Schwangere und Feten unterliegen natürlichen physiologischen und psychologischen Veränderungen [
2]. Äußere Einflüsse können in dieser sensiblen Zeit für beide unmittelbare wie auch lebenslange Folgen haben [
3]. Insbesondere die Folgen von Hitze und synergistische Effekte durch Luftverschmutzung wurden in zahlreichen Untersuchungen in Zusammenhang mit einem ungünstigen Schwangerschaftsverlauf gebracht [
4]. Der Umfang der Untersuchungen dieser Auswirkungen ist jedoch begrenzt, was einen Mangel an Leitlinien und Empfehlungen zur Klimaadaptation bei Schwangeren und Säuglingen nach sich zieht. Schwangere wurden erst vor wenigen Jahren als besonders gefährdete Gruppe in Bezug auf Umweltbelastungen wie Luftverschmutzung und extreme Hitze identifiziert [
5].
Besonders herausfordernd in der wissenschaftlichen Untersuchung der Effekte von Umwelteinflüssen ist die Heterogenität der Definition von Hitze- und Luftschadstoffexposition. Hitze kann entweder über die absolute oder relative Temperatur, mit oder ohne Einschluss der Luftfeuchtigkeit, definiert werden. Ebenso gibt es eine Vielzahl von Luftschadstoffen, wie Feinstaub (particulate matter “PM”) PM
2,5,, PM
10, NO
2, oder Ozon, die untersucht werden können. Relevant in der Betrachtung sind zudem Länge und Intensität der Exposition und der Zeitpunkt der Exposition in der Schwangerschaft oder Neugeborenen‑/Säuglingsperiode. Darüber hinaus ist es herausfordernd, experimentell in humanen Studien einen Ursache-Wirkung-Zusammenhang zwischen einer singulären Exposition (z. B. hohe Außentemperaturen) und einem Outcome (z. B. einer erhöhten Anzahl an Frühgeburten) zu belegen. Es ist allerdings möglich, Korrelationen bzw. Assoziationen festzustellen und somit Aussagen über Gruppen zu treffen, aber keine Vorhersagen oder Rückschlüsse über einzelne Individuen. Zudem müssen Rückschlüsse aus den Daten verschiedener Klimazonen gezogen werden, da insbesondere die Datenlage in Deutschland lückenhaft ist. Zuletzt wurden 58 „peer reviewed“ Beiträge in 2020/2021 und 50 in 2022 von Erstautor:innen aus Deutschland zu gesundheitlichen Themen in Bezug zur Klimakrise veröffentlicht, von denen unseres Wissens keine die Auswirkungen auf Schwangere oder Neugeborene thematisiert haben [
6].
Die Klimakrise: Schwangere im Fokus
Die Vulnerabilität von Schwangeren bezüglich Hitze und Luftverschmutzung ist auf physiologischen Anpassungen des Organismus auf die Schwangerschaft zurückzuführen, u. a. Anpassungen im Hormonhaushalt, Immunsystem und im kardiorespiratorischen System, die die Thermoregulation und den Umgang mit Hitze erschweren können sowie Effekte von Luftschadstoffen begünstigen können [
7]. Studien aus Ländern mit sehr heißen Durchschnittstemperaturen belegen eine Assoziation zwischen Hitze und Frühgeburtlichkeit, niedrigem Geburtsgewicht und höherem Risiko für Fehlgeburten [
8,
9]. Eine Metaanalyse, die 6 Studien aus Rom, Barcelona, Brisbane, Montreal, Alabama und Sabzevar inkludierte, ermittelte, dass die Wahrscheinlichkeit für eine Frühgeburt nach Hitzeexposition um das 1,16-Fache steigt [
10].
Trotz wachsender internationaler Datenlage gibt es wenige Studien zu Hitze und Schwangerschaftsoutcomes in Deutschland. Eine aktuelle Analyse von über 42.000 Geburten am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf zeigte, dass sowohl kurze, intensive Hitzeperioden bis 35 °C (1,45-faches Frühgeburtsrisiko) als auch längere Phasen mit bis zu 30 °C (1,20-faches Risiko) Frühgeburten begünstigen. Besonders anfällig waren Frauen in der 34.–37. SSW (Schwangerschaftswoche) und Frauen mit weiblichen Feten [
11]. Eine Analyse der Perinatalerhebung Thüringen (2014–2019) zeigte, dass Temperaturen über 30 °C über 5 Tage Frühgeburten vor der 29. und 34. SSW begünstigen [
12]. Verschiedene Studien in Deutschland bestätigen durch unterschiedliche Methoden an verschiedenen Standorten den Zusammenhang zwischen Hitze und Frühgeburten.
