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Erschienen in: Die Unfallchirurgie 1/2020

01.01.2020 | Einführung zum Thema

Klinisches Schaden- und Risikomanagement

verfasst von: Prof. em. Dr. W. Mutschler, Dr. med. A. Euteneier

Erschienen in: Die Unfallchirurgie | Ausgabe 1/2020

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Auszug

lautet eine dieser Volksweisheiten, die uns schon im Kindesalter vermittelt wird. Ob dies dann auch noch im ärztlichen Berufsleben gelten soll? …
Glossar
Patientensicherheit (engl. „patient safety“)
Die WHO beschreibt Patientensicherheit als die „Reduktion von Risiken unnötiger Schäden auf ein akzeptables Minimum“. Das IOM (Institute of Medicine) beschreibt Patientensicherheit als „Abwesenheit unerwünschter Ereignisse“.1
Sicherheitskultur (engl. „safety culture“)
Sicherheitskultur ist ein mehrdimensionales Konstrukt und umfasst je nach Autor verschiedene wesentliche Elemente. So umfasst das Rahmenwerk für Sicherheitskultur laut dem Institute for Healthcare Improvement (IHI) die 6 Dimensionen: Vision, Vertrauen & Respekt & Inklusion, Engagement des Vorstands, Priorisieren von Sicherheit durch Auswahl und Entwicklung von Führungskräften, Führen und Belohnen einer gerechten Kultur, Etablierung von Verhaltenserwartungen in der Organisation.
Sicherheitskompetenzen (engl. „safety competencies“)
Das kanadische Institut für Patientensicherheit hat 6 Schlüsselkompetenzen definiert: Beitragen zu einer Kultur der Patientensicherheit (engl. „Contribute to a Culture of Patient Safety“), Arbeiten in Teams, effektiv kommunizieren, Risikomanagement betreiben, optimieren von „human factor“ und Arbeitsumfeld, unerwünschte Ereignisse erkennen sowie darauf reagieren und abstellen.
Fehler (engl. „error“)
Ein Fehler ist eine vom Plan abweichende Handlung oder das Unterlassen einer notwendigen Handlung. Dabei kann es sich laut Reason um fertigkeitsbedingte Auslassungen aufgrund versehentlicher Aufmerksamkeitsdefizite (engl. „slips“) und Erinnerungsfehler bzw. Aussetzer (engl. „lapses“) handeln oder um klassische Fehlerarten wie regelbasierte und wissensbasierte Fehler.
Regelverstoß (engl. „rule violation“)
Ein Regelverstoß ist im Unterschied zu einem Fehler eine beabsichtigte Handlung, die häufig situativ nach Abwägung der Vor- und Nachteile der Zieloptimierung dient. Ein Regelverstoß kann auch zur Selbstaufwertung und in einer extrem schädlichen Form zum reinen Nervenkitzel begangen werden. Hierbei handelt es sich dann um ein Compliance-Problem, welches häufig medikolegale Konsequenzen nach sich zieht.
Beinahe-Schaden (engl. „near miss“)
Bei einem Beinahe-Schaden wurde ein Fehler oder Regelverstoß begangen, der zu einem Schaden hätte führen können, falls dieser nicht rechtzeitig erkannt und korrigiert worden wäre. Dies betont die Wichtigkeit für die Einrichtung von Abwehrmechanismen zur frühen Fehlerkorrektur.
kritisches Ereignis (engl. „critical incident“)
Ein kritisches Ereignis ist ein Ereignis, welches für sich genommen noch keinen Schaden hervorbrachte, jedoch als „Planabweichung“ ein hohes Risiko birgt, zu einem unerwünschten schädlichen Ereignis zu werden.
unerwünschtes Ereignis (engl. „adverse event“)
Ein unerwünschtes Ereignis ist ein schädliches Vorkommnis (Patienten- oder Mitarbeiterschaden), das eher auf der Behandlung als auf der Erkrankung beruht. Es kann vermeidbar (aufgrund eines Fehlers oder Regelverstoßes) oder unvermeidbar (als vorab nichtzubeherrschende Komplikation) sein.
Sentinel event (engl. „sentinel event“)
Ein Sentinel Event wird als ein unerwartetes Auftreten eines Ereignisses bezeichnet, welches den Tod oder schwere physische oder psychische Schäden des Patienten oder Mitarbeiters zur Folge hat. Sentinel events können z. B. durch Medikamentenverwechslung oder deren fehlerhaften Applikationsweg, Transfusionszwischenfälle, Patientenverwechslungen, Operation der falschen Seite, belassene Fremdkörper, durch physische Gewalt an einem Mitarbeiter, erhöhte kumulative Strahlendosis, Bestrahlung einer falschen Region bzw. Seite, Feuer – Rauch oder Stromschlag im Rahmen der Patientenversorgung auftreten. Jeder Sentinel event sollte zeitnah einer Risikoanalyse zugeführt werden.
