Mythen und Fakten rund um das Immunsystem

Sind Erreger tatsächlich allein für eine Infektionskrankheit verantwortlich? Führt jede Infektion zu einem zuverlässigen Schutz? Stellen Antikörper zuverlässige Surrogatmarker für den Immunschutz dar? Die immunologische Forschung konnte eine Reihe Mythen rund um das Immunsystem ausräumen. Das Immunsystem sei ein faszinierendes Forschungsfeld, sagte Prof. Dr. Tim Niehues, Helios Klinikum Krefeld. Auf der Grundlage aktueller Erkenntnisse zur Physiologie des Immunsystems erscheinen Mythen, die in Theorie und Praxis kursieren, in einem neuen Licht. Auch Ressourcen des Wirts beachten Ein Mythos, den Niehues auf dem Kongress für Kinder- und Jugendmedizin diskutierte, war das Paradigma, dass Menge und Qualität der Erreger für die Schwere einer Infektionskrankheit verantwortlich sind. Heute sei bekannt, dass auch der Wirt entscheidenden Einfluss darauf hat, wie eine Infektion verläuft. So konnte gezeigt werden, dass Elemente des Immunsystems wie neutrophile Granulozyten oder Lymphozyten eine zentrale Rolle spielen. Am Beispiel eines Kindes mit einem Immundefekt veranschaulichte Niehues, wie eine eigentlich harmlose Candida-Infektion zu einer schweren chronischen mukokutanen Candidiasis mit Lungenentzündung, Ösophagitis, anogenitalen aphthösen Geschwüren und Organentzündungen wie Hepatopathie, Bronchiektasie und Kolitis führen kann. Das weit verbreitete Konzept, Infektionen nur vom Erreger her zu denken und die Ressourcen des Wirtes nicht wesentlich mit einzubeziehen, sei der falsche Ansatz für das Verständnis von Infektionskrankheiten, fasste der Experte zusammen. Nicht immer Schutz vor Re-Infektion Ein weiterer Mythos sei die Auffassung, eine vorübergehende Infektion mit einem Erreger schütze vor erneuter Infektion mit dem gleichen Erreger, so Niehues auf dem Kongress für Kinder- und Jugendmedizin weiter. Dieser Annahme liegt das Schlüsselprinzip des immunologischen Gedächtnisses zugrunde, demzufolge die Immunantwort bei erneuter Exposition besser und schneller ausfällt. Klassisches Beispiel sind die Masern, die zu einer lebenslangen sterilen Immunität führen. Daneben gibt es jedoch – beispielsweise beim Corona-Virus – eine permissive Immunität, die lediglich dazu führt, dass eine erneute Infektion aufgrund lokal verfügbarer Gedächtniszellen weniger schwer verläuft. Antikörper-Bestimmung häufig überbewertet Ebenfalls ein Mythos sei, dass der Schutz vor einer Infektion durch Blutuntersuchungen messbar sei, sagte Niehues. Für den Schutz vor einer Re-Infektion beispielsweise mit einem Atemwegserreger sei jedoch das lokale, gewebeständige Immunsystem mit Schleimhaut-IgA sowie lokalen Memory-T- und B-Zellen entscheidend. Oft werden allerdings Antikörper-Titer mit Schutz gleichgesetzt. In der Regel werden aber lediglich Modellrechnungen oder retrospektive Analysen für die Festlegung protektiver Antikörper-Titer herangezogen. Die Korrelation Serum-Antikörper und Protektion sei somit meist unzuverlässig und der Surrogatmarker „protektiver Titer“ mit Vorsicht zu betrachten, so Niehues. Messungen der lokalen sowie der spezifischen zellulären Immunität seien jedoch aktuell mit klinischen Standardverfahren nicht möglich. Laboruntersuchungen machen daher nur Sinn vor dem Hintergrund einer entsprechenden Anamnese. Empfehlung der Redaktion DGKJ 2024 Kongress für Kinder- und Jugendmedizin 2024 18. - 21. September 2024 | Mannheim Was empfiehlt die neue Fieber-Leitlinie? Wie lauten die aktuellen Empfehlungen zur RSV-Prophylaxe? Und wann ist beim akuten Skrotum die sofortige Operation angezeigt? Dies und mehr lesen Sie in unserer Berichterstattung vom Kongress für Kinder- und Jugendmedizin. basierend auf: Niehues T.: Die physiologischen Aspekte. Plenarsitzung „Spezielle Aspekte der Immunreaktion über die Spanne des Kindes- und Jugendalters“. Kongress für Kinder- und Jugendmedizin, Mannheim, 18. bis 21. September 2024

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