Zur Auswirkung von Luftverschmutzung auf Schwangerschaften gibt es in Deutschland wenig Daten. Die ESCAPE-Studie, basierend auf 14 Mutter-Kind-Kohorten aus 12 Ländern, zeigte ein erhöhtes Risiko für niedriges Geburtsgewicht (< 2500 g) bei höherer Exposition gegenüber PM
2.
5, PM
1₀, NO
2 und Verkehrsdichte. Eine Erhöhung von PM
2.
5 um 5 µg/m
3 steigerte das Risiko um das 1,18-Fache [
13].
Daten zu den Auswirkungen von Luftschadstoffen auf andere Schwangerschaftsoutcomes in Deutschland fehlen, doch internationale Studien zeigen auch ein erhöhtes Risiko für Früh- und Fehlgeburten [
14].
Die Klimakrise: Neugeborene und Säuglinge im Fokus
Neugeborene und Säuglinge sind aufgrund ihrer noch eingeschränkten Thermoregulation, u. a. durch eine geringere Schweißproduktion, einem ungünstigen Verhältnis von Körpermasse zu Körperoberfläche, einer höheren Stoffwechselrate, geringerem Blutvolumen und höherer Herzfrequenz, besonders anfällig gegenüber hitzebedingter Dehydratation, Elektrolytstörungen, Atemwegs- oder Nierenerkrankungen [
15]. Internationale Studien deuten darauf hin, dass Kleinkinder und insbesondere Säuglinge ein erhöhtes Mortalitätsrisiko während Hitzewellen aufweisen [
16]. Im Rekordsommer 2015 wurden in München mehr Kinder (einschließlich Säuglinge) und Jugendliche als in den Vorjahren ambulant und stationär wegen Hitzefolgen behandelt. Vermehrte Dehydratationsfälle und an Hitzetagen gab es auch 2017 und 2018 [
17].
Luftverschmutzung (maßgeblich durch fossile Brennstoffe) beeinträchtigt die Lungenfunktion bis ins Jugendalter [
18]. Säuglinge atmen relativ mehr bezogen auf ihr Körpergewicht als Erwachsene und sind stärker exponiert [
19]. Postnatale Feinstaubbelastung kann die Lungenfunktion einschränken, Atemwegsinfekte fördern und das Risiko für Hospitalisation mit Bronchiolitis erhöhen [
20‐
22]. Intrauterin kann sich Feinstaub im fetalen Gehirn ablagern und auch postnatal chronische Entzündungsprozesse und oxidativen Stress im Gehirn verursachen, infolgedessen die kognitive Entwicklung beeinflusst wird [
23,
24]. Eine aktuelle Studie aus Basel zeigte, dass erbliche Vorbelastung, Passivrauchen, hohe Luftverschmutzung und Infektionen bei Säuglingen für die spätere Entwicklung eines Asthmas prädisponieren [
25].
Klimakrisenbewältigung in der klinischen Praxis
Trotz der Empfehlung, Schwangere und Kinder als Risikogruppe zu berücksichtigen, fehlen evidenzbasierte Anpassungsmaßnahmen und deren Evaluation [
26,
27]. Das u. a. vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt:innen herausgegebene Hitzemanual [
28] enthält eine Liste an zusätzlichen Risikofaktoren unter Neugeborenen und Säuglingen. Deutschsprachige Empfehlungen für Schwangere und Kinder im ersten Lebensjahr fehlen weitgehend. Schutz- und Anpassungsmaßnahmen in der Kinderbetreuung sind unzureichend [
29], und der Informationsbedarf der Eltern wird von Kinderärzt:innen nicht ausreichend gedeckt, da Klimawandel und Gesundheit in der Pädiatrie wenig thematisiert werden [
30].
Ein Lösungsansatz ist die klimasensible Gesundheitsberatung, die klimawandelassoziierte Gesundheitsrisiken in der Gesundheitsförderung und -versorgung berücksichtigt und Strategien zur Anpassung und Prävention vermittelt [
31]. Nach ersten Entwicklungen in der Allgemeinmedizin gibt es nun auch erste Ansätze in Deutschland in der Pädiatrie [
32], Hebammenwissenschaft [
33] und Gynäkologie. Eine Pionierarbeit belegt positive Effekte: 15,5 % der Patient:innen in gynäkologischen Praxen hatten schon einmal eine klimaspezifisch medizinische Gesundheitsberatung, die zu einer höheren Wahrnehmung des eigenen Gesundheitsrisikos und größerer Bereitschaft zu klimafreundlicheren Lebensweisen führte [
34].
