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10.03.2021 | Kardiologie | Nachrichten

Wieso das? Herzinfarkt-Patienten ohne klassische Risiken haben geringere Überlebenschancen

verfasst von: Veronika Schlimpert

Es gibt sie: Patienten, die einen Herzinfarkt erleiden, obwohl sie keinerlei offensichtliche Risikofaktoren aufweisen. Ausgerechnet deren Sterberisiko ist einer aktuellen Analyse zufolge höher als für andere Patienten. Und das hat offenbar Gründe, die vermeidbar wären.

Immer wieder trifft ein Herzinfarkt auch vermeintlich gesunde Menschen, die vorab keinen Bluthochdruck, keine Hypercholesterinämie, keinen Diabetes hatten und Nichtraucher waren. Für solche Patienten würde man intuitiv eher von einer besseren Prognose ausgehen als für jene, die entsprechende Risikofaktoren aufweisen.

Herzinfarkt ohne Vorboten gar nicht so selten

Doch diese Annahme scheint nicht zu stimmen, wie Wissenschaftler um Prof. Gemma Figtree nun anhand von retrospektiv ausgewerteter Daten des SWEDEHEART-Registers herausgefunden haben. Die an der Universität Sydney tätigen Mediziner haben sich genau diese Patienten genauer angeschaut, bei denen ein ST-Hebungsinfarkt (STEMI) vermeintlich ohne Vorboten aufgetreten war, das war bei 9.228 von insgesamt gut 62.000 Registerpatienten – also bei 14,9% – der Fall.

Sterberisiko dann seltsamerweise deutlich höher

Überraschenderweise war die Sterblichkeit 30 Tage nach dem Ereignis für diese Patienten signifikant höher als für Patienten, die mind. einen der genannten klassischen Risikofaktoren aufwiesen (Hazard Ratio, HR: 1,47; p ˂ 0,0001). Vor allem Frauen ohne traditionelle Risiken hatten schlechte Karten, sie wiesen die höchste 30-Tages-Mortalität auf; 17,6% der Patientinnen verstarben innerhalb dieser Zeit.

Selbst acht bis zwölf Jahre später hatten die vermeintlichen Niedrigrisikopatienten eine erhöhte Gesamtmortalität (bis zu 8 Jahre für Männer, 12 Jahre für Frauen). Auch im Krankenhaus verstarben diese Patienten eher als andere (9,6% vs. 6,5%; p ˂ 0,0001).

„Diese Befunde widersprechen der gängigen Annahme, dass ein niedriges klassisches Risikoprofil für die Entwicklung einer Atherosklerose gleichzusetzen ist mit einem niedrigen Risiko nach einem Herzinfarkt“, geben die Studienautoren zu bedenken.

Auch diese Patienten sollten eine leitliniengerechte Behandlung erhalten

Doch warum haben ausgerechnet Patienten ohne klassischen Risikofaktoren ein höheres Sterberisiko? Auffallend ist, dass solche Personen seltener eine Medikation mit ACE-Inhibitoren, Aldosteron-Antagonisten, Betablocker und Statine bei Entlassung verschrieben bekommen haben als jene mit mind. einem traditionellen Risikofaktor. Wenn man auf diese Verordnungspraxis adjustiert, ist die zu beobachtende Erhöhung der 30-Tages-Mortalität nicht mehr evident. Wenn auf Alter, Geschlecht, linksventrikulärer Ejektionsfraktion, Kreatinin und Blutdruck adjustiert wird, bleibt das Sterberisiko für die vermeintlichen Niedrigrisikopatienten hingegen weiterhin erhöht.

Die Studienautoren vermuten deshalb, dass eine suboptimale Pharmakotherapie zur erhöhten Mortalität dieser Patienten beigetragen hat. Laut ihnen bekräftigen die aktuellen Ergebnisse einmal mehr, wie wichtig es ist, in der frühen Post-STEMI-Phase eine evidenzbasierte Pharmakotherapie einzuleiten – „unabhängig von dem Risikostatus“.

Verstorben sind die Patienten ohne klassischen Risikofaktoren wahrscheinlich häufig an einer arrhythmischen Ursache. Davon gehen die australischen Mediziner aus, weil andere kardiovaskuläre Ereignisse wie Herzinfarkte, Schlaganfälle oder Hospitalisierungen wegen Herzinsuffizienz bei diesen Patienten nicht häufiger aufgetreten sind als bei jenen, die mind. einen traditionellen Risikofaktor aufwiesen.

Womöglich existierten unerkannte Risikofaktoren

Eine weitere Erklärung für die paradox erscheinenden Ergebnisse: Bei Patienten ohne klassische Risikofaktoren wurden andere „unterschwellige“ Risiken womöglich übersehen, also ihr Risikoprofil war nicht so niedrig, wie es auf den ersten Blick schien. Bestimmte Faktoren, welche die Entstehung einer Atherosklerose begünstigen, wurden im Rahmen des Registers beispielsweise gar nicht erfasst, wie die Höhe von Lipoprotein(a) oder auch psychosoziale Faktoren. Ebenfalls nicht dokumentiert wurde, wie sich der Risikostatus der Patienten über die Zeit verändert hat.

Darüber hinaus könnten sich die australischen Wissenschaftler vorstellen, dass bei den Patienten bestimmte Biomarker für die Entwicklung der Atherosklerose vorlagen, deren Bedeutung womöglich noch gar nicht bekannt ist. Diese gilt es ihrer Ansicht nach zu finden, damit solche Menschen gar nicht erst einen Herzinfarkt erleiden. Stichwort: individualisierte Risikostratifizierung.

Literatur

Figtree G et al. Mortality in STEMI patients without standard modifiable risk factors: a sex-disaggregated analysis of SWEDEHEART registry data. The Lancet 2021; DOI: https://doi.org/10.1016/S0140-6736(21)00272-5

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