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15.02.2022 | Koronare Herzerkrankung | Nachrichten

Patient mit Angina pectoris

Arzturteil zum KHK-Risiko zuverlässiger als Prätest-Scores

verfasst von: Dr. Elke Oberhofer

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Kardiologen können allein anhand des klinischen Bildes offenbar recht gut abschätzen, ob ein Patient mit Symptomen eines chronischen Koronarsyndroms tatsächlich eine stenosierende KHK hat oder nicht. In einer US-Studie war das ärztliche Votum zuverlässiger als gängige Prätest-Scores, selbst im Hinblick auf künftige kardiale Ereignisse.

Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels.

Wenn ein Patient mit Angina-pectoris-Symptomatik und Verdacht auf ein chronisches Koronarsyndrom (früher: stabile KHK) in die Praxis kommt, gilt es rasch zu entscheiden, ob man zur Abklärung eine weiterführende Diagnostik (funktionelle Bildgebung oder Koronar-CT) einleiten sollte. Zur Ermittlung der Vortestwahrscheinlichkeit (VTW; engl.: PTP) stehen international verschiedene Scores zur Verfügung: die US-Gesellschaften ACC und AHA empfehlen den Diamond-Forrester-Score (D-F), die europäische Kardiologengesellschaft seit 2019 den ESC-PTP.

4500 Patienten ohne bekannte KHK

Ein wichtiges Kriterium in diesem Zusammenhang ist jedoch auch die initiale ärztliche Einschätzung aufgrund des klinischen Bildes. Diese scheint den genannten Scores bei der Beurteilung aktueller KHK-Symptome und sogar bei der Vorhersage künftiger Ereignisse überlegen zu sein. Hinweise dafür liefert jetzt die PROMISE-Studie (Prospective Multicenter Imaging Study for Evaluation of Chest Pain).

Daran beteiligt waren 4533 Patientinnen und Patienten ohne bekannte KHK, die sich zur Abklärung „stabiler“ pektanginöser Beschwerden in einer Praxis oder Klinik vorgestellt hatten. Alle hatten daraufhin eine CT-Angiografie der Koronargefäße erhalten und waren im Folgenden 25 Monate nachbeobachtet worden.

Vor der Angiografie hatten die Ärzte ein Votum über das Vorliegen einer stenosierenden KHK abgegeben. Ein hohes Risiko hatten demzufolge nur knapp 5% aller Patienten, bei 37% wurde ein geringes Risiko gesehen, der Rest lag dazwischen. Deutlich pessimistischer war die Vorhersage in den beiden Scores. Der D-F-Score attestierte 26% der Patienten eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine KHK, der ESC-Score sogar 47%.

Ärztliche Schätzung traf am häufigsten zu

Wie sich herausstellte, stimmte die ärztliche Schätzung im Vergleich am häufigsten mit der Realität überein: So lag bei 27% der Patienten, bei denen das KHK-Risiko als hoch eingeschätzt wurde, tatsächlich eine stenosierende KHK vor. Die entsprechende Quote des D-F-Scores lag bei 20%, die des ESC-PTP bei 17%. Allerdings waren sowohl das Arzturteil als auch der ESC-PTP –­ anders als der D-F – in der Lage, zwischen hohem, intermediärem und niedrigem Risiko zu differenzieren. Für beide, und ganz besonders für den ESC-Score galt, dass bei geschätzt hohem Risiko deutlich häufiger auch tatsächlich eine KHK vorlag als bei geschätzt niedrigem Risiko (Odds Ratio, OR für das Arzturteil 3,3; für den ESC-PTP 9,1).

Auch das Risiko künftiger Ereignisse, nämlich, im Nachbeobachtungszeitraum einen Herzinfarkt zu erleiden, wegen instabiler KHK in die Klinik zu kommen oder an einem kardialen Ereignis zu versterben, korrelierte am besten mit der ärztlichen Risikoeinschätzung. In der vom Arzt ausgewiesenen Hochrisikogruppe trat ein solches Ereignis bei 8% auf, dagegen waren es nur jeweils 4% der Patienten, die in den beiden Scores ein hohes Risiko zugeschrieben bekommen hatten.

Scores mit Einschränkung empfohlen

„Die vorliegende Studie unterstützt aktuelle Leitlinienempfehlungen, nach denen formelle Scores zur Prätestwahrscheinlichkeit bei Patienten mit KHK-Verdacht nur eine begrenzte Rolle spielen sollten“, lautet das Fazit des Kanadiers Dr. Christopher B. Fordyce von der University of British Columbia und seiner US-Kollegen.

Die Studie habe gezeigt, dass das ärztliche Urteil Risiken besser vorhersage als ein einzelner Score zur Vortestwahrscheinlichkeit, so die Forscher. In der Praxis schneide die große Mehrheit mit vermeintlichen Ischämiesymptomen in funktionellen Belastungstests normal ab. Daher sei es von hohem Interesse, einerseits Patienten mit sehr niedrigem Risiko herauszufiltern, die die Untersuchung nicht benötigten, andererseits aber auch diejenigen zu identifizieren, welche direkt ins Katheterlabor geschickt werden sollten. Das höchste Risiko (27%) für eine bestehende KHK hatte man in der laut Arzturteil Hochrisikogruppe gesehen, das geringste Risiko (2%) in der Niedrigrisikogruppe laut ESC-PTP. Dies spreche dafür, bei Hochrisikopatienten eher der ärztlichen Einschätzung zu trauen, bei Niedrigrisikopatienten dagegen eher dem ESC-Score.

Das Wichtigste in Kürze

Frage: Zuverlässigkeit von Arzturteil versus Prätest-Scores (ESC-PTP, D-F) bei Patienten mit Verdacht auf KHK.

Antwort: Verglichen mit den beiden Scores zur Vortestwahrscheinlichkeit waren Ärzte mit ihrem Urteil aufgrund des klinischen Bildes besser darin, eine vorliegende KHK korrekt zu identifizieren und einen ungünstigen Verlauf zu prognostizieren.

Bedeutung: Bei Symptomen einer „stabilen“ Angina pectoris sollte man dem ärztlichen Urteil in der Risikovorhersage mehr Bedeutung zuschreiben.

Einschränkung: Kohorte mit insgesamt relativ geringem kardialem Risiko; Untersucher waren in der Mehrzahl Kardiologen; Diagnosesicherung ausschließlich per CT-Angiografie.

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Literatur

Fordyce CB et al. Physician judgement in predicting obstructive coronary artery disease and adverse events in chest pain patients. Heart 2022; https://doi.org/10.1136/heartjnl-2021-320275

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