Eine populationsbasierte deutschen Querschnittsstudie zeigte das Interesse von Patient:innen (55,8 % der Befragten) an klimasensibler Gesundheitsberatung [
35]. Thematisch sprach sich eine Mehrheit für einen Beratungsfokus auf Schutzmaßnahmen von Klimawandel-assoziierten Gesundheitsrisiken aus.
Die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels in der Gynäkologie und Lösungsansätze zum Umgang mit ihnen werden im Positionspapier „Klimakrise – Was jetzt für Geburtshilfe und Frauengesundheit in Deutschland zu tun ist“ der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe und weiterer Verbände deutlich [
36].
Sozioökonomische Faktoren und politische Rahmenbedingungen
Gesundheitlichen Risiken werden maßgeblich von sozioökonomischen Faktoren beeinflusst. Dicht bebaute Innenstadtbezirke mit wenig Begrünung und Frischluftschneisen heizen sich stark auf, und wer zudem in einer schlecht isolierten Wohnung an einer stark befahrenen Straße wohnt, ist einer Mehrfachbelastung durch Hitze, Luftschadstoffe und Lärm ausgesetzt. Schwangere und junge Eltern mit geringen Einkommen/Vermögen, wozu Alleinerziehende, Migrant:innen und Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen überdurchschnittlich oft gehören, sind von dieser gesundheitlichen Chancenungerechtigkeit betroffen [
37]. Armut(sgefährdung) – auch von Schwangeren – ist mit einem erhöhten Morbiditätsrisiko (z. B. Diabetes mellitus Typ 2, Herz-Kreislauf-Erkrankungen) verbunden, was wiederum die Resilienz gegenüber Umwelteinflüssen beeinträchtigt.
Umweltgerechtigkeit wurde in Deutschland kaum untersucht und dieser Aspekt ist daher in Public Health Maßnahmen und politische Entscheidungen bisher nur unzureichend eingeflossen. Der Wissenschaftliche Beirat für Globale Umweltveränderungen [
38] betont die Dringlichkeit weiterer Forschung zu den Gesundheitsrisiken vulnerabler Gruppen im Kontext städtischer Ungleichheiten.
Individuelle Beratung muss durch die strukturelle Förderung von gesundheitlicher Chancengerechtigkeit in allen relevanten Politikfeldern flankiert werden, um auch Schwangere, Säuglinge und Kleinkinder besser vor Klimawandelfolgen zu schützen. Klimaanpassungsstrategien und -gesetze mit konkreten Maßnahmen auf Bundes‑, Landes-, kommunaler und institutioneller Ebene können diese Verknüpfung darstellen. Warnsysteme und Informationskampagnen zu klimarelevanten Gesundheitsgefahren sollten zielgruppenspezifisch sein und vulnerable Gruppen gezielt ansprechen und aktiv einbinden [
39,
40]. Die Deutsche Klimaanpassungsstrategie [
41] lässt offen, wie vulnerable Gruppen gezielt zum Schutz vor Klimawandel-assoziierten Risiken (Hitze, UV-Strahlung, Allergien, Verbreitung möglicher Krankheitsüberträger) befähigt werden sollen. Der Nationale Hitzeschutzplan von 2023 erwähnt Schwangere nicht einmal. Kommunale Hitzeaktionspläne, z. B. von Bremen [
42], benennen dagegen gesundheitliche Chancengerechtigkeit und die gezielte Ansprache von vulnerablen Gruppen, einschließlich Schwangerer und Eltern von Kleinkindern.
Die Luftreinhaltepolitik der letzten Jahrzehnte kann als Erfolgsgeschichte der öffentlichen Gesundheit betrachtet werden, da sie in Verbindung mit dem steigenden Anteil erneuerbarer Energien und strengeren Abgasnormen zu einer Halbierung der Feinstaubbelastung seit 1990 führte [
43]. Dennoch verursacht Luftverschmutzung hierzulande noch immer eine erhebliche Krankheitslast: 2021 war allein die Belastung mit PM2,5 für 6 % der Krankheitslast durch Lungenkrebs, 5 % durch COPD („chronic obstructive pulmonary disease“), 9 % durch Schlaganfall, 8 % durch ischämische Herzerkrankungen und 8 % durch Diabetes Typ 2 verantwortlich [
44]. 2024 führte die EU strengere Luftschadstoffgrenzwerte ein, was auch in Deutschland ambitioniertere Maßnahmen zur Luftreinhaltung bewirken wird [
45]. Um deren Akzeptanz sicherzustellen, ist eine gute Kommunikation von Behörden, aber auch medizinischen Fachgesellschaften, Patient:innenvertretungen, Krankenkassen u. a. über die Gesundheitsgewinne – auch für Schwangere, Säuglinge und Kleinkinder – bedeutsam.