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Erschienen in: Monatsschrift Kinderheilkunde 12/2019

Open Access 20.09.2019 | Kontrazeption | Leitthema

Kontrazeptionsbeginn in der Pubertät – wann, wie, womit?

verfasst von: Dr. med. Bettina Böttcher, MA

Erschienen in: Monatsschrift Kinderheilkunde | Ausgabe 12/2019

Zusammenfassung

Während der Pubertät stellen sich Mädchen in der Praxis oft mit Fragen bezüglich und dem Wunsch nach einer Verhütung vor. Diese Beratung ist eine besondere Herausforderung, da gerade in der Adoleszenz die zuverlässige Kontrazeption zur Vermeidung ungewollter Schwangerschaften sehr wichtig ist und die Jugendlichen durch Nebenwirkungen der Kontrazeptiva nicht verunsichert werden sollten. Dennoch ist es aus medizinischer Sicht obligat, Kontraindikationen wie beispielsweise ein erhöhtes Thromboserisiko oder Wechselwirkungen mit einer bestehenden Medikation abzuklären, um dann gemeinsam mit der Jugendlichen ein geeignetes Kontrazeptivum auszuwählen. Neben der am häufigsten verwendeten Verhütungsmethode in der Adoleszenz – kombinierte Hormonpräparate, auch ggf. im Langzyklus – sollten die Mädchen umfassend über Barrieremethoden, insbesondere über den zusätzlichen Gebrauch von Kondomen zum Schutz vor Geschlechtskrankheiten, über Notfallkontrazeption und über lang wirksame kontrazeptive Maßnahmen informiert werden.
Hinweise

Redaktion

R. Kerbl, Leoben
Erste Fragen, Gedanken sowie auch Gerüchte zu Sexualität und Verhütung werden von Mädchen häufig in ihrem Freundeskreis diskutiert. Aufklärungsarbeit erfolgt in den Schulen oder über Initiativen durch Kliniken oder Medizinstudierende. Die Aufklärung durch Kinder- und Frauenärzte ist dadurch jedoch nicht von untergeordneter Bedeutung, da gerade die Beratung über Fragen der Verhütung sehr komplex sein kann.

Hintergrund

Die Verhütungsaufklärung sollte v. a. dazu dienen, ungewollte Teenager-Schwangerschaften zu vermeiden. Auch der Schutz vor sexuell übertragbaren Erkrankungen ist bei der Verhütungsberatung relevant. Es sollte allerdings vermieden werden, die Mädchen zu verunsichern, um ihnen die Entwicklung einer selbstbestimmten Sexualität zu ermöglichen. Die Einwilligungsfähigkeit bei minderjährigen Mädchen ist zu beachten.
Die Wichtigkeit einer umfassenden Aufklärung über verschiedene kontrazeptive Methoden wurde in einer aktuellen deutschen Umfragestudie demonstriert: Die befragten Mädchen (n = 2699) kannten etwa 5 verschiedene Verhütungsmethoden zumindest dem Namen nach. Hinsichtlich der Wirkweise bestanden große Wissensdefizite. In dieser Studie wurde deutlich, dass die Mädchen gern mehr über Alternativen zur Pille, die die meisten von ihnen verwendeten (86 %), und über Langzeitverhütungsmethoden („long acting reversible contraceptives“, LARC) erfahren würden. Die ebenso befragten Gynäkologen (n = 1089) unterschätzten den Informationsbedarf und das diesbezügliche Interesse der Mädchen deutlich [22].

