Jedes dritte Kind psychisch auffällig

Die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen fühlt sich durch die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Lockdown-Maßnahmen seelisch belastet. Wie die deutsche COPSY-Studie zeigt, haben dabei psychische Auffälligkeiten, aber auch psychosomatische Beschwerden deutlich zugenommen. Mit Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 hat sich das Leben für die meisten der insgesamt 13 Millionen Kinder und Jugendlichen in Deutschland schlagartig geändert. Schulen und Kitas mussten schließen, Spielplätze waren gesperrt, der Kontakt zu Freunden und Großeltern war oft nur noch über das Telefon oder soziale Medien möglich. Nach Dr. Anne Kaman, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Psychosoziale Medizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, kommen solche abrupten Veränderungen einem „kritischen Lebensereignis“ gleich. Wie sich die staatlich verordneten Corona-Maßnahmen auf die seelische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zwischen 7 und 17 Jahren ausgewirkt haben, hat Kaman zusammen mit ihrem Team unter der Leitung von Prof. Ulrike Ravens-Sieberer in der COPSY-Studie untersucht. COPSY steht für „Corona und Psyche“. In der repräsentativen Längsschnittstudie wurde Wert darauf gelegt, neben den Eltern auch die Kinder selbst zu Wort kommen zu lassen. Befragung in zwei Wellen Die Online-Befragung erfolgte in zwei Wellen, die erste vom 26. Mai bis 10. Juni 2020, also kurz nach dem ersten bundesweiten pandemiebedingten Lockdown, die zweite vom 17. Dezember 2020 bis 22. Januar 2021, während des zweiten Lockdowns. An den Ergebnissen konnten die Forscher sehen, dass sich die Mehrheit der insgesamt 1040 teilnehmenden Kinder und Jugendlichen (Altersdurchschnitt 14 Jahre) durch die Pandemie belastet fühlte und dass dieser Anteil zwischen erster und zweiter Welle sogar noch zugenommen hat (von 71% auf 85%). In erster Linie schien das die Schule und das Lernen zu betreffen, aber auch die häusliche Situation hatte sich offenkundig in vielen Familien verschlechtert: So berichtete ein Viertel der Kinder, dass es zu Hause häufiger Streit gebe als vorher, von den befragten knapp 1600 Eltern gab ein Drittel an, dass Streitigkeiten zwischen ihnen und ihrem Kind häufiger eskalierten. Bei 40% der Kinder und Jugendlichen hatte zudem durch den eingeschränkten persönlichen Kontakt das Verhältnis zu ihren Freunden gelitten. Starker Anstieg bei psychosomatischen Beschwerden Sieben von zehn Kindern gaben in der zweiten Befragungswelle an, sich in ihrer Lebensqualität eingeschränkt zu fühlen; vor der Pandemie waren es nur drei von zehn. Einen deutlichen Anstieg hat es nach Kaman außerdem bei psychischen Auffälligkeiten wie Hyperaktivität, Problemen mit Freunden, emotionalen Schwierigkeiten oder Verhaltensproblemen gegeben. Noch zehn Monate nach Beginn der Pandemie war davon etwa jedes dritte Kind betroffen (davor jedes fünfte Kind). Sorgen und Ängste haben sich gegenüber dem Zeitraum vor der Pandemie sogar verdoppelt (von 15% auf 30%). Laut Kaman sorgen sich die Teilnehmer dabei vor allem über schulische Leistungen und Zukunftsaussichten. Aber auch psychosomatische Beschwerden wie Gereiztheit, Einschlafprobleme, Bauch- oder Kopfschmerzen haben offenbar stark zugenommen. Bei „depressiven Symptomen“ wie Niedergeschlagenheit oder Hoffnungslosigkeit hat es einen leichten Anstieg gegeben, der sich vor allem in der zweiten Welle bemerkbar machte. Sozial benachteiligte Kinder am stärksten betroffen Was den Forschern besonders auffiel: Die psychischen Probleme traten vor allem dann auf, wenn bestimmte Risikofaktoren zusammenkamen, z. B. ein niedriger Bildungsabschluss der Eltern, ein Migrationshintergrund oder auch psychische Belastungen der Eltern. Umgekehrt habe die Studie aber auch gezeigt, dass ein guter familiärer Zusammenhalt in der Lage war, die Belastungen der Corona-Krise aufzufangen. Kaman sieht in der Familie eine wichtige Ressource mit stabilisierender Wirkung auf die psychische Gesundheit. Die COPSY-Studie habe deutlich gemacht, dass die Kinder, vor allem diejenigen aus sozial benachteiligten Familien, „die Last der Krise seelisch mitgetragen haben“. Dringend benötigt würden nun „Konzepte, wie wir belastete Familien während der Pandemie noch besser unterstützen können“. Die Studienautoren fordern unter anderem die Fortbildung pädagogischer Fachkräfte im Sinne eines Frühwarnsystems sowie den Ausbau der Schulsozialarbeit, „auch um den Kontakt zu den Familien halten zu können“. 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