Jobstress und Gratifikationskrisen verstärken Herzinfarktrisiko

Nicht nur eine hohe Arbeitsbelastung, sondern auch zu wenig Belohnung für die getane Arbeit gehen bei Männern mit einem deutlich erhöhten KHK-Risiko einher. Beide Faktoren addieren sich einer Studie zufolge. Frauen scheinen gegen solche Effekte hingegen immun zu sein. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Stress galt vor einigen Dekaden noch als Hauptursache von Herzinfarkten, inzwischen konzentrieren sich Ärztinnen und Ärzte doch lieber auf Blutdruck- und Blutfettwerte. Nichtdestotrotz ergeben Beobachtungsstudien immer wieder, dass viel Stress ein relevanter Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen ist, und dazu zählt bei Berufstätigen auch der Stress am Arbeitsplatz. Stress ist jedoch nicht gleich Stress, und so wäre es interessant zu wissen, welche Form von Stress dem Herzen am meisten zusetzt. Einer kanadischen Studie zufolge sind zum einen Belastung und Fremdbestimmtheit relevant, im gleichen Maße scheinen aber auch Gratifikationsdefizite das Risiko für eine KHK zu erhöhen. Stress nach zwei verschiedenen Modellen bestimmt Für die Analyse bezieht sich ein Team um Dr. Mathilde Lavigne-Robichaud vom Gesundheitsforschungszentrum in Sainte-Foy in Kanada auf die Kohorte PROQ (Prospective Quebec). Daran beteiligten sich rund 10.000 Büroangestellte ohne KHK. Alle wurden in den Jahren 1991–1993 in die Studie aufgenommen, um kardiovaskuläre Risikofaktoren besser zu erforschen. Psychosozialen Stress am Arbeitsplatz erfassten die Gesundheitsforschenden in den Jahren 1999–2001. In die Auswertung flossen Angaben zu rund 3100 Männern und 3300 Frauen ein, die zu diesem Zeitpunkt noch keine KHK aufwiesen und für die bis Ende 2018 Daten zu kardiovaskulären Ereignissen vorlagen. Für die Befragung nutzten die Forschenden zwei verschiedene Tools, basierend auf unterschiedlichen Stressmodellen. Der „Job Content Questionnaire“ fragt nach der Arbeitsbelastung und dem Entscheidungsspielraum – dieses Modell wurde in den 1970er-Jahren von den Sozialwissenschaftlern Robert Karasek und Tores Theorell entwickelt, basierend auf der Vorstellung, dass nicht nur das Arbeitsvolumen, sondern auch die Kontrolle über die geleistete Arbeit für das Stressempfinden relevant ist. Danach lassen sich Arbeitsplätze in vier Kategorien einteilen – von einer niedrigen Belastung mit geringer Arbeitsintensität und hohem Entscheidungsspielraum bis zu einer starken Belastung mit hoher Arbeitsintensität und hoher Fremdbestimmung. Das zweite Tool basierte auf dem Effort-Reward-Imbalance-Modell (ERI-Modell) des Schweizer Medizinsoziologen Johannes Siegrist: Es erklärt Stress als Ungleichgewicht zwischen dem Aufwand und der dafür erhaltenen Belohnung (Gehalt, Position, Unterstützung, Wertschätzung). Wird hier ein Defizit empfunden, kommt es dem Modell zufolge zur Gratifikationskrise mit Burnout, psychischen Störungen und körperlichen Beschwerden. Zu Beginn der Befragung waren die Beteiligten im Schnitt 45 Jahre alt, am Ende des Untersuchungszeitraums rund 63 Jahre. Etwa 15% der Männer sowie 20% der Frauen fielen in die ungünstigste Jobkategorie (hohe Belastung, geringe Kontrolle), jeweils ein Viertel befanden sich in einer Gratifikationskrise, auf etwa 8% der Männer und 10% der Frauen traf beides zu. Männer wiesen bei der Befragung weitaus häufiger als Frauen kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Rauchen, Hypertonie und Diabetes auf. Stressimmune Frauenherzen? Im Laufe der Nachbeobachtungsdauer von 18 Jahren traten 571 kardiale Ereignisse bei Männern und 265 bei Frauen auf – die Inzidenz war bei Männern folglich rund doppelt so hoch. Unter Berücksichtigung bekannter kardiovaskulärer Risikofaktoren ergab sich für Männer mit der stressigsten Jobkategorie eine signifikante Risikoerhöhung um 45% und bei einer Gratifikationskrise von 50% – verglichen mit völlig entspannt und zufrieden arbeitenden Männern. Traf beides zu, war das Risiko für Herzinfarkte und andere kardiale Ereignisse verdoppelt. Frauen zeigten hingegen weder statistisch noch numerisch einen Zusammenhang zwischen der Stressbelastung bei der Arbeit und kardialen Ereignissen, auch nicht bei einer Kombination beider Modelle. Entsprechend ließen sich Dosiseffekte auch nur bei Männern nachweisen: Je höher das Stressempfinden und je stärker das empfundene Gratifikationsdefizit, umso höher die KHK-Inzidenz. Weshalb viel Stress bei der Arbeit Frauenherzen weniger auszumachen scheint, bleibt unklar. Eine Erklärung könnte sein, dass Frauen durch ihre Östrogene besser geschützt sind und sich die negativen Effekte von Stress erst später zeigen. Möglicherweise identifizieren sich Frauen auch weniger stark mit ihrem Job, vor allem, wenn sie Teilzeit arbeiten. So war die wöchentliche Arbeitszeit bei Frauen etwas, wenn auch nicht wesentlich geringer als die von Männern (35 versus 37 Stunden). Das Wichtigste in Kürze Frage: Wie wirken sich ein stressiger Job und Gratifikationsdefizite auf das KHK-Risiko aus? Antwort: Beide Faktoren erhöhen das Risiko bei Männern jeweils um die Hälfte und zusammen um das Doppelte. Für Frauen ergibt sich dagegen kein klarer Zusammenhang. Bedeutung: Viel Stress und eine geringe Belohnung sind bei Männern unabhängige und synergistisch wirkende KHK-Risikofaktoren, nicht aber bei Frauen. Einschränkung: Daten beruhen auf relativ wenigen KHK-Erkrankungen, Stressbelastung nur ein einziges Mal abgefragt.

Springer Medizin

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