Voraussetzungen

Beim ersten Besuch beim Frauenarzt/‑ärztin sollte das Mädchen zunächst darauf hingewiesen werden, dass bei diesem Treffen lediglich eine Beratung erfolgen wird und eine gynäkologische Untersuchung erst bei Folgebesuchen erforderlich sein wird. Wenn das Mädchen bei der ersten Vorstellung bereits die Untersuchung wünscht oder abklärungsbedürftige Befunde in der Anamnese vorliegen, sollte die Untersuchung auf dem gynäkologischen Stuhl durchgeführt werden. Eine Ultraschalluntersuchung zur Beurteilung des Uterus und der Ovarien erfolgt von vaginal, sobald das Mädchen zum ersten Mal Geschlechtsverkehr hatte. Vorher lässt sich der Situs bei gefüllter Harnblase meist ausreichend mithilfe der abdominalen Ultraschalldiagnostik beurteilen. Abgesehen von der üblichen Anamnese sollte eine Zyklusanamnese mit Zeitpunkt der ersten Blutung, Häufigkeit, Stärke und jeweiliger Dauer der Blutungen sowie Schmerzen vor und bei der Regelblutung erhoben werden. Von Interesse sind ebenfalls medizinische Indikationen für hormonelle Kontrazeptiva wie Akne, Hirsutismus, Dysmenorrhö oder starke Blutungen (Hypermenorrhö). Medikamentenanwendungen, gerade im Hinblick auf Wechselwirkungen wie beispielsweise Antiepileptika oder Immunsuppressiva, sollten erfasst werden. Kontraindikationen für eine hormonelle kombinierte Kontrazeption insbesondere Thrombosen und Lungenembolien in der Eigen- und Familienanamnese oder auch Nikotinabusus sind von wesentlicher Bedeutung für die folgende Beratung und Empfehlung. Wenn das Mädchen die Familienanamnese nicht kennt, sollte sie aufgefordert werden, sich bei ihren Eltern zu erkundigen und den Arzt/die Ärztin zu informieren, ob Thrombosen oder Lungenembolie in der Familie vorkamen. Absolute Kontraindikationen für die Verordnung von Kombinationspräparaten stellen thrombembolische Erkrankungen, nichttherapierte arterielle Hypertonie, akute und chronisch progrediente Lebererkrankungen, Störungen der Gallensekretion, hämodynamisch wirksame Herzerkrankungen sowie – bei Adoleszentinnen eher seltenen – Mamma- und Endometriumkarzinom dar [4].
Neben der üblichen Eigen- und Familienanamnese soll eine Zyklusanamnese erhoben werden
Eine gute Hilfestellung für die Beurteilung von Begleiterkrankungen und Kontraindikationen bieten die Empfehlungen der WHO und der Centers for Disease Control and Prevention (CDC; [7, 29]). Eine kostenlos verfügbare App ermöglicht dem Arzt oder der Ärztin das rasche Nachschlagen der jeweiligen Erkrankung mit Beurteilung der verschiedenen Verhütungsmethoden.
Bei der Erstvorstellung werden neben einer üblichen körperlichen Untersuchung mit Bestimmung der Tanner-Stadien [11] die Erhebung des Body-Mass-Index und die Messung des Blutdrucks empfohlen.
Beim Beratungsgespräch sollten die verschiedenen kontrazeptiven Methoden, der Schutz vor sexuell übertragbaren Erkrankungen, ggf. die Impfung gegen humane Papillomaviren (HPV) und die Möglichkeiten einer Notfallkontrazeption diskutiert werden. Eine erste Kontrolle sollte 3 Monate nach Beginn einer hormonellen Kontrazeption erfolgen [8], um die Verträglichkeit, Nebenwirkungen und die Anwendung zu überprüfen. Im Verlauf sollte auch die erste gynäkologische Untersuchung mit Untersuchung der Brust und des Genitales geplant werden.

Welche Verhütungsmittel gibt es?

Hormonelle Verhütungsmittel

Hormonelle Verhütungsmittel können nach Art und Dosis der verwendeten Hormone oder nach Darreichungsform unterschieden werden. Im Folgenden werden die kombinierten hormonellen Kontrazeptiva getrennt von den reinen Gestagenpräparaten betrachtet.

