Gesetz zur Triage: Die Regelungen, Pflichten und Kritikpunkte im Einzelnen

Sind Intensivkapazitäten knapp, soll die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit des Patienten zentrales Kriterium bei der Zuteilungsentscheidung sein. So will es der Bundestag. Ärzte hadern mit dem Beschluss. Es passiert selten, dass im Parlament ein Gesetz verabschiedet wird, von dem viele Abgeordnete hoffen, es möge nie zur Anwendung kommen. Vergangene Woche hat der Bundestag mit den „Regelungen zur intensivmedizinischen Behandlung in der Pandemie“ – verkürzt auch Triage-Gesetz genannt – aber just ein solches Paragrafenwerk auf den Weg gebracht. Die neuen Regeln werden in das Infektionsschutzgesetz eingebaut – die Debatte darüber unter Klinikärztinnen und Klinikärzten, aber auch in den Reihen der Verbände der Behindertenhilfe, geht nach der Abstimmung unvermindert weiter. Was es mit dem Triage-Gesetz auf sich hat Warum ein Triage-Gesetz? Was wird im Gesetz geregelt? Was heißt Mehraugenprinzip? Welche Pflichten haben Kliniken? Was stößt auf Kritik der Ärzte? Warum ein Triage-Gesetz? Hintergrund der Entscheidung des Bundestages ist ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom Dezember 2021. Die Karlsruher Richter hatten damals entschieden, dass sich aus dem Grundgesetz für den Staat der Auftrag ergibt, Menschen mit Behinderung bei knappen Intensivkapazitäten vor Benachteiligung zu schützen. Der Gesetzgeber habe die Schutzvorkehrungen „unverzüglich“ zu treffen. Die Entscheidung der Karlsruher Verfassungsrichter fiel vor dem Hintergrund der Ende 2021 aufbrandenden vierten Coronavirus-Welle. Diese hatte etliche Intensivstationen in Krankenhäusern an Belastungsgrenzen gebracht. Teils mussten Patienten in andere Bundesländer verlegt werden. Was wird im Gesetz geregelt? Im Gesetz geregelt ist die Zuteilungsentscheidung aufgrund einer übertragbaren Krankheit und bei nicht ausreichenden intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten. Die Regeln sollen für alle Patienten gelten – unabhängig von der Ursache der intensivmedizinischen Behandlungsbedürftigkeit. Maßgebliches Kriterium für die Zuteilungsentscheidung ist die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit des Patienten. Komorbiditäten dürfen bei der Beurteilung der Überlebenswahrscheinlichkeit nur berücksichtigt werden, wenn diese „aufgrund ihrer Schwere oder Kombination die auf die aktuelle Krankheit bezogene kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit erheblich verringern“, heißt es im Gesetzestext. Wir werden keine sogenannte Ex-post-Triage zulassen. Professor Karl Lauterbach (SPD), Bundesgesundheitsminister Zudem wird mit dem Gesetz klargestellt, dass Kriterien, die sich auf die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit nicht auswirken, wie etwa Alter, Behinderung und Grad der Gebrechlichkeit, nicht berücksichtigt werden dürfen. Ausdrücklich von einer Zuteilungsentscheidung ausgenommen sind bereits zugeteilte überlebenswichtige intensivmedizinische Behandlungskapazitäten, so lange eine intensivmedizinische Behandlung noch indiziert ist und dem Patientenwillen entspricht. „Derjenige, der jetzt schon versorgt wird, der kann sich auf die weitere Versorgung verlassen. Das heißt, wir werden keine sogenannte Ex-post-Triage zulassen“, hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bei der abschließenden Lesung des Gesetzes betont. Auf diese Weise vermeide man Situationen, in denen Ärzte in unerträglicher Weise Versorgung beenden müssten, „um sie einem anderen Menschen zukommen zu lassen“, so Lauterbach. „Diese Form der Ex-post-Triage halte ich auch für unethisch.