Warum zwei einstige Klinik-Chefärzte jetzt lieber als Landärzte arbeiten

Fehlendes Personal, Patienten-Verantwortung auch am Wochenende, zu viel Verwaltungsarbeit – die Gründe, aus einer leitenden Position am Krankenhaus in eine Praxis auf dem Dorf zu wechseln, sind vielfältig. Zwei ehemalige Chefärzte berichten, warum sie diesen Schritt gegangen sind. Es mutet auf den ersten Blick ungewöhnlich an: Erfolgreiche Klinik-Chefärzte, die ihren Posten verlassen, um sich in einer Praxis auf dem Land um Patienten zu kümmern. Was treibt sie an, nach einer Karriere im Krankenhaus als Hausarzt in die Niederlassung zu gehen? Die Ärzte Zeitung / Springer Medizin stellt zwei von ihnen vor: Professor Wolfram von Bernstorff, ehemals Chefarzt für Gefäßchirurgie am Meppener Krankenhaus und Dr. Norbert Köneke, 15 Jahre lang Ärztlicher Direktor der Lahn-Dill-Kliniken, zu denen die Häuser in Wetzlar, Dillenburg und Braunfels gehören. Fest steht: Bereut haben die Ärzte den Schritt nicht. Im Gegenteil: „Wir haben deutlich mehr Freizeit und dadurch eine höhere Lebensqualität“, sagen beide. Wolfram von Bernstorff (57) war von 2016 bis 2020 am Krankenhaus im niedersächsischen Meppen angestellt, wo er die Gefäßchirurgie leitete – eine äußerst zufriedenstellende Tätigkeit, wie er rückblickend sagt. „Ich habe ausgesprochen gerne im Krankenhaus gearbeitet. Das Leben eines Chirurgen ist sehr erfüllend, denn nach getaner Arbeit geht es den Patienten meistens besser als vorher“, sagt er im Gespräch mit der Ärzte Zeitung. Was nicht passte, waren die Rahmenbedingungen: zu wenig Personal, fehlende Op-Kapazitäten und die Verantwortung für die Patienten an sieben Tagen pro Woche. „Die Arbeitsbelastung im Krankenhaus ist auf Dauer gesundheitsschädlich.“ Hinzu kamen Differenzen mit der Klinikleitung. Finanzielle Einbußen 2019 fasste er schließlich den Entschluss, sich niederzulassen, nach der entsprechenden zweijährigen Weiterbildung stieg er zum 1. Oktober 2020 in die Praxis für Allgemein-, Palliativ- und Arbeitsmedizin von Dr. Klaus Pohlmann in Meppen ein. Die Praxis gibt es seit 30 Jahren, zehn Mitarbeiter kümmern sich dabei um rund 2000 Patienten. Auch wenn der Schritt in die Niederlassung mit finanziellen Einbußen verbunden gewesen sei, ist er mit seiner beruflichen Entwicklung im Reinen. „Ich gehe stets mit dem Gedanken ins Wochenende: Die Woche hat Spaß gemacht.“ Außerdem: „Als Hausarzt zu arbeiten hat meinen Horizont erweitert. Ich kann jetzt überall mitreden – beim Klinik- und beim Praxisalltag. Indem ich beides erleben durfte, habe ich nicht das Gefühl, etwas verpasst zu haben.“ Wolfram von Bernstorff macht auch völlig neue Erfahrungen: Im Gegensatz zum spezialisierten Klinikarzt sei der Allgemeinmediziner in der ambulanten Versorgung stets derjenige, der die Patienten zuerst zu sehen bekomme. Außerdem müsse man sich um viel mehr selbst kümmern. Schlagzahl und Arbeitsdichte seien auch in seinem jetzigen Job extrem. Aber: „Wenn die Praxis um 18 Uhr zumacht, ist Feierabend.“ Wie haben seine ehemaligen Chefs und Kollgen auf seine Pläne reagiert? „Sie waren erstaunt, aber auch beeindruckt. Denn die meisten haben Respekt vor der Veränderung, die die Niederlassung mit sich bringt.“ Gleich doppelte Veränderung Gleich doppelt verändert hat sich Dr. Norbert Köneke. So ist er nicht nur aus der Klinik weg, sondern hat nach 15 Jahren als Mitglied der Geschäftsführung der Lahn-Dill-Kliniken in Wetzlar (Hessen) die ärztliche Tätigkeit wieder aufgenommen – und versorgt nun Patienten auf dem Dorf. Er ist Teil des zu den Lahn-Dill-Kliniken gehörenden Landarztnetzes, das in Breitscheid ein MVZ und auf dem Land drei weitere allgemeinmedizinische Zweigpraxen betreibt. Das Netzwerk mit insgesamt rund 50 Mitarbeitern wurde 2014 gegründet, um den drohenden Ärztemangel in der Region zu stoppen. Das Durchschnittsalter der Hausärzte im Lahn-Dill-Kreis liegt bei 55 Jahren, bis 2030 wird die Hälfte voraussichtlich in den Ruhestand gegangen sein. Ende 2020 hatte man Köneke angeboten, seinen Vertrag als Ärztlicher Direktor der Klinik um weitere fünf Jahre zu verlängern – damals war er 60 Jahre alt. Der Internist und Rheumatologe kam ins Grübeln: Er führte ein Krankenhaus mit rund 2000 Mitarbeitern, schwerpunktmäßig war er für den Bereich „Medizin und Pflege“ verantwortlich. Kontakt mit Patienten hatte er jedoch kaum. „Das hat mir gefehlt“, sagte er im Gespräch mit der Ärzte Zeitung / Springer Medizin. Wieder als Mediziner zu arbeiten ,sei ihm schon länger im Kopf herumgeschwirrt. „Ich habe mich dann schon gefragt: Kann ich das eigentlich noch?“ Um das herauszufinden, hospitierte er eine Woche lang bei den Kollegen vom Landarzt-Netz – und beschloss, sich dem MVZ anzuschließen. Da ausreichend Hausarztsitze frei waren, konnte er sofort loslegen. Start mit vielen Herausforderungen Der Start blieb nicht ohne Herausforderungen: Welche EBM-Ziffer kann angesetzt werden? Wie funktioniert das PVS? Hilfreich seien bei diesen für ihn ungewohnten Tätigkeiten die entsprechenden Schulungen der Kassenärztlichen Vereinigung gewesen, erinnert er sich. Als Internist darf er allgemeinmedizinische Leistungen abrechnen, bestimmte fachärztliche Leistungen allerdings nicht. Aus seiner Sicht muss die hausärztliche Tätigkeit eine größere Rolle in der Medizinerausbildung spielen. Nur so werde auch das Interesse geweckt, sich niederzulassen. Den Schritt ins Landarztnetzwerk hat Köneke nicht bereut: „Es gab bislang keinen Tag, an dem ich gezweifelt habe“, sagt er. Manche Erfahrungen, die die Männer beim Umstieg gemacht haben, ähneln sich: „Klinikärzte schauen häufig von oben herab auf ihre niedergelassenen Kollegen“, sagten beide unabhängig voneinander im Gespräch mit der Ärzte Zeitung / Springer Medizin. Quelle: Ärzte Zeitung

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