Kombinierte hormonelle Kontrazeptiva

Orale Kombinationspräparate.
Kombinierte hormonelle Kontrazeptiva bestehen aus einem Östrogen- und einem Gestagenanteil. Orale Kombinationspräparate stehen mit 15–35 µg Ethinylestradiol (EE) zur Verfügung und stellen die derzeit beliebteste Form der Verhütung bei Adoleszentinnen dar. Die regelmäßige tägliche Einnahme und das Verhalten bei Vergessen einer Pille sollten den Mädchen erklärt werden. Durchschnittlich vergessen Adoleszentinnen eine bis 2 Pillen innerhalb von 3 Monaten [22]. Bei korrekter Einnahme sind orale Kombinationspräparate mit einem Pearl-Index von 0,2–0,7 zur Vermeidung einer Schwangerschaft sehr effektiv (Tab. 1).
Tab. 1
Inzidenz unerwünschter Schwangerschaften im ersten Anwendungsjahr pro 100 Frauen bei idealer Anwendung (Pearl-Index) und typischer Anwendung. (Nach [8])
Methode
Ideale Anwendung
Typische Anwendung
Orale hormonelle Kontrazeption
0,3
9
Kontrazeptionspflaster
0,3
9
Vaginaler Ring
0,3
9
DMPA
0,2
6
Implantat
0,05
0,05
Hormonspirale
0,2
0,2
Kupferspirale
0,6
0,8
Kondom
2
18
Coitus interruptus
4
22
Ohne Verhütung
85
85
Durchschnittlich vergessen Adoleszentinnen eine bis 2 Pillen innerhalb von 3 Monaten
Außerdem bietet es sich an, die „nichtkontrazeptiven Benefits“ bei der Auswahl des jeweiligen Gestagens zu berücksichtigen. Kombinationspräparate können einen positiven Effekt auf unreine Haut, Hirsutismus und Regelschmerzen (Dysmenorrhö) haben. Hierfür werden Pillen mit einem antiandrogen wirksamen Gestagen, wie z. B. Dienogest, Chlormadinonacetat oder Drospirenon, ausgewählt. Diese bieten sich bei Patientinnen an, die an dem sog. polyzystischen Ovarsyndrom (PCOS) leiden, das durch klinische oder laborchemische Androgenisierungsmerkmale und durch verlängerte Abstände zwischen den Regelblutungen (Oligomenorrhö) bis hin zum Ausbleiben der Blutung (Amenorrhö) gekennzeichnet ist.
Weitere Zusatznutzen sind der positive Effekt auf Dysmenorrhö [10] und die Stabilisierung des Zyklus. Die Anwendung der Pille im Langzyklus oder als Langzeiteinnahme, also die kontinuierliche Einnahme der Pille ohne Pausen, in denen eine Abbruchblutung auftritt, wird bei Dysmenorrhö oder auch bei zyklusabhängigen Beschwerden wie Endometriose, dem prämenstruellen Syndrom oder zyklusabhängiger Migräne ohne Aura empfohlen.
Seit einigen Jahren sind 2 Präparate mit dem sog. natürlichen Östrogen Estradiolvalerat (E2)/Estradiol statt EE auf dem Markt. Die kontrazeptive Sicherheit ist mit den herkömmlichen Präparaten vergleichbar. Auch das Nebenwirkungsspektrum ist vermutlich ähnlich, wobei E2 einen geringeren Effekt auf den Lebermetabolismus und thrombophile Faktoren zu haben scheint. Dies ist jedoch nicht eindeutig bewiesen [15].
Alternative Darreichungsformen.
Alternative Darreichungsformen zur oralen Einnahme eines Kombinationspräparats sind der vaginale Ring und das Pflaster. Beide sind allerdings nicht geeignet, wenn eine antiandrogene Partialwirkung bei Akne oder Hirsutismus gewünscht wird.
Vaginaler Ring. Aus dem vaginalen Ring, der aus flexiblem Silikon besteht und einen Durchmesser von etwa 5 cm aufweist, werden täglich 15 µg EE und 120 µg Etonogestrel freigesetzt. Nach 3 Wochen wird der Ring entfernt; es tritt eine Abbruchblutung wie bei der Pille ein. Nach einer Woche Pause wird ein neuer Ring eingelegt, auch wenn die Blutung noch andauern sollte. Eine Anwendung im Langzyklus ist „off label“ möglich. Hierbei wird nach 3 Wochen ohne anschließende Pause direkt ein neuer Ring eingelegt. Der Ring kann kurzfristig für maximal 3 h entfernt und nach Reinigung mit Wasser wiedereingesetzt werden, wenn er beim Geschlechtsverkehr stören sollte. Obwohl der Ring von etwa einem Drittel der Männer und Frauen beim Geschlechtsverkehr gespürt wird, stört er nur wenige [26].
Wegen der geringen Östrogendosis ist der Ring bei Mädchen unter 16 Jahren zurückhaltend einzusetzen
Der Ring ist eine gute Option, wenn das Mädchen nicht jeden Tag an die Pilleneinnahme denken möchte. Andererseits muss zur vaginalen Einlage des Rings eine gewisse Hemmschwelle überwunden werden. Wenn Mädchen regelmäßig Tampons bei der Blutung verwenden, wird ihnen die Einlage des Rings auch gelingen. Aufgrund der geringen Östrogendosis sollte der Ring bei Mädchen unter 16 Jahren zurückhaltend eingesetzt werden, da der Effekt auf den Knochenstoffwechsel nicht abschließend geklärt ist [21].
Pflaster. Eine weitere Applikationsart ist das Pflaster, das Norelgestromin bzw. Gestoden (derzeit nicht in Deutschland erhältlich) und EE abgibt [5]. Es kann auf die Außenseite des Oberarms, das Abdomen oder das Gesäß geklebt werden. Der wöchentliche Wechsel des Pflasters ist erforderlich. Nebenwirkungen sind mit der Kombinationspille vergleichbar, wobei lokale Effekte wie dislozierte Pflaster, Hautirritationen, Hyperpigmentierung oder eine Kontaktdermatitis [8] hinzukommen können. Bei ausgeprägter Adipositas ist das Pflaster nicht geeignet [33].

