Übersehene Verletzungen („missed injuries“, MI) bei mehrfach verletzten Kindern und Jugendlichen stellen trotz der Verfügbarkeit von Standarduntersuchungsprotokollen und bildgebenden Verfahren eine große Herausforderung in der kindlichen Traumaversorgung dar. In der ersten Versorgungsphase ist das „primary survey“ zur Detektion und zur Behandlung von lebensbedrohlichen Verletzungen essenziell wichtig und gut etabliert. Nach der Stabilisierung des Patienten und der ersten Phase der Behandlung sollten ein „secondary survey“ und „tertiary survey“ erfolgen, um zunächst übersehene Verletzungen im weiteren Verlauf zu erkennen und längerfristige Folgen zu vermeiden. Der überwiegende Anteil der MI betrifft Kopf‑, Thorax- und Extremitätenverletzungen. Risikofaktoren für übersehene Verletzungen sind ein jüngeres Patientenalter, ein vorliegendes Polytrauma, ein höherer Injury Severity Score (ISS), ein niedrigerer Wert auf der Glasgow Coma Scale (GCS) und ein verlängerter Intensivstationsaufenthalt. Missed injuries werden häufig bei schwer- bzw. mehrfach verletzten Kindern beschrieben, aber auch bei Zuverlegungen aus anderen Häusern zeigt sich ein hoher Anteil an übersehenen Verletzungen. Anhand von 2 Fallbeispielen aus einem kindertraumatologischen Zentrum an einem Haus der Maximalversorgung und einer Literaturanalyse werden typische MI analysiert. Die Fallbeispiele unterstreichen anschaulich, dass auch bei dieser Patientengruppe das standardisierte Behandlungsschema beibehalten werden muss. Es empfiehlt sich, eine „standard operating procedure“ (SOP) mit entsprechendem Risikoscore zu entwickeln, in der das Tertiary survey, die Zeitpunkte der Nachuntersuchungen und die entsprechenden (fach-) spezifischen Zuständigkeiten geregelt sind.