Notfallreform: Wer soll den Hut im Integrierten Notfallzentrum aufhaben?

Reaktionen auf die Empfehlungen der Regierungskommission zur Reform der Notfallversorgung fallen noch verhalten aus. Aber: Die Debatte über Leitungsfunktion im Integrierten Notfallzentrum ist bereits im Gange. Die Empfehlungen der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung haben ein breites Echo ausgelöst. Eine „gleichberechtigte medizinische Entscheidungskompetenz von Kassenärztlicher Vereinigung und Krankenhaus in den Integrierten Notfallzentren sicherzustellen“ forderte Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstand im GKV-Spitzenverband. Die Empfehlungen sehen vor, dass das Krankenhaus immer dann die Leitung übernehmen soll, wenn sich die Partner KV und Krankenhaus in dieser Frage nicht einigen können. Die Planung der Zentren solle sich am Bevölkerungsbedarf ausrichten, um eine bundesweit gute Erreichbarkeit der INZ zu gewährleisten und Doppelstrukturen zu vermeiden, sagte Stoff-Ahnis. Aus Sicht des Spitzenverbandes habe der G-BA die Expertise, um die qualitativen Mindeststandards für die technische und personelle Ausstattung sowie die Qualifikation des Personals in den INZ zu definieren. Deutlich andere Schwerpunkte in ihrer Kommentierung setzt die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, Professor Nicola Buhlinger-Göpfarth. Zwar gingen Teile der Vorschläge „in die richtige Richtung“, doch sehe der Verband auch „sehr viele kritische Punkte“. Ziel müsse es sein, dass die Notfallversorgung „nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Praxis gestärkt wird“, fordert Buhlinger-Göpfarth. Harsch kritisiert sie, die Empfehlungen der Regierungskommission berücksichtigten nicht, „dass die Versorgung nicht nur aus Notfällen besteht“. Die Wechselwirkungen auf andere Versorgungsbereiche würden von den Autoren „nahezu komplett angeklammert“. Hausärzteverband: „Selektiver Blick“ der Kommission Der selektive Blick ergebe sich aus der Zusammensetzung der Kommission, die „ausschließlich aus Krankenhausvertretern besteht“. Entsprechend werde die Sicht der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte ignoriert. „Somit bleibt der Vorschlag zwangsläufig Stückwerk“, folgert Buhlinger-Göpfarth. Denn zahlreiche Studien hätten bestätigt, dass eine hochwertige hausärztliche Versorgung „der beste Schutz gegen eine kollabierende Notfallversorgung ist“. Folgerichtig würden auch die Notaufnahmen von der Stärkung der hausärztlichen Versorgung profitieren. Mit Unverständnis reagiert der Hausärzteverband auf Vorschläge, die auf Doppelstrukturen hinauslaufen würden – etwa, wenn ein KV-Bereitschaftsdienst während der regulären Praxisöffnungszeiten vorgeschlagen wird. Wo diese Ressourcen herkommen sollten, sei unklar, da viele niedergelassene Kollegen bisher schon an der Belastungsgrenze arbeiten würden, so Buhlinger-Göpfarth. Leitungsfunktion steht in Frage Ganz anders fällt die Bewertung des Verbands der Universitätsklinika Deutschlands (VUD) aus: „Integrierte Notfallzentren und Integrierte Leitstellen sind der richtige Weg für eine Reform der Notfallversorgung“, kommentierte der Erste Vorsitzende des VUD Professor Jens Scholz die Empfehlungen. Wichtig sei, dass die Notfallzentren in der Regel an den Krankenhäusern mit den G-BA-Notfallstufen 2 und 3 andocken sollten. Dort werde die interdisziplinäre Kompetenz gebündelt vorgehalten. Zudem sei richtig, dass das Krankenhaus die Leitung des jeweiligen Integrierten Notfallzentrums übernehmen könne. „Die Krankenhausärzte haben den besten Überblick über die weiteren Versorgungskapazitäten vor Ort“, sagte Scholz. In Gutachten des Sachverständigenrats Gesundheit und Pflege sowie früheren Gesetzentwürfen zur Notfallreform war die Leitung der Integrierten Notfallzentren bislang immer eher den Kassenärztlichen Vereinigungen zugedacht. Kinderärzte: Über Ballungszentren hinaus blicken Dass die Regierungskommission eigene Notfallstrukturen für Kinder und Jugendliche vorschlägt, stößt auf Zustimmung bei der Deutschen Gesellschaft für Kinder und Jugendmedizin (DGKJ). Dieser Ansatz brauche aber den Blick auf die Versorgungssituation außerhalb der Ballungsräume, sagte Professorin Ursula Felderhoff-Müser. „Der Weg zur nächsten Kinderklinik ist in manchen Regionen jetzt schon sehr lang“, betonte die DGKJ-Vizepräsidentin. Dort müsse die jeweils nächstgelegene Notaufnahme durch pädiatrische Expertise unterstützt werden. Wo es keine spezielle Kinder-Notversorgung gebe, solle es telemedizinische Anbindungen geben. Dafür werde angemessene personelle und infrastrukturelle Ausstattung benötigt. Aus Sicht des AOK-Bundesverbandes sei wichtig, dass die sektorale Trennung in diesem Bereich überwunden werde, sagte die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands Dr. Carola Reimann. Die Notfallzentren sollten allerdings als eigenständige Organisationseinheiten verankert werden, so Reimann. Es sollte darum gehen, dass die richtige Versorgungsebene ohne ökonomische Beeinflussung angesteuert werde. Dazu gehöre dann ein eigenes Budget mit einem neuen Entgeltsystem. FDP-Fraktion: Sektorengrenzen überwinden „Wir brauchen eine bessere Verzahnung von Rettungsdiensten, Krankenhäusern und ambulanter Versorgung“, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag Professor Andrew Ullmann. „Deshalb müssen wir grundsätzlich die Sektorengrenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung überwinden“, sagte Ullmann. Es sei gut und weitsichtig, dass die Regierungskommission an dieser Stelle auf das Potenzial der Digitalisierung in Form von durch Algorithmen gestützten Ersteinschätzungen in den Leitstellen hinweise. Digitale Lösungen könnten den Datenaufnahme- und Anamneseprozess beschleunigen. Dazu zählten die elektronische Patientenakte ebenso wie Entscheidungshilfen durch Künstliche Intelligenz bei der diagnostischen Ersteinschätzung. Integrierte Notfallzentren an 420 Krankenhäusern Zuvor hatten Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) und der Leiter der Regierungskommission Professor Tom Bschor, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, das Reformkonzept vorgestellt. Es sieht den flächendeckenden Aufbau von Integrierten Leitstellen (ILS) und Integrierten Notfallzentren (INZ) vor. Dort sollen die Notfallnummern für den Rettungsdienst (112) und den kassenärztlichen Notdienst (116117) zusammenlaufen. In den Integrierten Notfallzentren an zunächst an den rund 420 Krankenhäusern der erweiterten und umfassenden Notfallversorgung sollen die Patienten in die jeweils geeignete Versorgungsebene gesteuert werden. Ein solches Konzept hatte der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen erstmals 2017 skizziert und 2018 in einem Gutachten vorgestellt. Anfang 2020 hatte der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) diese Überlegungen in einen Gesetzentwurf einfließen lassen, der wegen der Pandemie nicht weiterverfolgt wurde. Quelle: Ärzte Zeitung

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