Reine Gestagenpräparate

Reine Gestagenpräparate stellen auch bei Mädchen eine Alternative zu östrogenhaltigen Kombinationspräparaten dar. Eine androgene Partialwirkung ist für junge Mädchen oft nicht akzeptabel. Daher werden reine Gestagenpräparate zumeist bei Kontraindikationen gegen Östrogene eingesetzt.
Östrogenfreie Pille.
Die orale östrogenfreie Pille enthält 75 µg Desogestrel. Die kontrazeptive Sicherheit ist mit Kombinationspräparaten vergleichbar. Allerdings ist die Zyklusstabilität geringer.
Hormonimplantat.
Das Hormonimplantat ist ein Kunststoffstäbchen mit Etonogestrel und wird subdermal im Oberarmfettgewebe platziert (Abb. 1). Ein Wechsel ist nach 3 Jahren Liegedauer empfohlen. Es können Hautunreinheiten und Zwischenblutungen, die der häufigste Grund für die Beendigung der Anwendung darstellen [8], auftreten. Diese Verhütungsart wird v. a. Mädchen mit mangelnder Compliance empfohlen oder wenn Kontraindikationen gegen Östrogene bestehen.
Dreimonatsspritze.
Die Dreimonatsspritze wird i.m. injiziert und enthält entweder 150 mg oder 104 mg (auch s.c. möglich) Medroxyprogesteronacetat oder 200 mg Norethisteronenantat. Trotz guter kontrazeptiver Sicherheit sollten diese Präparate bei Adoleszentinnen nur in Ausnahmefällen wie z. B. sehr schlechter Compliance eingesetzt werden, da ein negativer Effekt auf die Knochendichte anzunehmen ist [8].
Hormonspirale.
Die Hormonspirale hat bei Adoleszentinnen im deutschsprachigen Raum eine – zu Unrecht – noch mangelnde Akzeptanz (Abb. 2). Mittlerweile sind jedoch auch kleinere Spiralen mit geringerem Gestagengehalt auf dem Markt. Zahlreiche Studien v. a. aus dem englischsprachigen Raum zeigen, dass die Komplikationsrate von Spiralen bei Adoleszentinnen sich nicht von der bei erwachsenen Frauen unterscheidet [23]. Je nach Präparat beträgt die zugelassene Liegedauer 3 oder 5 Jahre. Zwischenblutungen können in den ersten 3 Monaten auftreten, sistieren dann jedoch meist. Gerade bei Dysmenorrhö ist die Hormonspirale eine gute Option [2]. Es können vermehrt Ovarialzysten auftreten, die sich spontan zurückbilden [12].