“ Das Beste, was Politik jedweder Art von Triage entgegensetzen könne, sei „gute Vorbeugung“. Was heißt Mehraugenprinzip? Zuteilungsentscheidungen müssen laut Gesetz nach dem Mehraugenprinzip fallen, Treffen müssen diese zwei Fachärzte, die in der Intensivmedizin arbeiten und über mehrjährige Erfahrung verfügen. Die beiden Mediziner müssen die von der Zuteilungsentscheidung betroffenen Patienten unabhängig voneinander begutachten. Besteht kein Einvernehmen, ist ein weiterer qualifizierter Arzt hinzuziehen und die Entscheidung mehrheitlich zu treffen. Von den an der Zuteilungsentscheidung beteiligten Ärzten darf nur einer in die direkte Behandlung des von der Zuteilungsentscheidung betroffenen Patienten eingebunden sein. Begutachtung, Mitwirkung an der Zuteilungsentscheidung können auch mittels telemedizinischer Konsultation erfolgen. Welche Pflichten haben Kliniken? Die Krankenhäuser werden mit dem Gesetz verpflichtet, getroffene Zuteilungsentscheidungen an die für die Krankenhausplanung zuständige Landesbehörde zu melden – „unverzüglich“. Dadurch, schreibt das BMG in einer Mitteilung, werde die Landesbehörde in die Lage versetzt, im Rahmen ihrer Zuständigkeit tätig zu werden, um künftige Versorgungsengpässe zu vermeiden.“ Vorgesehen ist zudem eine Evaluierung des Gesetzes – auf eine solche hatte unter anderem der Behindertenbeauftragte der Regierung, Jürgen Dusel, gedrungen. Laut Gesetz soll das BMG eine Evaluation „innerhalb von sechs Monaten, nachdem erstmals einer für die Krankenhausplanung zuständigen Landesbehörde eine Zuteilungsentscheidung angezeigt wurde, spätestens jedoch bis zum 31. Dezember 2025“ beauftragen. Die Evaluation ist von unabhängigen Sachverständigen zu erstellen. Die Experten sind jeweils zur Hälfte von Gesundheitsministerium und Bundestag zu benennen. Was stößt auf Kritik der Ärzte? Ärztekammern und Berufsverbände stoßen sich vor allem am Ausschluss der Ex-post-Triage. Die Devise „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ könne keine Grundlage für die intensivmedizinische Behandlung von Patienten sein, kritisiert der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe und 1. Vorsitzende des Marburger Bund Landesverbandes Nordrhein-Westfalen/Rheinland-Pfalz, Dr. Hans-Albert Gehle. Ärztinnen und Ärzte gerieten mit dem Ausschluss der Ex-post-Triage unter einen zusätzlichen Druck, fürchtet Gehle. Das Verbot der Ex-post-Priorisierung werde „unweigerlich“ zu mehr vermeidbaren Todesfällen führen, wendet der frühere Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), Professor Uwe Janssens, ein. Er sei sich auch sicher, so Janssens, „dass aus Sorge vor zivil-, straf- sowie aus berufsrechtlichen Konsequenzen gebotene Therapiezieländerungen nicht mehr vorgenommen werden.“ Auch der Marburger Bund hatte sich bis zuletzt gegen den Ausschluss einer Ex-post-Triage ausgesprochen „Nicht nur Handeln, sondern auch Unterlassen kann die Menschenwürde und das Recht auf Leben verletzen“, hatte die Ärztegewerkschaft im Rahmen ihrer 140. Hauptversammlung kürzlich in Berlin deutlich gemacht. Diese Regelung gefährdet mehr Leben, als sie schützen wird. Dr. Hans-Albert Gehle, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe Kritisch äußert sich auch die Ärztekammer Hamburg. Ein von der Koalition noch auf den letzten Metern eingebrachter Änderungsantrag sehe zwar vor, dass eine intensivmedizinische Behandlung abgebrochen werden dürfe, wenn sich das Therapieziel ändere oder die Behandlung nicht mehr erfolgversprechend sei. „Es wäre im Sinn der Rechtssicherheit für die Kolleginnen und Kollegen aber gut, diesen Punkt eindeutig im Gesetz zu regeln – und nicht nur in der Begründung des Änderungsantrags“, gibt Kammer-Vizepräsidentin Birgit Wulff zu bedenken. Am Ende dürften somit auch Ärztinnen und Ärzte inständig darauf hoffen, dass das sogenannte Triage-Gesetz der Ampel niemals zum Einsatz kommen muss. Quelle: Ärzte Zeitung

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