So unterscheiden Sie „Wachstumsschmerzen“ vom malignen Tumor

Auch wenn hinter dem Symptom Beinschmerzen bei Kindern in vielen Fällen harmlose Wachstumsbeschwerden stecken, gilt es immer auch, eine onkologische Erkrankung auszuschließen. Dr. Annette Weichselbaum, Tübingen, erläuterte auf der DGKJ*-Tagung, welche Fragen weiterführen, wo diagnostische Fallstricke liegen und was man bei einer eventuellen Bildgebung beachten sollte. Wachstumsschmerzen gehören zu den häufigsten Beschwerdebildern in der kinderärztlichen Sprechstunde. Man geht heute davon aus, dass im Laufe des Heranwachsens etwa jedes dritte Kind im Alter zwischen drei und zwölf Jahren betroffen ist. Allerdings kann hinter den harmlos anmutenden Beinschmerzen immer auch eine ernst zu nehmende Erkrankung stecken, die es auszuschließen gilt. Maligne Knochentumoren, aber auch die Leukämie gehören laut Dr. Annette Weichselbaum von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin in Tübingen zu den wichtigen Differenzialdiagnosen von Knochenschmerzen im Kindes- und Jugendalter, wobei vor allem die malignen Tumoren klassischerweise im Teenageralter auftreten. „Bei Vorschulkindern kann man diese Differenzialdiagnose nach hinten stellen“, so Weichselbaum. Bis zu einem Alter von zehn Jahren dominierten unter den malignen Erkrankungen vielmehr die Leukämien. Genauen Schmerzcharakter erfragen! Neben dem Alter spielen auch Schmerzcharakteristik und -lokalisation eine wichtige Rolle für die Diagnosefindung. Schmerzen aufgrund von malignen Knochentumoren sind typischerweise an einer bestimmten Stelle lokalisiert, treten anfänglich oft intermittierend (nächtlich) auf und sind evtl. belastungsabhängig. Dagegen sind Knochenschmerzen bei Leukämien in der Regel nicht nur auf eine Stelle begrenzt, sondern diffus, evtl. mit wechselnden Lokalisationen (wandernd) und bei einem Großteil der Patienten von Fieberepisoden begleitet; häufig zusätzliche B-Symptomatik, Hepatosplenomegalie, Blutungsneigung. Diagnostische Fallstricke Tückischerweise treten die Beinschmerzen auch bei malignen Erkrankungen bevorzugt nachts auf, was die Abgrenzung von harmlosen Wachstumsschmerzen erschwert. Das Hauptproblem sei aber, so Weichselbaum, dass „fast in allen Fällen irgendein Bagatelltrauma“ erinnerlich sei. „Lassen Sie sich von solchen Schilderungen nicht einlullen“, riet die Kinderärztin, „sondern überlegen Sie, ob das beschriebene Trauma wirklich diese Schmerzen erklären kann!“ Auch der anfänglich meist intermittierende Schmerzcharakter könne in die Irre führen: „Oft gehen die Beinschmerzen erst später in einen Dauerschmerz über“, berichtete Weichselbaum. Was man auch bedenken sollte: Der Einsatz von Schmerzmitteln, z. B. nach einem geringfügigen Trauma, kann eine vorübergehende Besserung bedingen, was nicht selten dazu führt, dass der Tumorverdacht erst einmal ad acta gelegt wird. Empfehlung der Redaktion Baumelnde Kinderbeine 31.07.2020 | Hüftschnupfen | Leitthema Keine Wachstumsschmerzen, sondern Malignom Bei einem Vierjährigen mit Schmerzen im rechten Sprunggelenk bleibt die weitere Untersuchung unauffällig. Unter der Diagnose „Wachstumsschmerzen“ wird abgewartet – doch ein halbes Jahr später lautet die Diagnose: Synovialsarkom. Dieser und fünf weitere Fälle beschreiben, wie Sie Schmerzen am Bewegungsapparat bei Kindern und Jugendlichen systematisch differenzialdiagnostisch abklären. Eine fehlende B-Symptomatik sei jedenfalls kein Garant für Gutartigkeit, so die Pädiaterin: In vielen Fällen komme es gerade bei malignen Tumoren erst spät zu begleitenden Symptomen. „Leider sind diejenigen Patienten mit primären Knochentumoren, die eine B-Symptomatik aufweisen, oft bereits metastasiert.“ Eine häufige Fehldiagnose bei Knochenschmerzen sei die Osteomyelitis. Bis zu einem Drittel der Patienten mit Knochentumoren entwickeln Fieber, Anämie, Leukozytose und eine erhöhte Blutsenkung. „Solche Befunde sind zunächst völlig unspezifisch, da denkt man erst einmal an etwas Entzündliches“, warnte Weichselbaum. Red Flags bei Knochenschmerzen Warnhinweise, die der Kinderärztin zufolge für ein Malignom sprechen könnten, sind Schmerzen, die nicht über einem Gelenk, sondern wirklich über dem Knochen lokalisiert sind, Rückenschmerzen als Hauptlokalisation, Vorliegen einer B-Symptomatik (Spätzeichen), tastbare Raumforderungen, Blutungsneigung, Auffälligkeiten im Blutbild und Ausstrich oder erhöhte Laktatdehydrogenase (LDH). Hier sei in jedem Fall eine umfassendere Diagnostik inklusive Bildgebung (Röntgen, MRT) angezeigt. „Aber auch wenn das alles unauffällig ist, sollten Sie noch dranbleiben“, riet die Expertin: Leider gebe es gar nicht so selten Fälle, in denen die Schmerzen ausstrahlen und an ganz anderer Lokalisation wahrgenommen würden. In einem Fall hatte ein Patient immer wieder über Knieschmerzen geklagt; die MRT vom entsprechenden Bereich war jedoch unauffällig. Erst eine erneute Bildgebung, die den gesamten Oberschenkel bis zur Hüfte einschloss, ergab dann einen weit proximal gelegenen Tumor. „Ich sage immer: In vier Wochen möchte ich Dich noch einmal sehen!“, so Weichselbaum. Dass dieses Vorgehen berechtigt ist, zeigt eine Studie mit an akuter Leukämie erkrankten Kindern: Rund 40% hatten bei der Erstvorstellung muskuloskeletale Symptome. Dabei war die initiale radiologische Diagnostik bei den meisten unauffällig gewesen. Einen hilfreichen Algorithmus zur Abklärung von Beinschmerzen im Kindes- und Jugendalter bietet die Charité unter www.muskel-knochenschmerzen.de. *Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin basierend auf: Weichselbaum A.: „Wann muss ich an Krebs denken?“ Kongress für Kinder- und Jugendmedizin 2019, 11.–14.9.2019, München

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