Nichthormonelle Verhütungsmethoden

„Short-acting reversible contraceptives“

Bei den nichthormonellen Verhütungsmethoden muss selbstverständlich an erster Stelle die Anwendung eines Kondoms genannt werden, das zusätzlich zur Verhütung Schutz vor sexuell übertragbaren Erkrankungen bietet. Somit sollte das Kondom gerade bei Adoleszentinnen als weiterer Schutz zu einer hormonellen Verhütungsmethode empfohlen werden. Bei alleiniger Anwendung ist der schlechtere Pearl-Index v. a. auf Anwendungsfehler zurückzuführen.
Das Kondom ist zusätzlich als Schutz vor sexuell übertragbaren Erkrankungen zu empfehlen
Andere nichthormonelle Verhütungsmethoden wie ein Diaphragma, Spermizide, natürliche Methoden, z. B. die tägliche Messung der Temperatur und die Beurteilung des Zervixschleims, sind bei Adoleszentinnen zur sicheren Verhütung nicht zu empfehlen.

„Long-acting reversible contraceptives“

Weitere intrauterine nichthormonelle Verhütungsmöglichkeiten sind die Kupfer- oder Goldspirale, die Kupferkette oder der Kupferball (Abb. 3). Sämtliche dieser Methoden gehören zu den sog. Langzeitverhütungsmitteln (LARC). Sie sind insbesondere für Mädchen mit Kontraindikationen gegen Hormonpräparate indiziert, jedoch bei starken Blutungen und Regelschmerzen nicht geeignet.
Kupferspiralen gibt es mit unterschiedlichem Kupfergehalt und davon abhängiger Liegedauer zwischen 3 und 5 Jahren. Der Kupferball besteht aus 17 aneinandergereihten Perlen und kann für 5 Jahre belassen werden. Die Kupferkette ist aus 4 bis 6 Kupferhülsen aufgebaut, die mithilfe einer Nadel und eines kleinen Knotens im Myometrium der Gebärmutter verankert werden, und kann ebenfalls für 5 Jahre intrauterin verbleiben. Bei der Goldspirale ist ein Kupferdraht um den Goldkern herumgewickelt. Der Goldkern soll die Beständigkeit und die Haltbarkeit im Vergleich zur reinen Kupferspirale erhöhen. Bei allen intrauterinen Verhütungsmethoden besteht das Risiko der Expulsion [24].

Welche Sorgen haben Mädchen hinsichtlich der Pille?

Im Folgenden werden häufige – durchaus berechtigte – Bedenken der Mädchen hinsichtlich der Pille behandelt (Abb. 4) und mit aktuellen Daten belegt.

„Die Pille macht dick“

Eine ungewünschte Gewichtszunahme unter der Pille ist eine häufig geäußerte Sorge. Die Pille kann durchaus zu Wassereinlagerungen führen. Außerdem können bestimmte Gestagene appetitanregend wirken. In Abhängigkeit vom gewählten Gestagenanteil sind Gewichtszunahmen in der Größenordnung von 1–3 kg beschrieben – Levonorgestrel und Drospirenon verursachen weniger häufig Gewichtszunahmen als Desogestrel [35]. Nach 10-jähriger Anwendung von Depot-Medroxyprogestronacetat (DMPA) zeigte sich eine signifikant größere Gewichtszunahme, verglichen mit der Hormonspirale. Allerdings fand sich im Vergleich zum Ausgangswert auch bei Anwenderinnen nichthormoneller Verhütungsmethoden nach 10 Jahren eine signifikante Gewichtszunahme [19].

