinnenbisses. Nach drei Tagen im Krankenhaus entwickelt der Patient plötzlich Brustschmerzen. Im EKG sind diffuse ST-Streckenhebungen zu sehen, parallel dazu ein Troponin-Anstieg. Aufgrund dieser Symptomatik veranlassen Sims und Kollegen sofort eine Koronarangiografie. Darin zu sehen ist eine nicht-obstruktive koronare Herzerkrankung und ein erhöhter linksventrikulärer enddiastolischer Druck von 29 mmHg. In der transthorakalen Echokardiografie lässt sich eine linksventrikuläre Ejektionsfraktion (LVEF) von 40–50% mit lateraler und inferolateraler Hypokinesie sowie ein kleiner Perikarderguss nachweisen.
MRT-Befunde erhärten den Verdacht
Sims und sein Team vermuten eine akute Myokarditis als Ursache hinter den Befunden, auch deshalb, weil der Patient keine traditionellen kardiovaskulären Risikofaktoren aufweist. Sie nehmen eine Kardio-MRT vor, die den Verdacht erhärtet: Darin ist nämlich ein regional erhöhtes T2-Signal und ein erhöhtes extrazelluläres Volumen (EZV) in der lateralen Wand messbar. Daneben zeigt sich ein dichtes, fleckiges, mittmyokardiales Late Gadolinium Enhancement in der basalen bis distalen lateralen Ventrikelwand und der basal inferioren Wand.
Die US-Mediziner gehen stark davon aus, dass der Spinnenbiss die akute Myokarditis ausgelöst hat. „Wir berichten hier über den ersten bekannten Fall einer Myokarditis, der mit dem Biss einer braunen Einsiedlerspinne in Verbindung steht“, erläutern sie die Besonderheit des Falles. Ihren Recherchen zufolge wurde bisher ausschließlich über Myokarditiden berichtet, die mit Bissen der Schwarzen Witwe assoziiert waren.
Gift der Spinne könnte auch kardiotoxisch wirken
Wie Sims und Kollegen erläutern, ist ihre Diagnose auch biologisch plausibel. So wird das von der braunen Einsiedlerspinne produzierte Toxin Sphingomyelinase D verantwortlich für die systemischen Reaktionen auf den Spinnenbiss gemacht. Das Enzym entfalte seine Wirkung vermutlich durch eine direkte Zellschädigung (Hydrolyse der Zellmembran-Phospholipide), durch ein Zelloberflächen-Signaling (wodurch Matrix-Metalloproteinasen freigesetzt werden) und/oder durch eine massive Immunantwort mit Neutrophilen-Infiltration, erläutern sie den aktuellen Wissensstand. In tierexperimentellen Studien sind zudem kardiotoxische Effekte des Enzyms beobachtet worden.
Der junge Mann wird nach der Diagnosestellung zunächst auf der Intensivstation überwacht. Eine Bluttransfusion ist nicht erforderlich. Zur Behandlung der milden Kardiomyopathie erhält er Metoprolol und Lisinopril, gegen die akute Perikarditis bekommt er Cholchicin. Eine leitliniengerechte Tetanusprophylaxe wird sichergestellt.
Prinzipiell stehen zur Behandlung eines Loxoscelismus hauptsächlich supportive Maßnahmen zur Verfügung, z.B. eine Bluttransfusion im Falle einer stark ausgeprägten Hämolyse. Die Wirksamkeit einer spezifischen Behandlung konnte bisher in keiner randomisierten Studie belegt werden. Es gibt zwar ein Gegengift, das scheint allerdings innerhalb der ersten zwölf Stunden nach dem Biss appliziert werden zu müssen, um wirksam zu sein. Und das sei in den USA auch gar nicht verfügbar, fügen Sims und Kollegen dem hinzu.
Fazit für die Praxis |
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