Die Gene sind keine Ausrede bei einer Adipositastherapie

Die Gene haben offenbar keinen entscheidenden Einfluss darauf, ob Maßnahmen zur Gewichtsreduktion bei adipösen Kindern und Jugendlichen fruchten oder nicht. Einer Münchner Studie zufolge lohnen sich die Lebensstilinterventionen unabhängig von der genetischen Veranlagung. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Studien haben gezeigt, dass eine Adipositas zu 30–70% durch die genetische Prägung beeinflusst wird. In genomweiten Assoziationsstudien (GWAS) wurden bei Erwachsenen bereits über 90 BMI-assoziierte Genvarianten entdeckt. Dabei hat der Austausch eines einzelnen DNA-Basenpaares (single nucleotide polymorphism, SNP) Auswirkungen auf die Gewichtsregulation. Für einige der Genvarianten konnte ein Zusammenhang mit der kindlichen Adipositas bestätigt werden. Inwieweit diese Veränderungen Einfluss auf den Erfolg von Maßnahmen zur Gewichtsreduktion bei Kindern und Jugendlichen haben, darüber existieren widersprüchliche Studienergebnisse. Diese beziehen sich zudem im Wesentlichen auf nur zwei Genloci (Adipositas-Risikogen FTO, Fat mass and obesity-associated protein, und MC4R, Melanocortin-4-Rezeptor). In der LOGIC(Long-term effects of a lifestyle intervention in Obesity and Genetic Influence in Children)-Studie haben Melanie Heitkamp und Kollegen von der Technischen Universität München nun untersucht, inwieweit genetische Faktoren und der Lebensstil mit dem Therapieerfolg bei Kindern und Jugendlichen nach einer stationären Adipositastherapie in Zusammenhang stehen. Das Interesse der Studienautoren galt vor allem auch der Frage, ob sich durch solche Erkenntnisse der Interventionserfolg vorhersagen lässt. Wäre dies der Fall, könnte man im Vorfeld herausfinden, welche Kinder auf eine intensive Lebensstilintervention ansprechen und bei welchen man sich besser gleich in Richtung Pharmakotherapie oder Chirurgie orientieren sollte. Einfluss von nur fünf von 56 Risikogenen nachgewiesen In die Studie eingeschlossen wurden 1429 übergewichtige oder adipöse Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 19 Jahren, die an einem standardisierten stationären vier- bis sechswöchigen Lebensstilinterventionsprogramm in einem deutschen Reha-Zentrum teilnahmen. Zu den Maßnahmen gehörten tägliche körperliche Aktivität, eine kalorienreduzierte Ernährung sowie Verhaltenstherapie. Bei 1198 Studienteilnehmern wurde das Genom untersucht. Während der Intervention verloren die Teilnehmer durchschnittlich 8,7 kg, ihr BMI reduzierte sich um 3,3 kg/m2 gegenüber dem Ausgangswert. Unter den 56 untersuchten Genloci fanden Heitkamp und Kollegen auf den Chromosomen 6, 9, 15, 17 und 21 fünf SNP, die offenbar mit der Gewichtsreduktion in Zusammenhang standen, d. h. signifikant von den Resultaten der Vergleichsgruppen ohne den entsprechenden Basenaustausch abwichen. Allerdings waren die Unterschiede gering: Gegenüber den Kindern und Jugendlichen ohne Risikoallel verloren sie 0,42 bzw. 0,35 kg weniger, während bei drei weiteren Genvarianten das Gewicht stärker als in der Vergleichsgruppe sank (um 0,65, 0,45 und 0,56 kg). Zwischen denen am häufigsten im Hinblick auf die Adipositas untersuchten Genloci MC4R, TMEM-18 bzw. FTO und dem Gewichtsverlust konnte in dieser Studie kein Zusammenhang festgestellt werden. Training und Diät lohnen sich für alle „Die Ergebnisse der Studie zeigen“, so Heitkamp und Kollegen, „dass Adipositas-assoziierte Gene für den Therapieerfolg übergewichtiger und adipöser Kinder und Jugendlicher offenbar eine eher untergeordnete Rolle spielen.“ In künftigen Studien müsse der Einfluss weiterer Gene auf die Gewichtsreduktion untersucht werden. Aktuell sollte bei der Adipositastherapie der Fokus auf Bewegung, kalorienreduzierter Ernährung und verhaltenstherapeutischen Ansätzen liegen. In einem Editorial schreiben auch Marie-France Hivert und Ann Chen Wu, Boston, dass die in der Studie identifizierten fünf Genloci möglicherweise zu einer Präzisierung der Adipositastherapie bei Kindern beitragen könnten, dass diese Ergebnisse aber zunächst der Bestätigung durch weitere Studien bedürften. Auch müsse die Bedeutung der Resultate in anderen Personengruppen wie etwa ambulanten Patienten oder anderen Ethnien untersucht werden. Zudem seien die Unterschiede gegenüber Patienten ohne Genveränderungen relativ gering. Eine wichtige Erkenntnis aus dieser Studie sei, so Hivert und Wu, die Patienten daran zu erinnern, dass sie ihren Genen nicht hilflos ausgeliefert sind. Lebensstilinterventionen würden sich in jedem Fall lohnen, und bei Menschen mit Risikogenen für Übergewicht und Adipositas möglicherweise sogar erst recht. Das Wichtigste in Kürze Frage: Haben die Gene Einfluss auf den Erfolg der stationären Therapie zur Gewichtsreduktion bei übergewichtigen und adipösen Kindern? Antwort: Nur bei fünf der 56 untersuchten Genvarianten, die im Zusammenhang mit Gewichtsänderungen stehen, fand sich im Hinblick auf den Interventionserfolg ein signifikanter Unterschied zur Vergleichsgruppe ohne Genvariante. Bedeutung: In dieser Studie spielten die Gene eine eher untergeordnete Rolle für den Erfolg der Maßnahme. Entscheidender waren offenbar Umwelt-, Sozial- und Lebensstilfaktoren. Einschränkung: Es wurden nur stationäre Patienten untersucht. Zudem wurden nur 56 Genloci berücksichtigt, obwohl mittlerweile über 900 Genvarianten im Zusammenhang mit dem BMI bekannt sind.

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