schweres unerwünschtes Ereignis (engl. „severe adverse event, sentinel event“)
Ein schweres unerwünschtes Ereignis wird synonym für einen Sentinel event verwendet. Es ist ein schädliches Ereignis, welches unter allen Umständen hätte vermieden werden müssen. Es führt zum Tod oder zu schweren physischen oder psychischen Schäden.
Systemanalyse klinischer Zwischenfälle nach dem London Protokoll
Ein umfassendes und international anerkanntes Fehleranalysemodell wurde erstmals im Jahr 2000 durch Taylor-Adams et al. im BMJ publiziert und fortan als sog. London Protokoll kontinuierlich überarbeitet. Das London Protokoll ist eine systemische Analysemethode, welches insbesondere die organisationale Unfallentstehung betrachtet. Neben latenten Fehlern, die bereits fest in einer mangelhaften Organisation und Managementkultur angelegt sind, spielen besonders fehlerbegünstigende, in der Regel sich stets ändernde, Faktoren eine wichtige Rolle (Patientenfaktoren, Aufgaben- und Verfahrensfaktoren, individuelle Faktoren (Personal), Teamfaktoren, Faktoren der Arbeitsumgebung, Organisation und Managementfaktoren und Faktoren des institutionellen Rahmens). Diese Aspekte bleiben im normalen Betrachtungsfall eines Schadens oft unterrepräsentiert. Fehlerbegünstigende Faktoren erhöhen das Auftreten von Fehlern und Regelverstößen, die wiederum sich erst bei fehlenden Abwehrmechanismen als Schäden manifestieren.
Abwehrmechanismen (engl. „layers of defence“)
Abwehrmechanismen (Barrieren) dienen dazu, mögliche Fehler noch vor dem Eintreten eines Schadens zu korrigieren. Beispiele hierfür sind Trainings- und Schulungsmaßnahmen, die Festlegung und Kommunikation einer Risikopolitik, das Einführen eines klinischen Risikomanagements, Standardisierung, Automatisierung, Optimierung des Arbeitsumfelds durch z. B. nutzerfreundliche Medizinprodukte und eine geeignete Infrastruktur bzw. Raumarchitektur.
Internationale Patienten-Sicherheits-Klassifikation, IPSC (engl. „International Classification for Patient Safety“)
Die IPSC wurde von Runciman und der WHO entwickelt und dient als gemeinsame Ontologie bzw. Taxonomie, um verschiedene Patientensicherheitssysteme leichter vergleichen zu können. Das IPSC bietet einen konzeptionellen Rahmen zur Klassifikation der Patientensicherheit (adaptiert nach der WHO 2015). Der konzeptionelle Rahmen der IPSC bietet zugleich ein Modell, um auf kritische Ereignisse adäquater reagieren zu können. Des Weiteren dient es dazu, Vorfälle in ihre relevanten Teilinformationen zu zerlegen und so aussagekräftiger zu dokumentieren bzw. im Anschluss zu analysieren. Die IPSC bietet definierte Angriffspunkte, an die ein klinisches Risikomanagement mit risikoreduzierenden Maßnahmen ansetzen kann (Euteneier 2015, S. 61).
Versicherungsvertragsgesetz (VVG)
Das Versicherungsvertragsgesetz ist ein deutsches Bundesgesetz, welches die Rechte und Pflichten von Versicherern und Versicherungsnehmern als auch von Versicherungsvermittlern bei Versicherungsverträgen regelt. Der § 100 des VVG beschreibt die Leistung des Versicherers, wonach der Versicherer verpflichtet ist, den Versicherungsnehmer von Ansprüchen freizustellen, die von einem Dritten aufgrund der Verantwortlichkeit des Versicherungsnehmers für eine während der Versicherungszeit eintretende Tatsache geltend gemacht werden, und unbegründete Ansprüche abzuwehren. Dadurch ist mitunter festgelegt, dass der Haftpflichtversicherer Herr des Verfahrens im Rahmen der Schadenregulierung ist.
Fußnoten
1
Für manche Begriffe existieren mehrere unterschiedliche Definitionen, welche die Vergleichbarkeit erschweren. Zudem kommt es durch die Übersetzung aus dem Englischen in die deutsche Sprache zu zusätzlichen Begriffsunschärfen. Dennoch ist es von besonderer Wichtigkeit, sich auf ein allgemein akzeptiertes Vokabular zu verständigen.
 
Metadaten
Titel
Klinisches Schaden- und Risikomanagement
verfasst von
Prof. em. Dr. W. Mutschler
Dr. med. A. Euteneier
Publikationsdatum
01.01.2020
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Die Unfallchirurgie / Ausgabe 1/2020
Print ISSN: 2731-7021
Elektronische ISSN: 2731-703X
DOI
https://doi.org/10.1007/s00113-019-00745-x

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