„Nach der Pille kann man nicht mehr schwanger werden“

Der verzögerte Eintritt einer Schwangerschaft nach Einnahme der Pille ist keine seltene Sorge. Die Datenlage bestätigt diese Sorge nicht; Frauen, die die Pille wegen eines Kinderwunsches absetzen, werden vergleichbar schnell schwanger wie Frauen, die hormonfreie Barrieremethoden verwendeten [17, 31]. Dennoch kann nach jahrelanger Einnahme der Pille der Eindruck stehen, dass die Fruchtbarkeit vermindert ist, wenn durch die Pille Zyklusunregelmäßigkeiten „verschleiert“ und durch die Blutung in der Pillenpause ein regelmäßiger Zyklus vorgetäuscht wurde. Die pathologische Ursache wie beispielsweise eine Oligomenorrhö bei einem PCOS oder eine sekundäre Amenorrhö bei einer hypothalamischen Ovarialinsuffzienz war dennoch vorhanden, sie kam jedoch nicht zum Vorschein. Bei Depotpräparaten hält die hormonelle Wirkung oft wesentlich länger an, sodass beispielsweise unter DMPA-Anwendung ein Schwangerschaftseintritt verzögert ist [4].

„Die Pille verursacht Krebs“

Das Karzinomrisiko bei Einnahme der Pille wurde in zahlreichen Studien untersucht und diskutiert. In der Beratungssituation kann den Mädchen vereinfacht erklärt werden, dass das Risiko für ein Zervixkarzinom – meist mit Zusatzfaktoren wie einer HPV-Infektion und/oder Nikotinabusus – unter Einnahme der Pille im Vergleich zu Nichtanwenderinnen erhöht ist. Ein leicht bis nichterhöhtes Mammakarzinomrisiko wird diskutiert [4, 30].
Hingegen ist das Risiko für ein Kolon‑, Endometrium- und Ovarialkarzinom deutlich erniedrigt [13, 30].

„Die Pille macht Thrombosen“

Eine Aufklärung über die Tatsache, dass Kombinationspräparate mit einem erhöhten Thrombose- und Lungenembolierisiko assoziiert sind, ist obligat. Ein Thrombophiliescreening sollte zum Ausschluss einer hereditären Thromboseneigung erfolgen, wenn die Eigen- und/oder Familienanamnese auffällig ist. Hierbei sollten eine Aktivierte-Protein-C(APC)-Resistenz, Faktor-V-Leiden-Mutation, Antithrombin III, Protein C und S, Prothrombin- und Homocysteinpolymorphismen und MTHFR-Mutationen unter Beachtung des Gendiagnostikgesetzes abgeklärt werden. Rauchen erhöht das Risiko weiterhin.
Bei vorliegenden Risikofaktoren sollten östrogenfreie Präparate – die reine Gestagenpille oder die Hormonspirale – oder nichthormonelle Verhütungsmethoden empfohlen werden. Unter Einnahme kombinierter hormoneller Kontrazeptiva ist das Thromboserisiko bei erwachsenen Frauen um den Faktor 4–6 erhöht. Die verschiedenen Gestagene unterscheiden sich in ihrem thrombophilen Profil: Levonorgestrel ist im Vergleich zu Desogestrel, Gestoden und Drospirenon mit einem geringeren Thromboserisiko assoziiert [16].

