So überzeugen Sie Impfskeptiker – und so nicht

Impfskeptiker überzeugt man nicht mit Aufklärungskampagnen und pauschalen Argumenten, sondern indem man auf ihre persönliche Erzählung eingeht. Wie das ablaufen kann, erläuterte Prof. Horst von Bernuth, Immunologe an der Berliner Charité, auf dem Kongress für Kinder- und Jugendmedizin 2021. „Mein Sohn ist als Kleinkind nach einer Polioimpfung schwer an einem Lungenödem erkrankt, daher lassen wir ihn jetzt nicht mehr impfen.“ Erzählungen wie diesen begegnet man in der pädiatrischen Praxis häufig. In vielen Familien halten sich solche Mythen hartnäckig, sogar über Generationen hinweg. Wer ihnen entgegentreten will, sollte nach Prof. Horst von Bernuth, Leiter der Sektion Immunologie an der Berliner Charité, vor allem eins vermeiden: einen „globalen Vortrag“, in dem versucht wird, die Sorge des Elternteils mit Pauschalargumenten aus dem Weg zu räumen. Der sogenannten Impfskepsis liegt nach Bernuth oft eine sehr persönliche Geschichte zugrunde, die es in einer möglichst ausführlichen Anamnese zu eruieren gelte. „Aufklärungskampagnen bringen wenig“ Dabei meinte der Immunologe ausdrücklich nicht die „beinharten“ Impfgegner. Diese machten unter den Impfsäumigen ohnehin nur einen kleinen Bruchteil aus. Der Versuch, sie von einer Impfung zu überzeugen, sei in der Regel ein sinnloses Unterfangen. „Die Schlacht wird bei den Impfskeptikern geschlagen.“ Und zwar nicht mit staatlichen Aufklärungskampagnen, wie sie das Bundesgesundheitsministerium derzeit im Zusammenhang mit der Corona-Impfung propagiert. Von diesen hält Bernuth generell wenig. Was bei Eltern zähle, sei das „Bauchgefühl“, die persönliche Beziehung: „Personen vertrauen die Patienten deutlich mehr als Institutionen.“ Persönliche Erzählung entgegensetzen Komme beispielsweise jemand in die Sprechstunde, der von Gesundheitsschäden durch die Masernimpfung gehört hat, empfiehlt Bernuth, dem Mythos eine eigene, ebenso persönliche „Erzählung“ entgegenzusetzen, etwa so: „Das, was Sie mir berichten, habe ich persönlich noch nicht erlebt. Ich habe aber zwei Kinder mit einer subakuten sklerosierenden Panenzephalitis nach Wildtypmasern gesehen.“ Dies könne man mit wissenschaftlichen Fakten unterfüttern. An der Charité lief nach dem Masernausbruch 2014/2015 eine Studie, in der die Häufigkeit der infektionsbedingten Wiedervorstellungen in allen neun Berliner Kinderkliniken bei drei Gruppen verglichen wurde: 250 Masernpatienten, sowie zwei Kontrollgruppen, die ursprünglich wegen einer anderen Infektion (außer Masern) bzw. aus einem ganz anderen Grund ins Krankenhaus gekommen waren. Wie Bernuth berichtete, war das Risiko für einen erneuten Klinikaufenthalt aufgrund einer Infektionserkrankung bei den Masernpatienten insgesamt etwa um den Faktor 1,5 erhöht. Von dem eindeutigen und statistisch signifikanten Ergebnis bei der relativ geringen Teilnehmerzahl war der Immunologe überrascht. Ausführliche Anamnese half weiter Der Patient, der nach der Polioimpfung im Kleinkindalter an einem Lungenödem erkrankt sein soll, ist mittlerweile erwachsen. Seine von der Mutter übernommene Impfskepsis habe sich inzwischen dadurch verfestigt, dass sein Sohn nach einer Tetanusimpfung immer wieder über Bauchschmerzen klagte, berichtete Bernuth. Obwohl der Mann als Landwirt diese Impfung eigentlich dringend selbst benötigt, habe er sie bislang abgelehnt. Die Anamnese ergab, dass auch der 30-Jährige – wie sein Sohn – oft Bauchschmerzen hat. Im Labor fielen deutlich erhöhte Lipasewerte auf. Der Immunologe hofft nun, dass es ihm gelingt, den Mann zum Gastroenterologen zu bekommen, der u. a. den Verdacht auf eine hereditäre Pankreatitis abklärt. Keine Pauschalargumente, die nicht mal stimmen! Was man sich nach Bernuth sparen sollte, sind Aussagen wie: „Wir haben damals in der DDR alle Kinder gegen Masern geimpft, da lief immer alles super.“ Die Lebendimpfung könne im Einzelfall durchaus spezifische Nebenwirkungen haben. So sei z. B. bei Patienten, die unter einem seltenen Defekt der Interferonantwort leiden, das Risiko für eine Enzephalitis durch Masernimpfviren erhöht. „Wenn Sie Impfskeptikern mit einem Pauschalargument gegenübertreten, das dann nicht mal stimmt, ist das keine kluge Idee“, so der Immunologe. Damit setze man dem Mythos nur einen anderen Mythos entgegen und verhindere dadurch jedes weiterführende Gespräch. Empfehlung der Redaktion Streptokokken 26.10.2021 | Kongress für Kinder- und Jugendmedizin 2021 | Kongressbericht | Nachrichten „Über 60 Jahre einem Mythos aufgesessen“ Auch Ärzte können Mythen aufsitzen und daran über Jahrzehnte festhalten, ohne sie jemals zu überprüfen. Ein Beispiel ist die inzwischen obsolete Empfehlung, eine Streptokokken-Angina unbedingt zehn Tage lang antibiotisch zu behandeln. basierend auf: von Bernuth H. Mythen über Impfungen. Kongress für Kinder- und Jugendmedizin, 06.-09.10.2021, Berlin und virtuell

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