„Von der Pille wird man depressiv“

Seit Anfang 2019 sind Depressionen und ein Risiko für einen Suizid als Nebenwirkungen im Beipackzettel für kombinierte Präparate aufgenommen. Hintergrund hierfür sind 2 Studien aus dem dänischen Bevölkerungsregister, die v. a. im ersten Jahr der Anwendung und insbesondere bei Adoleszentinnen ein signifikant erhöhtes Risiko für Depressionen, Suizidversuche und Suizide unter Einnahme von kombinierten und von reinen Gestagenpräparaten zeigen [27, 28]. Die Datenlage zur Assoziation hormoneller Kontrazeptiva und Depressionen ist widersprüchlich [6, 32].
Bei Anwendung der Pille ist über das mögliche Auftreten einer Depression zu informieren
Mädchen und Frauen sollten bei Anwendung der Pille über das mögliche Auftreten einer Depression und die dazugehörigen Symptome und Anzeichen aufgeklärt werden. Bei Auffälligkeiten wird empfohlen, den Arzt/die Ärztin zu informieren und ggf. einen Präparatewechsel zu besprechen [3].

„Davon bekommt man schlechte Knochen“

Das Erreichen der maximalen Knochenmasse bis zum ungefähr 25. Lebensjahr und der Einfluss hormoneller Kontrazeptiva gerieten in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus. Eine signifikant geringere Knochenmasse wurde v. a. für DMPA im Vergleich zu Kontrollen und oralen Präparaten gezeigt [9]. Inwiefern dieser Effekt reversibel ist, wird diskutiert [14]. Insgesamt gilt, dass für die Knochengesundheit bei jungen Mädchen ein höherer EE-Anteil von 30 µg in der Pille sinnvoll ist [1, 34]. Bei Mädchen mit Anorexia nervosa ist entsprechend neuerer Daten für die Knochengesundheit eine transdermale Östrogensubstitution besser geeignet als EE [18].

Fazit für die Praxis

  • Theoretisch ist nach der ersten Regelblutung und bei bereits stattgefundenem oder der „Vorbereitung“ des ersten Geschlechtsverkehrs der Beginn einer hormonellen Kontrazeption möglich und zu empfehlen; oft wird die Pilleneinnahme etwa 2 bis 3 Jahre nach der ersten Regelblutung begonnen.
  • Die Aufklärung sollte verschiedene Methoden der Kontrazeption mit Wirkungen und Nebenwirkungen, den zusätzlichen Schutz vor Geschlechtskrankheiten durch Kondome sowie verschiedene andere Aspekte wie Impfung gegen humane Papillomaviren (HPV) oder Notfallkontrazeption beinhalten.
  • Wenn ein hormonelles Kombinationspräparat gewählt wird, sollte die Ethinylestradioldosis aufgrund des Erreichens der maximalen Knochenmasse 30 µg betragen. Der Gestagenanteil wird entsprechend dem sog. nichtkontrazeptiven Benefit wie z. B. bei Vorliegen von Akne oder Regelschmerzen ausgewählt. Eine Kontrolle zur Überprüfung der Verträglichkeit sollte nach 3 Monaten erfolgen.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

B. Böttcher hat finanzielle Unterstützung für Kongress- und Reisekosten von PDC Biotech und IBSA/Astropharma sowie für Berater- und Vortragstätigkeiten von Bayer, Jenapharm, ubc und MSD erhalten.
Für diesen Beitrag wurden von der Autorin keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access. Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de) veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.

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Literatur
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Zurück zum Zitat Berufsverband der Frauenärzte e. V., Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. (2019) Pressemitteilung. Selbstmord durch Pille – das ist falsch. Frauenarzt 60(2):88–89 Berufsverband der Frauenärzte e. V., Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. (2019) Pressemitteilung. Selbstmord durch Pille – das ist falsch. Frauenarzt 60(2):88–89
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Titel
Kontrazeptionsbeginn in der Pubertät – wann, wie, womit?
verfasst von
Dr. med. Bettina Böttcher, MA
Publikationsdatum
20.09.2019
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Monatsschrift Kinderheilkunde / Ausgabe 12/2019
Print ISSN: 0026-9298
Elektronische ISSN: 1433-0474
DOI
https://doi.org/10.1007/s00112-019-00775-0

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